Imke Duplitzer war bereits Hochleistungssportlerin als sie merkte, dass sie auf Mädchen steht - und nicht auf Jungen. War sie auf einem Fechtturnier in einer Großstadt, suchte sie nach Literatur in Buchhandlungen. Internet gab es noch nicht, an Informationen war schwer ranzkommen. Vorbilder waren selten. Duplitzer hatte nur eins: Hella von Sinnen. Heute kann die 38-Jährige darüber lachen.
Gar nicht erfreulich findet sie die aktuelle Debatte über Homosexualität als Unterrichtsstoff in Baden-Württemberg. "Diese Diskussion schlägt mir immer noch aufs Gemüt", sagt Duplitzer im Gespräch mit Tilo Jung (hier können Sie das Videointerview sehen). Im Interview bei "Jung & Naiv" haben die beiden aber dennoch eine Menge Spaß.
"Jung & Naiv" ...
läuft montags um 19.30 Uhr auf joiz
Tilo Jung: Wie war das bei dir, warst du von Anfang an, also sobald du gewusst hast, du stehst auf Mädels, warst du da offen?
Imke Duplitzer: Nein, offen war ich da nicht, weil … Erst kommt eine Zeit, wo du das mit dir selber klärst. Damals war es ein bisschen schwieriger, weil die Leihbücherei definitiv keinerlei Material über Homosexualität hergab. Internet und Amazon gab's da auch noch nicht. Das heißt, man musste, egal auf welchem Turnier man in einer Großstadt war, irgendwie sämtliche Buchläden durchkramen. Ich habe damals sehr viel Geld in Bücher investiert. Meine Eltern hat's gefreut, sie waren sich nur noch nicht ganz darüber im Klaren, was ich für Literatur gekauft habe. Keine Softpornos, sondern wissenschaftliche Literatur.
"Sie liest viel."
Genau, sie liest viel. Das Kind liest viel, das ist doch schön, das ist doch super! Und dann kam so eine Phase, wo ich mir so mein Bild gemacht habe. Jetzt kommt's ganz peinlich ... Ich hoffe, du guckst nicht zu, Hella! Eines meiner Vorbilder war Hella von Sinnen, die war ja damals die einzige. Aber ich laufe heute nicht mehr in Latzhosen rum. Das habe ich mir – Gott sei Dank – wieder abgewöhnt.
Hast du das mal gemacht?
Ja. Aber das ist einfach so. Du suchst Identifikationsfiguren und musst dich selber informieren.
Aber du bist doch Fechterin. Warum hast du als Vorbild nicht einfach Thomas Bach genommen?
Aber der ist ja nicht schwul!
Aber er steht auch auf Frauen.
Ja, aber er ist ja ein Mann. Das funktioniert dann ja nicht, weißte?
Er ist ein guter Fechter gewesen.
Ja, aber er hat Florett gefochten. Eine ganz andere Baustelle. Ich fechte Degen. Es gibt drei Waffen: Degen, Florett und Säbel. Er hat Florett gefochten, ich fechte Degen. Ich fechte die Männerwaffe. Ganz klassisch, ganz Klischee! Lesbe fechtet Männerwaffe.
Teil eins des Interviews ...
... mit Imke Duplitzer bei "Jung & Naiv" lesen Sie hier.
Und er hat eine Frauenwaffe gefochten?
Und er hat eine Frauenwaffe gefochten.
Nein!
Ja, ist eigentlich süß. Also eigentlich ist es wirklich süß. Aber ... und dann kommt die Phase, wo man sagt okay. Man fängt an, das seinen Eltern zu erklären. Mein Vater war ein bisschen geschockt am Anfang. Es hat ungefähr sechs Jahre gedauert . Dann saßen wir mal zusammen in einem Straßencafé und da hat er mich angerempelt und gefragt: "Guck mal, wie findest du denn die?" Das war sehr lustig, weil ich festgestellt habe, so jetzt ist er auch drüber hinweg. Jetzt hat er das verstanden. Und dann fängst du an, dass du das deinen Freunden erzählst. Und irgendwann war es für mich normal, weil ich einfach gesagt habe: Okay, das ist so. Die Energie, die man da reinstecken muss, um das wirklich zu verstecken, da gibt es mittlerweile sogar ganze Agenturen, die für homosexuelle Athleten und Athletinnen das passende heterosexuelle Pendant im Angebot haben. Gibt es!
Inwiefern?
Das kann man vertraglich regeln. Nehmen wir mal etwas ganz Neutrales: einen Profi-Schrubberhockey-Spieler oder Hallenhalma-Spieler. Da gibt es Agenturen, die einem dann, wenn man schwul ist, die passende Frau vermitteln. Die das ganze Theater mitmacht, die einen zu Empfängen begleitet.
Warum?
