Einsam zieht der THW Kiel seit Wochen an der Tabellenspitze der Handball-Bundesliga seine Kreise. Nach dem deutlichen 36:28-Erfolg über die Füchse Berlin sollte auch dem letzten Skeptiker klar sein, dem THW Kiel ist die Deutsche Meisterschaft 2012 nicht mehr zu nehmen.
Dabei hatte der Rekordmeister nach einer verkorksten Vorsaison verkündet, die neue Spielzeit ohne eine einzige Neuverpflichtung anzugehen. Verblüffte Beobachter wurden jedoch schnell eines Besseren belehrt. Denn durch die Rückkehr der Langzeitverletzten Daniel Narcisse, Kim Andersson und Marcus Ahlm konnte Trainer Alfred Gislason in dieser Saison endlich wieder aus dem Vollen schöpfen. Und bislang ging die Planung auf, im Unterschied zum HSV Hamburg, dem Deutschen Meister von 2011.
Waren es letzte Saison die Kieler, die einen Ausfall nach dem nächsten zu beklagen hatten, so ist in dieser Spielzeit der 14-Mann-Kader der Hanseaten von Verletzungen und kleineren Blessuren schwer gebeutelt. Nach dem Aus in der Champions-League und der Verletzung von Torhüter Johannes Bitter kann das Ziel der Hamburger inzwischen nur noch die erneute Qualifikation für die Champions League sein.
Kaderstärke finanziell vorgegeben
Im Unterschied zur Fußball-Bundesliga, wo Wolfsburg-Trainer und Manager Felix Magath derzeit einen Hofstaat mit 37 Spielern zusammenhalten muss, sind die finanziellen Mittel im Handball beschränkt. Die meisten Teams leisten sich daher einen Kader, der sich an den 14 Spielern, die pro Spiel zum Einsatz kommen dürfen, orientiert.
Mannschaften aus der unteren Tabellenhälfte haben lediglich einige Spitzenspieler vorzuweisen, Verletzungen können hier zu überraschenden Talfahrten führen. Aber auch bei den Spitzenteams aus Kiel, Hamburg, Berlin, Flensburg und Mannheim machen sich Ausfälle schnell bemerkbar.
Enorme Belastungen durch Spieldichte
Die hohe Anzahl der zu bestreitenden Partien in der Liga, dem DHB-Pokal, den europäischen Wettbewerben und der eigenen Nationalmannschaft zerrt an den Kräften der Spieler der Spitzenclubs. Es bleibt kaum Zeit zur Regeneration und die Leistungsdichte der Handball-Bundesliga verstärkt die Belastung enorm. Während andere europäische Spitzenclubs innerhalb ihrer Liga teilweise leichtes Spiel haben, können sich die deutschen Spitzenvertreter keine Auszeiten gönnen.
Bitter zu spüren bekam dies in der letzten Saison der THW Kiel, der nach überraschenden Heimpleiten gegen Großwallstadt und die Rhein-Neckar-Löwen frühzeitig die Meisterschaft wegschenkte. Dass sogar vermeintliche Abstiegskandidaten zur Stolperfalle werden können, musste in dieser Saison der HSV feststellen, der beim 26:26 gegen den TV 05/07 Hüttenberg sträflich einen Punkt liegen ließ.
Kaum Regenenerationszeit
Die enorme Belastung ist wohl auch Grund für manchmal unerklärbar erscheinende Formtiefs einzelner Akteure. Allzu oft müssen Spieler leicht angeschlagen in die Partien gehen, da ihr Einsatz unverzichtbar ist. Viel zu früh begann die Saison beispielsweise für Lars Kaufmann.
Nach einem Sehnenriss im rechten Daumen, den sich der Nationalspieler im Dienst der SG Flensburg-Handewitt im Sommer zugezogen hatte, gelangen dem Rückraumschützen in den ersten sieben Saisonspielen gerade einmal 12 Treffer. Eine desolate Leistung auf der sogenannten Königsposition. Allmählich genesen konnte Kaufmann seine Bilanz bis zur Handball-EM immerhin noch auf 48 Zähler hochschrauben.
Überspielter HSV
Trotz der Schwächephase von Lars Kaufmann und verletzungsbedingter langfristiger Ausfälle von Viktor Szilagyi und Jacob Heinl spielen die Flensburger bislang eine überaus erfolgreiche Serie. Grund dafür dürfte sicherlich auch die geringere Erwartungshaltung an der Flensburger Förde sein, wo man nach deutlichen Pleiten in der Hinrunde gegen Kiel und Hamburg nicht in Panik verfiel. Anders sieht die Situation beim HSV Hamburg aus.
Nicht erst seit dem überraschenden Punktverlust in der Sporthalle Gießen-Ost gegen den TV Hüttenberg wirkt das Team überspielt. Zu viele Spieler wurden angeschlagen durch die Saison geschleppt. Zudem wirkt der Ausfall von Oscar Carlén schwer. Mit Domagoj Duvnjak, Hans Lindberg und Guillaume Gille standen bislang gerade einmal drei Spieler bei jedem Bundesligaeinsatz auf dem Parkett.
Zuletzt verletzte sich auch noch Torhüter Jogi Bitter. Als Ersatz ist ausgerechnet Zoran Djordjic im Gespräch. Der 45-jährige Schlussmann ist Vater des aufstrebenden Talents Petar Djordjic, der dem HSV mit seinen tollen Leistungen auf der Halblinksposition im Trikot des SG Flensburg-Handewitt zuletzt die Champions-League-Hoffnungen der Hamburger ins Wanken brachte.
Ersatz nur gegen Bares
Gleichwertigen Ersatz für die verletzungsbedingten Ausfälle zu finden, ist dabei kein leichtes Unterfangen. Viel hängt von den finanziellen Möglichkeiten ab. In der letzten Saison lockten die Kieler nach den Ausfällen von Daniel Narcisse und Marcus Ahlm mit Jérôme Fernandez und Robert Arrhenius zwei international erfahrene Spieler in den Norden, um ihren Kader wieder auf 14 Mann aufzustocken.
Aber auch sie konnten nicht verhindern, dass der THW am Ende der Saison nur Platz 2 belegte. Tragisch verlief der Hilfseinsatz dagegen für Renato Vugrinec, der während dieser Spielzeit als Ersatz für die Halbrechtsposition zum HSV Hamburg wechselte. Anfang März zog sich der Routinier einen Innenband- und Kapselriss im rechten Knie zu und fehlt seinem Team nun ebenfalls in der entscheidenden Saisonphase.
Gesundes Team bedeutet keinen automatischen Erfolg
Genau in dieser Phase kehrte hingegen bei den Füchsen Berlin Alexander Petersson zurück ins Team. Der Isländer verletzte sich bei der EM am Wurfarm und fiel über zwei Monate aus. Im Champions-League-Rückspiel beim HSV Hamburg feierte er jedoch ein umjubeltes Comeback mit vier Treffen.
Dass aber nicht allein ein gesundes Team aus 14 Spielern Erfolg garantiert, mussten die Berliner gerade erst in Kiel am eigenen Leib erfahren. Während bei den Kieler mit Henrik Lundström und Tobias Reichmann gleich beide Rechtsaußen angeschlagen in die Partie gingen, konnte Füchse-Trainer Dagur Sigurdsson beim Rekordmeister auf den kompletten Kader zurückgreifen. Trotzdem waren die Füchse chancenlos und konnten am Ende froh sein, dass die Niederlage nicht zweistellig ausfiel.
Jonas Füllner