Seine bittere Enttäuschung war mit Händen zu greifen. Paul Biedermann stand am Beckenrand des Aquatics Centre und versuchte vergeblich, eine Erklärung dafür zu finden, was da gerade passiert war. "Ja, keine Ahnung, es ist zu früh, ein Fazit zu geben", sagte Biedermann dem ZDF-Reporter ins Mikrofon. Es waren nur drei, vier Sätze, die der Hallenser Schwimmer überhaupt herausbrachte. Keine Ahnung – das Aus im Vorlauf über 400 Meter Freistil war ein Schock für den Weltrekordhalter, für das er in den ersten Momenten nach Ende des Rennens noch keine Erklärung fand. Es war gleichzeitig eine erste, schwere Schlappe für den Deutschen Schwimmverband, mit der weder der Athlet noch sein Trainer Frank Embacher gerechnet hatten. Dass der zweimalige Europameister ins Finale einzieht, galt als sicher.
Bei Biedermanns Freundin Britta Steffen klang es kaum anders. Sie wirkte wie eine, die von dem, was da passiert war, völlig überrascht war. Steffen stand nur etwas mehr als eine Stunde später vor dem Mikrofon des ZDF-Reporters und suchte nach einer Erklärung für die zweite, große Enttäuschung des Tages. Die 4x100-Meter-Freistilstaffel der Frauen war ebenfalls im Vorlauf gescheitert. Auch ihr Einzug ins Finale galt als sicher. Damit war das Debakel für den DSV zum Olympia-Auftakt komplett. Doch während Biedermann keine Schuldzuweisungen aussprach, wurde Steffen deutlicher: "Man muss die Trainer fragen, woran wir gescheitert sind." Die zweimalige Olympiasiegerin von Peking fühlte sich nicht verantwortlich für das Scheitern der deutschen Staffel, das war ihr deutlich anzumerken.
Falsche Taktik
Was war in den beiden Rennen passiert? Biedermann war, für viele überraschend, mit extrem hohen Tempo gestartet. Nach hundert Metern lag er unter seinem Weltrekord von 2009. Das ist umso erstaunlicher, weil Biedermann vor drei Jahren im Schwimmanzug angetreten war, der alle Schwimmer schneller machte und 2010 verboten wurde. Biedermann war nicht in der Lage, das hohe Tempo zu halten und fiel zurück. Das extrem hohe Anfangstempo war ein taktischer Fehler, der ihn die Chance auf eine Medaille kostete. Sein Trainer Frank Embacher gab nach dem Rennen zu: "Mich ärgert besonders, dass ich ihm eine andere Maßgabe gegeben habe, als er gewohnt war."
Bei der Frauen-Staffel war die Sache noch deutlicher: "Bei unserer Freistilstaffel haben wir uns ein bisschen verpokert. Es gab die interne Ansage: Britta sollte 90 bis 95 Prozent geben, Silke Lippok und Lisa Vitting volle Kraft und Daniela Schreiber einen taktischen Endspurt", erläuterte Leistungssportdirektor Lutz Buschkow fehlgeschlagene Taktikvorgabe.
Düstere Aussichten für Olympia
Die Verantwortlichen des DSV haben sich also gewaltig verzockt und ihren Athleten so eine gewaltige Bürde für die weiteren Wettkämpfe aufgeladen. Allerdings gibt es zwischen beiden Debakeln einen kleinen, aber feinen Unterschied. Embacher hat seinem Schützling Biedermann offensichtlich zugetraut, entgegen seiner Gewohnheit ein Rennen mit hohem Anfangstempo durchzuhalten - ein falsche Einschätzung, die umso bitterer ist, weil Biedermann in diesem Jahr noch keine herausragende Zeit über 400 Meter geschwommen ist. Selbst im EM-Finale im Mai, als er unter Abwesenheit vieler starker Konkurrenten Gold gewann, verpasste er die deutsche Olympianorm.
Bei der Frauen-Staffel liegt der Fall anders. Britta Steffen, Silke Lippok, Lisa Vitting und Daniela Schreiber erhielten die Vorgabe, Kräfte zu sparen, obwohl sie viel schneller schwimmen können. Das ging voll in die Hose und ist noch peinlicher. Vielleicht haben sich die Deutschen nach der starken EM im Frühjahr falschen Hoffnungen hingegeben. Dort fehlte es an ernsthafter Konkurrenz. Wenn der Maßstab dagegen die WM 2011 ist, als die Weltelite am Start war und das Team abschmierte, macht das nicht viel Hoffnung für Olympia.