Nur im Wettkampf nicht, was gut ist, denn so konnte der Berliner am Dienstag bei den Leitathletik-Weltmeisterschaften im südkoreanischen Daegu seinen Titel im Diskuswurf verteidigen. Wobei verteidigen zu mild ausgedrückt ist. Robert Harting ließ die starken Männer um sich herum wie kleine Jungs aussehen, die sich hilflos mühten, es dem Könner nachzutun.
Drei Versuche des 26-Jährigen hätten gereicht, um Weltmeister zu werden. Drei Mal deklassierte der Mann mit dem schmerzenden Knie die Kollegen. Auf 68,97 Meter kam sein weitester Wurf. Olympiasieger Gerd Kanter aus Estland (66,95 Meter) und der Iraner Ehsan Hadadi (65,50) landeten abgeschlagen auf den Plätzen zwei und drei. "Robert war heute ganz allein unterwegs, er hat verdient gewonnen", sagt Kanter im Anschluss.
"Ich wollte nach Hause, ich habe die Versuche nur noch runtergezählt", erzählt Harting. Sein Knie, das ihm seit zehn Wochen mit einer schmerzenden Patellarsehne Probleme macht, piesackte ihn. Im Vorfeld konnte Harting nicht trainieren, wie er wollte, er zweifelte und fluchte. Aber aufzugeben, ist nicht seine Art. Dass er manchmal sensibel ist, bedeute nicht, dass er nicht kämpfen, Schmerzen ertragen und im Training an seine Grenzen gehen könne, sagt Goldmann.
Spritzen gegen die schmerzende Patellasehne
Wie er so geworden ist? Das sei eine lange Geschichte, sagt Harting. "Es gab Leute, die hatten mich abgeschrieben, ich war halt der kleine Blöde, sozial schwach, das wird nichts, das habe ich unterschwellig gespürt. So ist mein Ehrgeiz gewachsen."
Als er mit 15 von Cottbus nach Berlin ging, hätten die alteingesessenen Trainer es respektlos gefunden, dass er die Stadt wechselte. Harting wollte es ihnen zeigen. "Man muss auch mal raus und die Welt erkunden, um gut zu werden." Das ist seine Überzeugung. Und das empfiehlt er auch anderen. "Wir haben so viele Sprinttalente in Deutschland. Die laufen 10,30 Sekunden in der Jugend, und wenn sie erwachsen sind, laufen sie auch 10,30 Sekunden", sagt Harting. Sein Rat: In die USA gehen, dorthin, wo die Besten sind, und lernen.
In Daegu betäubte der Diskuswerfer seine Schmerzen mit Spritzen. Im Wettkampf war er ständig in Bewegung, tigerte auf und ab und vor und zurück. Er musste das Knie warm halten. Später schleppt er sich zur Siegerehrung und sagt: "Jetzt muss ich humpeln, weil das Knie kalt ist."
Zerrissenes Trikot wird zum Markenzeichen
Natürlich hat sich der 26-Jährige nach seinem Triumph auch wieder das Trikot zerrissen, so wie bei seinem Sieg in Berlin 2009. Die spontane Geste von damals, initiiert durch überbordende Emotionen und den Jubel des heimischen Publikums, ist jetzt sein Markenzeichen. Aber vergleichen will Harting die beiden Erfolge nicht. "Dann müsste ich sagen, dass jeder andere Titel mir weniger bedeutet als der von Berlin."
Dass Harting auch ein Jammerlappen sein kann, mag man kaum glauben. Aber er selbst hat ihn in seinem Innern ausgemacht. Das hat er vor der WM erzählt. Nach außen gibt er mal den Intellektuellen, dann spricht der Student der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation von psychologischen Modellen und analysiert seine Gegner. Mal den Sensiblen, dann widmet er seinen Sieg einem in Afghanistan gefallenen Freund. Und oft den harten Kerl, der sich nicht um Manieren schert und markige Sprüche raushaut. Dann kritisiert er dies und das. Vor dem Abflug nach Daegu war die Art dran, wie in Deutschland Olympiasieger behandelt werden. Dass sie nichts weiter als "eine Kiste Bier" bekämen, findet Harting verwerflich
Sein Ziel: die 70-Meter-Marke
Der Berliner ist kein Werfer, der einfach nur mit Brachialgewalt seinen Diskus raushaut. Er beschäftige sich viel mit seinem Umfeld, der Technik, der Vorbereitung. "Er denkt mit", sagt sein Trainer Werner Goldmann. Und er bohrt mit dem Finger in Wunden, wenn er meint, welche entdeckt zu haben. So fordert er auch nach seinem WM-Sieg noch einmal, dass die Unterstützung des Spitzensports in Deutschland verbessert werden sollte. Und er prophezeit für die Olympischen Spiele im kommenden Jahr: "Da werden wir wahrscheinlich, auf gut Deutsch gesagt, auf die Schnauze fallen. Weil uns die anderen Länder etwas vormachen. In der Vorbereitung, in der ganzen Ideologie."
So ist Robert Harting, er sagt klipp und klar, was er denkt. Herbert Czingon, im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) Cheftrainer für die technischen Disziplinen, stört das Getöse nicht, das der Sportsoldat gern veranstaltet. "Ich habe nicht das Gefühl, dass er sich damit gegen die Mannschaft oder den Verband stellt", sagt Czingon. Wie könnte sich der Verband auch über einen Athleten ärgern, der WM-Zweiter 2007, Weltmeister 2009, EM-Zweiter 2010 und jetzt auch Weltmeister 2011 ist?
Am Ziel angelangt ist Harting damit allerdings nicht. Es ist sein Trainer, der fast schon kleinlaut dran erinnert, dass Harting im vergangenen Jahr ja versprochen habe, die 70-Meter-Marke zu knacken. Das Knie habe das verhindert. Aber, betont Goldmann, "Robert ist ein verlässlicher Typ".