Eiskunstlauf-Star-Trainer "Wir werden nicht unterstützt"

Ingo Steuer wird kritisiert, von manchen gehasst, wegen seiner Stasi-Vergangenheit und seinen ätzend scharfen Urteilen über Funktionäre und andere deutsche Paare. Auf stern.de rechtfertigt sich der Star-Trainer, dessen Paar Sawtschenko/Szolkowy die Top-Favoriten bei der WM kommende Woche sind - mit klaren Worten.

Herr Steuer, bei der Europameisterschaft in Zagreb gewann ihr Paar mit einem Riesenabstand von 33 Punkten. Sind die beiden für die WM überhaupt noch zu motivieren?

In Göteborg kommen ja noch Chinesen, Kanadier, Amerikaner dazu. Und Punktzahlen sind relativ. Sagen wir mal so: Wir brauchen nicht auf Fehler der anderen hoffen. Wir können aus eigener Kraft Weltmeister werden.

Aber richtig spannend ist es nicht, oder?

Wenn gesagt wird, ihr gewinnt sowieso, überhören wir das. Wir bleiben auf dem Teppich. Und der WM-Titel ist ohnehin ein Schritt in Richtung Olympia. Bei den Olympischen Spielen in Turin 2006 durften Sie ihr Paar wegen Ihrer Stasi-Vergangenheit erst nach langem Gezerre Robin Szolkowy und Aljona Sawtschenko wurden nur Siebte. Dass ich ausgeschlossen werden sollte, traf uns damals wie ein Hammer. Ich musste meine Teilnahme juristisch erkämpfen. Aber das ist jetzt unsere Geschichte, unsere Erfahrung, die uns hilft und zusammen geschweißt hat. Für Aljona war ich damals der einzige Ansprechpartner, ich hatte sie nach Deutschland geholt, ihr alles gezeigt, sie hatte noch kein großes Umfeld. Dass die beiden allein zu den Winterspielen fahren sollten, war ungefähr, als würden man Michael Schumacher sagen: Hier, ein neuer Ferrari, Motor ist nicht drin, aber fahr mal und gewinn bitte auch. Der Trainer ist nun mal die Person, die das Team ausmacht. Mit Mandy Wötzel wurden sie selbst Weltmeister.

Wie erleben sie eine Kür als Trainer hinter der Bande mit?

Es ist schlimmer, als selbst zu laufen. Ich mache ja auch die Musikauswahl, kreiere die Schritte, die Elemente, kenne jedes Detail. Bei einem Wettkampf verliere ich sicher zwei Kilo. Im Kopf laufe ich mit, mein Körper steht unter Hochspannung.

Fühlen Sie sich mit Robin Szolkowy und Aljona Satschenko in Deutschland ausreichend unterstützt?Arbeiten Sie unter guten Bedingungen?

In Chemnitz fühlen wir uns wohl, die Leute mögen uns, man hilft uns. Aber insgesamt muss ich sagen: Überhaupt nicht. Ich werde ja anders als andere Trainer nicht von unserem Verband bezahlt, bekomme nicht mal Reisekosten erstattet. Das geht nicht. Wenn man Leistung bringt, muss man auch bezahlt werden. Das klingt jetzt fast freundlich.

Warum haben Sie Funktionäre und Trainer anderer Paare zuletzt so scharf und verletzend kritisiert?

Kritik wird geübt, um etwas zu verbessern, nicht um es schlechter zu machen. Man kann meine Worte als aufmunternd oder als niederschmetternd auffassen – das Glas ist halbvoll oder halbleer. Ich habe gesagt, und dazu stehe ich, dass ich unwahrscheinlich traurig über die Leistungen der deutschen Eiskunstläufer bin. Und darauf möchte ich aufmerksam machen: wie es wirklich ist.

Wenn Sie sagen, die Förderung anderer Paare sei eine Verbrennung von Steuergeldern, ist das aber vor allem polemisch. Oder nicht?

