In Athen war er der freche Teenie, in Peking der auf den Bronzerang abgestürzte Top-Favorit. In London will Fabian Hambüchen nun seine schon acht Jahre währende Super-Karriere mit dem Olympiasieg krönen. Doch erstmals ist er nicht der alleinige Medaillenkandidat in der deutschen Riege. Auch der zweimalige Vizeweltmeister Philipp Boy sowie Barren-Spezialist Marcel Nguyen wollen sich unbedingt mit Medaillen schmücken.
Sollten die drei "Musketiere" vom ersten Tag an Bestform bieten, ist die erste Mannschaftsmedaille für deutsche Turner seit 1988 nicht ausgeschlossen. Die Krönung ihrer 24 Wettkampf-Jahre umfassenden Karriere strebt Rekord-Turnerin Oksana Chusovitina bei ihren sechsten Spielen mit dem 18. Edelmetall bei Olympia, WM oder EM an.
"Die ersten zwei Plätze werden sich China und Japan teilen, alle anderen kloppen sich um Platz drei. Das wird eine spannende Geschichte", schätzte Hambüchen nach seinem glänzenden Comeback ein. Der Riss der Achillessehne im Januar 2011 hatte ihn zweifeln lassen, ob denn Olympia überhaupt noch realistisch sei. Doch ehrgeizig wie in jedem Wettkampf quälte er sich durch die zähe Rehabilitationsphase, bereitete sich mit seinem "Team Hambüchen" ebenso individuell wie sorgfältig vor und war im Mai beim deutschen Titelkampf muskelbepackt schon wieder ganz der Alte.
In der langen wettkampffreien Zeit wandelte sich Hambüchen - er stellt jetzt in der Individualsportart den Teamgedanken in den Mittelpunkt. "Wir sind eine tolle Truppe. Wenn wir alle fehlerfrei durchs Programm kommen, haben wir gute Chancen", meint der 24-jährige Hesse. Alte Rivalitäten speziell mit dem Cottbusser Boy scheinen vergessen.
Da im Mehrkampf dem dreimaligen Weltmeister Kohei Uchimura aus Japan kaum jemand das Wasser reichen kann und der Rest der Welt wohl nur um Platz zwei streitet, scheinen derzeit die Chancen auf Gold am Reck für den vor Kraft strotzenden Ex-Weltmeister am größten. "Wenn man erst mal im Finale ist, sind natürlich Chancen da."
Mit Ausgangswert 7,5 beherrscht er eine der schwierigsten Übungen der Welt nahezu traumhaft sicher, kann im Endkampf sogar noch zwei Zehntel draufpacken. "Das muss sich aus der Situation ergeben. Mehr Schwierigkeit heißt immer auch mehr Risiko. Und es kann sein, dass die Abzüge dann den höheren Ausgang aufwiegen", spekulierte er.
Von Verletzungsserien gepflastert war die Vorbereitung von Philipp Boy. Schlüsselbein, Schulter, Fuß, Handgelenk und Rücken - immer wieder verhinderten Rückschläge durch Überbelastung ein optimales Training. "Ich schaue nicht zurück. In London will ich in Bestform sein. Dafür stelle ich alles andere zurück", meinte der Lausitzer.
Als dritter Turner vom goldenen Jahrgang 1987 will Marcel Nguyen nach dem Gewinn von drei EM-Titeln endlich aus dem Schatten der beiden Teamgefährten treten. "Ich weiß noch gar nicht, wer für China und Japan an den Barren geht. Aber sie werden alle stark sein", weiß der beste Europäer der vergangenen zwei Jahre an diesem Gerät.
Noch nie war das deutsche Turn-Team mit 19 Athleten so groß wie in London, da auch die Frauen zum zweiten Mal nach Peking mit kompletter Riege dabei sind und die Deutschen im Trampolin-Turnen und der Gymnastik alle Disziplinen besetzen dürfen. Doch sowohl für die routinierte Athen-Olympiasiegerin Anna Dogonadze und Henrik Stehlik am Trampolin wie auch die jungen Gymnastinnen vom Stützpunkt Schmiden wäre bereits der Finaleinzug ein Riesenerfolg.