20 Stunden nach dem geglückten WM-Probelauf in Ungarn war es mit der guten Stimmung bei Joachim Löw schlagartig vorbei. Der Schalker Heiko Westermann erlitt beim 3:0 in Budapest in letzter Minute einen Kahnbeinbruch im linken Fuß und fällt als bereits fünfter DFB-Akteur für die WM 2010 aus.
"Da werden die Sorgenfalten natürlich noch größer", erklärte Löw am Sonntagabend: "Heiko hätte bei der WM eine wesentliche Rolle in unserem Team gespielt. Er wäre auf Grund seiner Vielseitigkeit für uns wichtig gewesen", sagte der Bundestrainer über den Mann, den er am Samstag in Budapest erstmals als linken Verteidiger einsetzte.
Unheimliche Verletzungsserie
Ballack, Adler, Träsch, Rolfes - die unheimlich anmutende Verletzungsserie setzte sich exakt zwei Wochen vor dem WM-Ernstfall gegen Australien fort. "Natürlich bin ich total enttäuscht, denn es war ein großes Ziel von mir, bei der WM dabei zu sein", kommentierte Westermann sein Pech, von dem zunächst niemand etwas geahnt hatte.
Das Unglück war kurz vor dem Abpfiff bei einem eigentlich harmlosen Zweikampf geschehen. Im Laufe der Nacht wurden die Schmerzen immer stärker. Nach der Rückkehr nach Südtirol brachte eine Kernspin- und Computertomographie im Krankenhaus von Bozen die niederschmetternde Diagnose für Westermann: "Jetzt bleibt mir nichts anderes übrig, als der Mannschaft alles Gute zu wünschen."
Voller Tatendrang war der hin- und hergerissene Löw nach dem ersten Spiel nach dem bitteren Ballack-Ausfall aus Budapest ins Trainingscamp zurückgekehrt. Dort sollte es eigentlich ab sofort mit dem kompletten Kader zur Sache gehen. "Diesen Tag habe ich jetzt schon eine ganze Weile herbeigesehnt, dass endlich alle zusammen trainieren. Es ist wichtig, dass jetzt ab Montag auch Schweinsteiger, Müller, Lahm einsteigen. Jetzt geht es darum, gesamtheitlich einige Dinge einzustudieren", erklärte Löw. Aber Westermanns Ausfall wirbelt die Pläne des Bundestrainers erneut durcheinander.
Diskussion um Streichkandidaten erloschen
Nach Westermanns Aus ist auch die Diskussion um die Streichkandidaten vorerst fast erloschen. Nur noch einen Spieler muss Löw nun am Dienstag nach Hause schicken. "Wir werden im Trainerstab überlegen, wie die beste Zusammensetzung ist", kündigte Löw an. Westermanns Ausfall in der Abwehr wird einen erheblichen Einfluss darauf haben. Zweifel hat Löw noch bei Linksfuß Marcell Jansen, über dessen absolute WM-Fitness er sich auch nach dem 30-Minuten-Test in Ungarn nicht im Klaren ist.
"Viel Positives" hatte Löw in Budapest gesehen. Am meisten verärgerte Löw die Abschlussschwäche. "Wir haben drei, vier oder fünf Riesen-Chancen vergeben", schimpfte der Bundestrainer. Immerhin: Drei Stürmer trafen, aber ausgerechnet Miroslav Klose konnte nicht jubeln. "Es wird harte Arbeit werden für ihn und uns alle", kommentierte Löw. Aber der WM-Torschützenkönig von 2006 sei ein Wettkampftyp und steigerungsfähig. "Er hat das immer dann bewiesen, wenn er abgeschrieben wurde", sagte der Bundestrainer und erinnerte an Kloses Dreierpack in der WM-Qualifikation gegen Finnland (3:3) und das goldene Tor im entscheidenden Spiel in Russland (1:0).
Die WM-Elf schält sich nach Ungarn mehr und mehr heraus. Neuer, Lahm, Mertesacker, Schweinsteiger, Podolski, Özil und immer noch Klose bilden das Gerüst, zu dem nun auch Sami Khedira endgültig zählt. Der Stuttgarter überzeugte Löw bis zum vorzeitigen Stopp durch muskuläre Probleme 45 Minuten lang als Ballack-Ersatz. "Er ist in der Lage, diese Position auszufüllen, auch anstelle von Michael Ballack", lobte der Bundestrainer, der in Budapest in Toni Kroos zudem eine neue, offensivstarke Sechser-Alternative aus dem Hut zauberte.
Nationalmannschaft bleibt Wundertüte
Völlig offen ist, ob Lahm hinten rechts oder links dringender gebraucht wird und wer zweiter Außenverteidiger wird. Arne Friedrich sammelte Punkte als möglicher Partner von Abwehrchef Per Mertesacker im Deckungszentrum. Und auf dem rechten Flügel streiten Müller und Piotr Trochowski um den vakanten Platz, Marko Marin drängte sich als Joker auf. Egal mit wem, Deutschlands Youngster-Truppe wird eine Wundertüte bleiben, die einiges verspricht, aber nichts garantiert. "Wie die jungen Spieler in Extremsituationen reagieren bei einer WM, das ist nur schwer vorhersehbar", räumte Löw ein.
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