Neue Dokumentation Jan Ullrich blickt auf sein Leben zurück – und nennt es "die Hölle"

Jan Ullrich
Jan Ullrich spricht bei der Präsentation einer Amazon-Doku über sein Leben
© Ulrich Gamel/Kolbert-Press / DPA
Jan Ullrich hat sich zwei Jahre lang für eine Dokumentation begleiten lassen. Bei ihrer Vorstellung spricht der Ex-Radprofi über seine Vergangenheit – und macht um ein Thema weitgehend einen Bogen.

Es war nur eine schmale Bühne in einem Münchener Hotel, auf der er saß, und das Publikum war auch ein kleines, und doch wirkte Jan Ullrich fahrig. Er wusste nicht, wohin mit seinen Händen, mitunter stockte ihm die Stimme. Ullrich hatte sich vorgenommen, "die Wahrheit" zu erzählen, wie er ankündigte. Die Wahrheit zu sagen, das konnte in seinem Fall nur heißen: Eine Doping-Beichte abzulegen.

Ullrich, 49 Jahre alt, ehemaliger Radprofi des Team Telekom und Gewinner der Tour de France 1997, quälte sich aber dann ziemlich. Der Satz "Ich habe gedopt" wollte ihm nicht über die Lippen kommen. Ullrich legte ein indirektes Geständnis ab. Seine frühere Behauptung, "dass ich niemanden betrogen habe, war natürlich falsch", sagte er, denn seine Fans habe er schon getäuscht. Über viele Jahre, seit seiner Suspendierung vom Team T-Mobile unmittelbar vor dem Start der Tour der France 2006, hatte sich Ullrich stets in einen rhetorischen Kniff geflüchtet. "Ich habe niemanden betrogen" bedeutete nach seinem Verständnis: Weil alle Rennfahrer manipuliert haben, habe ich nicht betrogen. Ich war lediglich einer von vielen – letztlich herrschte Waffengleichheit.

Doku "Jan Ullrich – der Gejagte"

Anlass für seinen Auftritt in München war die Präsentation der Dokumentation "Jan Ullrich – der Gejagte", die ab dem 28. November bei Amazon Prime zu sehen sein wird. Gezeigt wurde die erste Folge, und in dieser wird Ullrich deutlicher als zuvor auf der Bühne. Er räumt ein, bei einer Italien-Rundfahrt Blutdoping betrieben zu haben. Er habe "einen Beutel gehabt", sagt Ullrich, also einen Plastikbeutel mit medizinisch aufbereitetem Eigenblut. Dieses wurde vor der Wettfahrt per Transfusion in den Körper zurückgeführt. "Wenn man das Blut wiederbekommt, merkt man schon einen Schub", sagt Ullrich in der Dokumentation.

Das ist dann auch schon fast alles, was Ullrich zu diesem Thema sagt. Den spanischen Gynäkologen Eufemiano Fuentes, dessen Hauptjob nicht Frauenheilkunde war, sondern Blutdoping, nennt Ullrich einen "sehr sympathischen Menschen", bei dem er das Gefühl gehabt habe: "Dem kann ich vertrauen."

Ullrich die allenfalls dürren Einlassungen zum Doping zum Vorwurf zu machen, wäre wohl falsch. In späteren Folgen der Doku-Serie werde Ullrich konkreter und ausführlicher über seine Manipulationen äußern, deutete der Regisseur Sebastian Dehnhardt am Donnerstagabend in München an. "Wir wollen die Spannung noch hochhalten und nicht zu viel verraten."

Doping bei der Tour de France 1997?

Tatsächlich sind wesentliche Fragen noch nicht beantwortet: War Ullrich auch bei seinem Tour-Sieg 1997 gedopt? Wer organisierte das Doping? War sein Team über die Machenschaften informiert – und womöglich auch der Sponsor, die Telekom? Warum hat Ullrich über all die Jahre Doping geleugnet, wo doch viele seiner früheren Team-Mitglieder bereits 2007 Geständnisse abgelegt hatten?

Die Aufarbeitung seines früheren Lebens als Rennfahrer sei für ihn schmerzhaft und befreiend zugleich gewesen, sagte Ullrich. Zwei Jahre hatte er sich für die Dokumentation begleiten lassen. "Es sind viele Tränen geflossen. Ich hatte schlaflose Nächte, ich hatte Panikattacken. Aber ich habe einen Rucksack für mich abwerfen können."

Er nennt sein Leben "die Hölle"

In seinen Lebenslügen, seinem langen Schweigen zu Doping, sieht Ullrich heute den Grund für seine schwere Krise vor fünf Jahren: "Ich konnte meine Vergangenheit selbst nicht mehr ertragen." Er habe damals "Whiskey wie Wasser getrunken" und Kokain genommen. Die Drogenexzesse seien massiv gewesen, "da ging es um Leben und Tod".

Ullrich beließ es am Dienstagabend bei Andeutungen, es waren kleine Einblicke in ein Leben, dass er heute "die Hölle" nennt. Ein Leben, das bislang noch unerzählt ist. Man darf gespannt sein, wie sehr Ullrich sich öffnen wird – und was für ihn die sogenannte ganze Wahrheit sein wird. 

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