Damit das Bild der Heterosexualität aufrechterhalten wird. Und das ist natürlich für solche Menschen verdammt anstrengend, weil sie eben immer einen sehr, sehr großen Teil von sich verstecken müssen. Wenn du zum Beispiel die Frage hörst: Wie war denn der Urlaub? Und man ist eigentlich mit der Freundin im Urlaub gewesen, aber man muss sich immer wieder darauf konzentrieren, dass man sagt "mein Freund". Man muss sich also immer darauf konzentrieren, da s man die ganze Geschichte immer umschreibt.
Aber warum sagst du "muss"? Sagst du von dir aus "Ich musste das machen"?
Es ist ja so ... du hast ja Angst. Gerade wie jetzt, bei solchen Debatten wie in Baden-Württemberg. Wenn ich da noch immer leben würde und ich wäre wieder wie damals 15 oder 16 und ich würde mitkriegen, dass gerade um dieses Thema eine erbitterte Diskussion tobt. Und die einen sagen, das soll einfach frei gelebt werden, da soll man darüber informiert werden dürfen. Und die anderen sagen: Nein, das ist des Teufels. Und das ist widernatürlich. Ich glaube, das muss sich einfach nur Jeder vorstellen: Wenn man immer wieder zu hören kriegt, das ist widernatürlich, da kannst du ja nicht weghören. Mittlerweile werde ich fast 40 und diese ganze Diskussion schlägt auch mir immer noch aufs Gemüt. Weil ich jeden Tag, immer wieder, wenn ich in die Zeitung gucke oder in den Fernseher gucke, damit konfrontiert werde: "Na, so normal ist es ja nicht".
Dabei wache ich morgens neben meiner Freundin auf. Das ist für mich normal. Ich sitze am Frühstückstisch mit meiner Freundin. Das ist für mich normal. Ich telefoniere über den Tag mit Freundin – das ist für mich normal! Ich gehe abends ganz normal mit meiner Freundin wieder ins Bett – das ist für mich normal. Und Teile der Gesellschaft, die bei mir zu Hause gar nichts zu suchen haben, erklären mir permanent: Das ist NICHT normal. Das ist so ein Zwiespalt, in dem man dann lebt. Und das ist einfach so eine Sache, in der man für sich dann einfach so ein bisschen Ruhe reinbringen und dann irgendwann das Selbstbewusstsein haben muss, dass man einfach sagt: Es ist so und wenn andere Leute damit ein Problem haben, dann ist es deren Problem! Das kostet relativ viel Kraft und es ist auch schon so, dass man dann manchmal ... auch so an Tagen, an denen es einem nicht gut geht, wenn man dann so auf der Straße oder auch in den eigenen Reihen blöd angeredet wird, dann sagt: "Ach, weißte was? Lass mich doch einfach in Ruhe, ja? Ich habe jetzt keine Lust mehr, darüber zu diskutieren." Es ist so: Es gibt Millionen Homosexuelle. Ein Programmfehler kann es nicht sein und deshalb ist es eigentlich völlig normal.
Ich habe auch von Jens Weinreich gehört, es gibt nicht nur schwule und homosexuelle Sportler, sondern auch Funktionäre und Politiker. Wenn es die überall gibt, warum stehen die nicht auf und sagen "So kann es doch nicht gehen"?
Viele machen es ja, Man sieht es ja jetzt zum Beispiel gerade in den Medien. Es gab ein Comingout von einer sehr, sehr prominenten Fußballspielerin in England. Dann gab es jetzt diesen NFL Spieler, der ist noch nicht richtig in der NFL angekommen, aber der soll nächstes Jahr in der Profi-Liga spielen. Man sieht, dass jetzt immer mehr Leute aufstehen. Zum Beispiel auch diese Kampagne Principle 6, die ich da anhabe ... Die ist von einem heterosexuellen Judo-Trainer im CollegeSport entwickelt worden mit der Idee: "sport does not discriminate on grounds of race" und so weiter und so fort. Das ist der Paragraf 6 der Olympischen Präambel.
Olympische Präambel?
Es gibt die olympische Charta und diese Charta hat eine Präambel. Und der Artikel 6 besagt, dass die olympische Bewegung und Sport nicht diskriminiert aufgrund von Rasse, Geschlecht, politischer Einstellung, Religion und anderer Sachen.
Das zählt gerade nicht in Sotschi?
Eigentlich schon. Das ist ja auch, was der olympischen Bewegung gerade vorgeworfen wird: Dass sie sich um diese Präambel in vielen Bereichen, wenn es um ihren Profit geht, einen Scheißdreck kümmert. Eigentlich hätte das Internationale Olympische Komitee mindestens mal offiziell mitteilen müssen, auch schon im Vorfeld und auch massiver, dass das, was in Russland passiert, nicht mit ihrer Idee vereinbar ist. Das machen sie natürlich nicht, weil Wladimir ja die ganze Sause bezahlt. Und dadurch, dass Wladimir die Olympischen Spiele bezahlt, profitiert auch das IOC davon. Diese Veranstaltung vermarkten sie selber und alleine für die Fernsehrechte wird richtig viel Geld rausgehauen.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie homophob das Sportsystem ist.