Wenn Sportler Monat für Monat Tausende von Euro bekommen, vom Staat über die Bundeswehr, die sie als Sportsoldaten fördert, und solche Leistungen abliefern, dann ist das doch nicht zu verantworten. Leistungssport ist nun mal kein Volkssport. Man hat Verantwortung gegenüber dem Steuerzahler, wenn man gefördert wird und in den Genuss von viel Geld kommt.

Und diese Verantwortung nimmt der Verband, die Deutsche Eislauf-Union (DEU), nicht wahr?

Wenn gesagt wird: Wir müssen dieses Paar und jenes auch noch schicken zur EM, damit wir nächstes Jahr wieder viele Plätze haben bei der Sportförderung, und wenn die Sportler dann sagen: Ach, komm, wir laufen weiter, wir bekommen ja Geld - dann ist das kein Leistungssport.

Warum sagen Sie solche Dinge gegenüber Journalisten und nicht gegenüber der DEU?

Man redet ja nicht mit mir.

Der Grund dafür ist laut DEU, dass Sie und Ihr Paar immer Ihre Anwältin dabei haben wollen. Die Sportler sind so verunsichert nach den letzten Jahren, dass bei Gesprächen ums Geld auch unsere Anwältin dabei ist. Die trauen niemandem mehr. Im Fußball verhandeln die Manager der Klubs doch auch mit Spielerberatern, oder?

Unsere Anwältin will lediglich zuhören. Wenn die DEU nichts im Schilde führt, kann sie kein Problem damit haben.

Woher rührt das Misstrauen?

Da wurde Aljona Sawtschenko von DEU-Seite gedroht, man nehme ihr den deutschen Pass weg, wenn sie weiter mit mir arbeite. Dann wurden ihr und Robin Szolkowy die weltbesten Trainer versprochen anstelle meiner Person, auch die Russin Tamara Moskwina. Wir haben mal recherchiert, Aljona kann ja russisch: Frau Moskwina sagte kürzlich in einem Interview, sie habe mit niemandem von der DEU gesprochen.

In Turin beschimpften sie pauschal die Funktionäre, von deren Reisespesen, sagten sie, könne man viele Sportler fördern.

So spricht man, wenn man sich ungerecht behandelt fühlt. Diese Aussage war nicht glücklich. Meine Worte sind sehr klar und hart und im ersten Moment für den Betroffenen manchmal auch beleidigend. Das ist aber keine Schwäche, das mache ich ja auch täglich in meinem Beruf. Wenn ich den Sportlern sage, die Welt besteht aus Blumen, dann bringt denen das gar nichts. Es gibt Kollegen, die sich eher ruhige Typen, die überlegen erstmal. Bei mir kommt das zack zack raus, und dann ist es auch noch wahr.

Brauchen Sie die Funktionäre?

Natürlich. Was immer untergeht beim Vorgehen gegen Steuer, den Stasi-Mann: Es gab in DDR viele Trainer, die mit der Stasi in Verbindung waren und heute für Verbände arbeiten. Ich war damals kein Trainer, nur Sportler. Ich habe nicht pädagogisch auf jemanden eingewirkt.

Hätten Sie die Stasi-Mitarbeit nicht früher angeben sollen?

Seit 1993 war bekannt, dass ich IM (Inoffizieller Mitarbeiter) war. Ich fuhr danach als Sportler zu Olympia, wurde Weltmeister, bekam eine Auszeichnung der Bundeswehr. Plötzlich, 2006 kurz vor Turin, sollte ich mich rechtfertigen. Für etwas, was vorher immer ging.

Fühlen Sie sich insgesamt mit ihrer Stasi-Vergangenheit zu Unrecht kritisiert?

Das ist schwer zu sagen. Damals war gerade die Mauer gefallen, alle, die mit Stasi zu tun hatten, sagten: Erwähn das jetzt am besten gar nicht erst. Sonst ist Dein Leben vorüber. Man hatte nur Angst, zu DDR-Zeiten und jetzt wieder. Man hätte ehrlich sein können, klar, aber die Konsequenz wäre vielleicht das Karriere-Ende gewesen.

