Eishockey-WM Mit Sturm und Leidenschaft – Deutschlands überraschender Weg ins Halbfinale

Freudenknäuel: Das deutsche Team feiert nach dem Sieg gegen die Schweiz den Einzug ins Halbfinale.
Freudenknäuel: Das deutsche Team feiert nach dem Sieg gegen die Schweiz den Einzug ins Halbfinale.
© Roman Koksarov / DPA
15 Stammkräfte fehlen der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft – und doch steht das Team im Halbfinale der Eishockey-WM. Ein kleines Märchen, dass nur vor einer großen Hürde steht.

Es lief die 32. Minute im Viertelfinale der Eishockey-WM zwischen Deutschland und der Schweiz, als Moritz Seider seinem Team einen Bärendienst erwies. Seider, Deutschlands Star-Verteidiger, checkte in eigener Überzahl Gaetan Haas von hinten in die Bande. Der Schweizer Stürmer blieb auf dem Eis liegen, Seider musste zum Duschen. Es war eine brenzlige Situation für das deutsche Team, die kurz zuvor den Ausgleich zum 1:1 kassiert hatten. Die Schweiz machte Druck, die deutschen Spieler aber warfen sich in die Schüsse, blockten Scheibe um Scheibe weg.

Statt der Führung für die Eidgenossen drehte das deutsche Team von Harold Kreis nach Ablauf der Strafe plötzlich auf. John-Jason, kurz JJ, Peterka traf herrlich zum 2:1, Nico Sturm legte in Unterzahl noch im zweiten Drittel das 3:1 nach – es sollte der letzte Treffer in der Partie sein. "Ich bin einfach stolz. Was die Mannschaft geleistet hat, war überragend", erklärte Sturm nach der Partie. Selbst der Eishockey-Weltverband IIHF hatte wohl nicht mit diesem Ergebnis gerechnet und titelte "Aufregung in Riga" zum deutschen Erfolg – die Schweiz war zuvor souverän als Gruppenerster ins Viertelfinale eingezogen, hatte unter anderem Tschechien und Kanada besiegt.

Man muss es ausdrücklich betonen: Deutschland steht im Halbfinale der Eishockey-WM, zum dritten Mal nach 2010 und 2021. Und dass, obwohl die Vorzeichen alles anderes als gut standen. Gleich auf 15 Spieler musste Neu-Nationaltrainer Harold Kreis bei der WM in Tampere und Riga verzichten. Egal ob gestandene NHL-Profis wie Tim Stützle oder Lukas Reichel oder die in Europa spielenden Leistungsträger um Yasin Ehliz, Tobias Rieder oder Tom Kühnhackl – sie alle sagten kurz vor Beginn der Weltmeisterschaft verletzungsbedingt ab. Auch auf die Unterstützung von NHL-Superstar Leon Draisaitl oder Torhüter Philipp Grubauer mussten die Deutschen verzichten – beide wären zwar nach dem Aus in den Playoffs der nordamerikanischen Profiliga spielberechtigt gewesen, brauchten angesichts einer fast 100 Spiele dauernden Saison aber eine Erholungspause.

Eishockey-WM: Deutschland verkraftet alle Rückschläge

Es ist die WM der Rückschläge, von denen sich das deutsche Team mehr angespornt denn zurückgeworfen fühlt. Die zahlreichen Absagen vor der WM? Kein Problem! Eine mäßige Vorbereitung mit nur drei Siegen aus sieben Spielen vor dem WM-Auftakt? Kein Problem! Nach drei Niederlagen zum Auftakt in Finnland mit dem Rücken zur Wand? Ebenfalls kein Problem! Die deutsche Mannschaft zeigt sich durch die ganze Weltmeisterschaft hinweg gefestigt und entschlossen, jegliche Form von Rückschlägen in Positives umzumünzen. So auch im Viertelfinale gegen die Schweiz: Dem zwischenzeitlichen 1:1 der Eidgenossen ging ein klares Foul am Moritz Seider voraus, eben jenem Star-Verteidiger, der kurz darauf nach einem unnötigen Foul berechtigt zum Duschen geschickt wurde. Doch die Partie kippte nicht, im Gegenteil: Die Deutschen drehten danach erst richtig auf.

Hinzu kommt eine extreme taktische Disziplin, die schon beim Auftakt gegen Schweden, die USA und Finnland zu sehen war: Aus einer kompakten Defensive setzt das Team von Harold Kreis auf ihre Geschwindigkeit. Technisch und spielerisch mag das DEB-Tam den großen Nationen vielleicht unterlegen sein, doch durch die Disziplin im eigenen Drittel und das blitzschnelle Umschaltspiel gleicht Deutschland viele Defizite aus und kann es mit den Großen aufnehmen. Dazu ist durchgehend eine spielerische Weiterentwicklung zu sehen. Beispielhaft das 2:1 gegen die Schweiz durch JJ Peterka, bei dem sich die Deutschen herrlich durch das gegnerische Drittel kombinierten und Deutschlands NHL-Profi vor seinem Treffer auch noch einen Verteidiger austanzte.

Die große Breite trägt das deutsche Team

Das DEB-Team wird getragen von den drei NHL-Profis Peterka, Sturm und Seider – Sturm (6 Tore) und Peterka (5) gehören zu den besten Torschützen des Turniers – jedoch auch von der überraschenden Breite im Team. 16 Spieler haben sich bereits in die Torschützenliste eingetragen, nur die USA (17) sind in dieser Statistik besser – ausgerechnet jenes Team, auf das die Deutschen im Halbfinale am Samstag treffen. "Wir müssen einfach so spielen wie gegen die Schweiz. Mit Herzblut, mit Leidenschaft und jeder einfach für jeden", sagte Peterka nach der Partie am Donnerstag. Es ist das Rezept, mit dem Deutschland bereits bei den Winterspielen 2018 für Furore sorgte und Silber gewann.

Mit der Partie gegen die USA wartet bereits der nächste kleine Rückschlag auf das deutsche Team – erstes Bully ist am Samstag um 17.20 Uhr (live bei Sport 1), unmittelbar nach Ende des letzten Spieltags in der Bundesliga, auf dem der sportliche Fokus am Wochenende liegen wird. Vielleicht ist es diese Nachricht, die das deutsche Team zu neuen Höhenflügen verleiten kann und die Sicherheit, dass man mit dem Erreichen des Halbfinals auch bereits die Qualifikation für die olympischen Winterspiele 2026 in Turin sicher hat. Doch die Winterspiele sind Zukunftsmusik, jetzt lebt im deutschen Team erstmal ein Traum weiter: Die erste WM-Medaille seit 1953 in den Händen zu halten.

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