Ist das Sportsystem homophob oder sind die Spieler und Sportler einfach selbst schuld?
Ein gewisser Teil in diesen Gremien, dem IOC oder in der Fifa oder in anderen Weltsportverbänden sind ehemalige Sportler. Normalerweise würde man in Deutschland sagen: Rente mit 67. Da warten die aber noch auf die Rente. Die sind teilweise 72. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass sie nicht in Rente gehen wollen oder in Rente gehen können, weil sie noch nicht genug Geld auf die Seite geschafft haben, im Lauf ihrer Karriere.
Verdient man so viel? Als Sportler oder danach?
Als Funktionär im IOC hat man ausgesorgt. Jaaaaa! Deshalb ist das ja so ein begehrter, lukrativer Job, ins IOC zu kommen oder zur Fifa. Sofern man halt mit dem System mitspielt. So Leute wie ich würden nie ins IOC oder in die Fifa oder in den Weltfechtverband kommen, weil ich würde stören. Mir geht es in erster Linie um den Sport und darum, dass die Athleten wirklich optimale Bedingungen haben und nicht darum, dass ich sage, weil ich jetzt eine Mobilfunkfirma habe, die in Russland ganz groß ist, muss ich zusehen, dass ich zweimal Weltmeisterschaften in Russland mache.
Du müsstest deine Haltung ändern. Mehr aufs Geld gucken und sagen, wir denken da mal wirtschaftlich, ein bisschen Geld verdienen.
Ja. Und ich müsste, glaube ich, mein Rückgrat entfernen lassen. Das ist, wenn du versuchst, jemandem in den Hintern zu kriechen, ausgesprochen hinderlich, so ein Rückgrat. Da ist man nicht geschmeidig genug.
Mich interessiert noch: Das IOC nimmt jede Menge Geld ein! Eine Milliarde im Jahr. Wer bekommt denn das Geld? Bekommen das die Spieler, die Sportler, ihr alle? Ihr seid ja diejenigen, die die ganze Show abliefern.
Wir als Athleten, selbst wenn du eine Medaille kriegst, kriegst du vom IOC nur einen warmen Händedruck und einen Blumenstrauß. Du kriegst keine Geldprämie oder so etwas. Das IOC schüttet einen Teil seines Gewinns nach einem ganz bestimmten Schlüssel an die nationalen Verbände ab.
Ach dann kriegt ihr vom DOSB Geld?
Ich kriege auch vom DOSB kein Geld. Wenn ich zum Beispiel eine Medaille bei Olympischen Spielen hole, dann bekomm ich in Deutschland von der Deutschen Sporthilfe eine Prämie. Das ist eine Stiftung, die sich auf die Fahne geschrieben hat, Leistungssport in Deutschland finanziell zu fördern. Die sind gerade in der Umbruchsphase, weil sie jetzt mehr Geld einnehmen, was sie auch an die Athleten herausgeben. Aber vom Deutschen Olympischen Sportbund kriege ich in dem Sinne nichts. Was das IOC an die nationalen Verbände zahlt, geht zu einem Teil in den Breitensportbereich.
Davon bleibt auch viel im System, um zu sagen: Sie müssen auch administrative Aufgaben verrichten. Beim DOSB müssen Gehälter gezahlt werden, da gibt es Reisen, die finanziert werden müssen. Also das heißt, es ist quasi so ein in sich geschlossenes System. Und wenn du als Athlet sagst: "Aber hallo, ich bin auch noch da und ich hätte auch noch ein paar Rechte und so", dann bist du das schwächste Glied der Kette. Das heißt, du wirst verhältnismäßig schnell aussortiert.
Viele Athleten machen ein oder zweimal Olympische Spiele und sind dann eh zu alt oder beenden ihre Karriere, weil in Deutschland kannst du in vielen Bereichen ja kein Profisportler ein. Also ich zum Beispiel bin jetzt bei der Sportfördergruppe der Bundeswehr. Das heißt, ich krieg da mein Gehalt und mache einige militärische Dienste für die Sportfördergruppe mit allem drum und dran. Und danach, 2016 muss ich einen richtigen Job haben. Wie jeder andere auch. Ich muss entweder studieren oder eine Ausbildung gemacht haben oder ins IOC gehen!
Genau. Ich habe gelernt und das nehme ich mit. Egal. Hauptsache am Ende Funktionär werden.
Genau. Als Funktionär bist du versorgt bis in alle Puppen.
Dankeschön! Danke, Imke Duplitzer.