Gehen wir mal davon aus, dass Sie auch in Zukunft nicht als Trainer von der DEU bezahlt werden. Wie geht es finanziell weiter mit Ihnen und Ihrem Paar?

Die größte Förderung kommt aus der Sporthilfe. Die hat übrigens auch in schweren Zeiten immer mit uns gesprochen. Dazu kommen Erlöse aus unserer Internet-Seite Pixeleis, wo sich kleine Sponsoren Werbeplätze kaufen können. Um mal die Dimensionen zu zeigen: Ein Pixel bringt uns 180 Euro pro Jahr. Manchmal helfen Firmen, die da zu sehen sind, auch mit Sachwerten, mit Massagen, Autos, Arztterminen. Das ermöglicht uns den Alltag als Leistungssportler.

Hinzu kommen Prämien aus den Wettkämpfen.

Ja, das darf man sich allerdings nicht so gewaltig vorstellen. Der EM-Sieg zum Beispiel brachte 25000 Dollar. Davon wird dann einiges abgezogen, für den Verband zum Beispiel. Für die Sportler kommen am Ende 6000, vielleicht 7000 Euro raus. Schaulauf-Auftritte bringen weiteres Geld, jeweils 1000 bis 3000 Euro. Nur muss man dafür quer durch Europa touren. Und zudem gehen dann auch wieder die Reise- und Hotelkosten ab. Der größte Nachteil an diesen Auftritten: Sie passen oft nicht in den Terminplan. Wir wollen ja optimal trainieren.

Es heißt, Sie und das Paar hätten im Jahr rund 200.000 Euro zur Verfügung.

Das ist falsch.

Eine andere Kritik Ihnen gegenüber lautet, dass sie alles an sich reißen würden, was mit dem Paar zu tun hat, und als Manager komplett versagten.

Ich bin nicht der Manager, ich koordiniere als Trainer die Termine. Mit Sponsoren spreche ich auch, seit Jahren. Wir haben auch eine Agentur, die kümmert sich. Kürzlich hieß es, ich hätte ein Angebot des großen Vermarktungsunternehmen IMG abgeschlagen - eine Lüge. Wenn so etwas aber erstmal in der Zeitung steht, ist es schwer zu widerlegen.

Warum bringt die Vermarktung Ihrer beiden Läufer nicht mehr Geld als die Förderung der Sporthilfe?

Ich bin da Realist. Mandy Wötzel und ich hatten damals - und da ging es Deutschland wirtschaftlich noch besser - gerade mal zwei Firmen als Sponsor. Und keine von denen war eine deutsche. Wir waren überhaupt die einzigen, die Sponsoren hatten. Es ist sehr, sehr schwer, im Eiskunstlauf einen großen Sponsor zu bekommen. Wir haben auf unserer Wettkampfkleidung ja auch keine Werbefläche. Aber wir kämpfen darum. Ich habe schon immer gekämpft, auch als Sportler. Ich kämpfe für das Eiskunstlaufen in Deutschland.

Kämpfen Sie auch um Ihren Job?

Ich kann überall arbeiten als Trainer und Choreograph, in den USA zum Beispiel oder in Kanada, ich habe gute Angebote. Aber ich möchte es hier in Deutschland schaffen.

Geht es Ihnen um Anerkennung in der Heimat?

Anerkennung brauche ich nicht, ich habe in meiner eigenen Karriere doch alles erreicht. Das Produkt in meinem Kopf entstehen zu sehen und die Freude darüber beim Publikum - das treibt mich an. Allerdings wäre es auch schwer für mich, Chemnitz hinter mir zu lassen. Das ist meine Heimat, da habe ich meine guten Freunde. Die sagen mir übrigens auch, wenn ich meine Klappe zu weit aufgerissen habe.

Interview: Iris Hellmuth und Wigbert Löer

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