Das Verwirrspiel um Michael Ballack vor dem Eröffnungsspiel hat das Verhältnis von Jürgen Klinsmann zu seinem Kapitän ausgerechnet zu Beginn der Weltmeisterschaft auf eine ernsthafte Probe gestellt. Die überraschende nächtliche Fitmeldung des Mittelfeldstars brachte den Bundestrainer am Freitag in den Stunden bis zum Anpfiff des ersten Gruppenspiels der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Costa Rica in eine Zwickmühle. Denn Klinsmann hatte seinem Führungsspieler tags zuvor die erforderliche Turnier-Fitness nach einer Wadenverletzung abgesprochen und für den Star zunächst Extraschichten im Training angekündigt: "Er muss doppelt so viel arbeiten."
Bleibt Klinsi seiner Linie treu?
Klinsmann sah sich urplötzlich mit grundsätzlichen Fragen und sensiblen Entscheidungen konfrontiert: Sollte er der Forderung von Ballack ("Ich will spielen") nachgeben? Oder sollte er auch bei seinem wichtigsten Spieler seiner Linie treu bleiben, mit Rücksicht auf den weiteren Turnierverlauf kein Risiko einzugehen? Und ganz grundsätzlich: Konnte er im Fall des eigentlich unverzichtbaren Ballack eine Ausnahme von seinem Fitness-Prinzip machen und den 29-Jährigen trotz einer einwöchigen Trainingspause aufstellen?
Die Problematik beschrieb auch Franz Beckenbauer: "Wadenverletzungen sind gefährlich. Man muss sehr vorsichtig sein. Wenn ihm jetzt etwas passiert, ist die WM für ihn gelaufen", gab der ehemalige Teamchef der Nationalmannschaft zu Bedenken.
Kommunikation stimmt nicht
Im Münchner DFB-Quartier wurde jedenfalls heiß diskutiert. Bundestrainer und Kapitän müssen aufpassen, dass die von einem vermeintlich harmlosen Bluterguss ausgelöste Belastungsprobe für die Nationalmannschaft nicht in einen Machtkampf mündet. "Das Turnier hat noch nicht begonnen - und schon gibt es Ärger", bemerkte schließlich Ballack selbst in Bezug auf den Wirbel um seine im Testspiel gegen Kolumbien erlittene Blessur.
Das Muskelspiel um die "Wade der Nation" offenbarte, dass Klinsmann und Ballack zwar eine permanente Kommunikation pflegen, aber anscheinend nicht so sehr über entscheidende Dinge miteinander reden. Zudem liegen sie inhaltlich nicht immer auf einer Wellenlänge. Das trat deutlicher als jemals zuvor zu Tage, als Ballack vor der WM-Generalprobe gegen Kolumbien einen Warnruf an Klinsmann startete und eine Korrektur des offensiven Hurra-Stils einforderte. "Der Bundestrainer weiß, wie ich und einige andere denken", sagte Ballack, der sich nach dem 3:0-Sieg gegen Kolumbien bestätigt fühlen durfte.
Ballack will Vetrauen zurückzahlen
Klinsmann sagte während der WM-Vorbereitung über sein Verhältnis zu seinem Anführer: "Die Kommunikation mit dem Kapitän ist permanent da. Er ist in den gesamten Prozess eingebunden." Ballack wiederum sprach noch im Regenerations-Trainingslager auf Sardinien ebenfalls von einem "guten Verhältnis" zum Bundestrainer, der ihn schließlich gleich zu Beginn seiner Amtszeit im August 2004 befördert hatte. "Er hat mich zum Kapitän gemacht. Das war ich vorher nicht und das zeigt, dass er großes Vertrauen in mich hat. Das will ich bei der WM zurückzahlen", sagte Ballack.
"Wir sprechen sehr viel miteinander", ergänzte der erfahrenste deutsche WM-Feldspieler. Allerdings wurde sogar der Kapitän beispielsweise am Tag der WM-Nominierung von der unerwarteten Ausbootung Kevin Kuranyis sowie der sensationellen Berufung des Dortmunders David Odonkor überrascht. "Nein, das wusste ich nicht", musste Ballack zugeben, als er vor dreieinhalb Wochen in London bei der Vorstellung als Neuzugang des FC Chelsea mit den Nachrichten aus Berlin konfrontiert wurde.
Ballack der einzige der sich öffentlich kritisch äußern darf
Unbestritten ist: Ballack ist der einzige Spieler im deutschen Kader, der sich auch öffentlich kritisch mit Entscheidungen und dem Kurs des Bundestrainers auseinander setzen darf. Das sieht der Star des Teams - zumal nach der geschwächten Position seines Vorgängers Oliver Kahn - auch als seine Aufgabe an. "Wenn jeder seine Meinung nach Außen kund tut, haben wir ein Chaos", bemerkte Ballack, der betonte: "Das Kapitänsamt ist eine besondere Verantwortung."
Um seine Ausnahmestellung wahrnehmen zu können, muss er aber auch auf dem Platz stehen. Nachdem Klinsmann dies für das WM-Auftaktspiel aus Fitnessgründen in Frage gestellt hatte, ging Ballack noch in der Nacht vor dem WM-Anpfiff in die Offensive. Die Botschaft, er sei nun doch beschwerdefrei und einsatzbereit, übermittelte er nicht nur im Hotel dem Bundestrainer, sondern er ließ sie offenbar über Vertraute auch außerhalb verbreiten.
Böse Worte von Maier
Wenige Stunden vor dem Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft hat der frühere Nationaltorwart Sepp Maier (62) der DFB-Elf ein frühes Scheitern vorausgesagt. "Wir sind zur Zeit nicht Weltmeister, sondern nur Hausmeister, selbst wenn wir 5:0 gegen Costa Rica gewinnen", sagte er bei einer WM- Gala für die tunesische Nationalmannschaft in deren unterfränkischen Quartierstadt Schweinfurt.
Maier geht davon aus, dass für das deutsche Team im Achtelfinale Endstation ist. "Ich wünsche es der Mannschaft nicht, aber dem Klinsmann", sagte der Weltmeister von 1974. Sepp Maier war von Bundestrainer Jürgen Klinsmann im Oktober 2004 als Torwarttrainer der Nationalmannschaft abgesetzt worden.