NFL Any Given Wednesday - Tim Tebow unter der Lupe

Denvers Quarterback Tim Tebow spaltet im Moment die Geister in der NFL. Sein erster voller Auftritt am Wochenende liefert Argumente für beide Seiten - schließlich spielte er über 55 Minuten ein grausiges Spiel und führte dann die Broncos doch noch zum Sieg. Was ist also dran an Tim Tebow?

Über gut 55 Spielminuten sah es in Miami so aus, als würde Tim Tebows Debüt als Starter der Denver Broncos als absolutes Debakel in die Geschichte eingehen. Doch dann besann sich der einstige University of Miami-Held an alter Wirkungsstätte eines besseren und drehte mithilfe seiner Mitspieler ein 0:15 in einen Sieg – und trotzdem konnte der von einigen als neuer Heilsbringer in Denver verehrte Tebow mich nicht davon überzeugen, dass er eine lange und gesegnete NFL-Karriere vor sich hat.

Warum? Der Mann hat eine Streuung, die Ma Daltons Schrotflinte vor Neid erblassen lassen würde. Da wurden Receiver, denen jeder andere, halbwegs zu Würfen fähige NFL-Quarterback den Ball zum langen Touchdown in die Arme geworfen hätte, um gute zwei, drei Meter verfehlt. Manchmal hatte man das Gefühl, Tebow warf einfach dahin, wo er dachte, dass sich sein Mitspieler befindet.

Dazu kam einer der typischen Fehler eines laufenden Quarterbacks, wie er dies nun einmal ist: Er hielt den Ball teilweise zu lang fest, wegwerfen war für ihn fast nie eine Option. Das Ergebnis: Sieben Sacks, die Tebow einstecken musste. Dazu fehlte, wie bei den oben genannten Würfen, das eine oder andere Mal einfach die Spielübersicht.

Genug gemeckert

Wären die letzten Minuten und das Comeback nicht gewesen, würden diese Absätze fehlen. Doch Tebow besann sich zum Ende der Partie eines besseren – vielleicht war er aber auch erst dann im Spiel angekommen. Schließlich spielte er an seiner alten Wirkungsstätte, an der er für die Florida Gators für Furore und für Titel gesorgt hatte. Die Fans in Miami – die auf einmal in Scharen kamen, um den ehemals ihrigen nun als Gegner zu sehen – ließen ihn dazu jeden falschen Wurf, jede falsche Entscheidung spüren: die „Tebow-Tebow“-Rufe hatten einen nicht zu überhörenden Unterton.

Zum Ende des Spiels spielte Tebow jedoch seine Stärken aus und ließ die Schwächen verschwinden. Auf einmal waren die Pässe genau dort, wo sie sein sollten. Der Pass zum zweiten Touchdown auf Tigh End Daniel Fells war einer von der Sorte, wie man sie in Denver kennt. Keine Sorge, hier kommt kein Vergleich zu John Elway – Tebow hat einen langen, langen Weg vor sich, um überhaupt in einem Atemzug mit dem Duke of Denver genannt zu werden. Nein, dieser Rollout nach rechts erinnerte mich stark an Jake the Snake Plummer zu seinen besten Zeiten.

The Snake 2.0? Nein, aber hoffentlich ein Broncos-QB

Das ist aus meiner Tastatur wirklich ein Kompliment, denn Jake war für mich der letzten echte Typ, den die Broncos als Quarterback hatten. Übrigens einer seiner typischen Fehler: Zu lange den Ball festhalten und eher den Sack zu nehmen, als den Ball wegzuschmeissen. Das kommt doch bekannt vor. Jake war für mich die Art von Gunslinger, die mich begeistert. Er mochte nicht immer das perfekte Spiel zeigen, aber er wollte auch nicht nur den Ball verwalten, sondern mit Händen oder Füßen für Siege sorgen.

Plummer hängte übrigens nach seiner Degradierung zugunsten Jay Cutlers eine Footballschuhe an den Nagel und spielte die amerikanische Variante des Handballs, eine Art Squash ohne Schläger. Die NFL war von da an für ihn abgeschlossen – konsequent, aber auch schade für seine Fans wie mich.

An Jakes eher lustige Eskapaden – Hippiefrisur und -bart, Hochzeit mit einem Broncos-Cheerleader oder sein legendäres Spielerfoto mit Porno-Schnurrbart – wird Tebow wohl alleine aufgrund seiner Lebenseinstellung nicht rankommen. Deswegen heißt er aber auch Tebow und nicht Plummer und das ist auch gut so. Ich muss nicht mit Tebows ultrareligiöser Haltung übereinstimmen, trotzdem kann ich ihn gerne spielen sehen – aber bitte, konstanter werfen lernen.

Tebow, Potter, Frodo – zu viel Hype?

Was mir an der gesamten Tebow-Geschichte noch nie gefallen hat und gefallen wird, ist der Hype, der von Beginn an um ihn gemacht hat. Dafür kann er in erster Linie gar nichts – außer das das Schreiben einer Autobiografie im zarten Alter von 23 Jahren vielleicht etwas übertrieben war. Ansonsten kann er wirklich wenig dafür, dass er, passend zu seiner religiösen Einstellung, von vielen als der Quarterback-Messias der Broncos angesehen wird.

Solch ein Hype macht mich meist zu skeptisch. So wie ich Harry Potter zunächst nicht mit der Kneifzange anfassen wollte oder die Herr der Ringe-Filme verweigerte, weil ich den Hype nicht mitmachen wollte. Genau dies ist auch das Phänomen, warum ich bis heute Lost nicht gesehen habe. Mit J.K. Rowling und Peter Jackson habe ich dagegen meinen Frieden gemacht, heute mag ich deren – wohl zu recht – gehypte Werke. Im Gegensatz dazu hat mich Tebow noch nicht überzeugt. 

Die Letzten werden die Sieger sein... im Draft

Das Spiel in Miami in der letzten Woche galt natürlich auch als eines der Spitzenspiele um den möglichen letzten Platz am Ende der Saison – gleichbedeutend mit dem ersten Pick im Draft 2012. Als absolut sichere Nummer eins gilt dabei Quarterback Andrew Luck von der Stanford University. Luck ist nach Ansicht vieler Experten der NFL-Spielmachertraum schlechthin.

Nicht umsonst wurde bereits mehrfach der Wettbewerb Suck for Luck ausgerufen – Übersetzung wohl überflüssig. Wenn es denn doch nötig scheint: Einigen Teams wird bereits unterstellt, mit Absicht die Saison abzuschenken, um sich die Dienste des Ausnahme-Quarterbacks zu sichern. Davon kann man nun halten, was man will, eines steht fest. Kaum ein NFL-Spieler wird auf dem Feld schlechter spielen, damit sein Team Chancen auf Luck. Kann er – mal abgesehen vom sportlichen Ehrgeiz – auch gar nicht. Dafür ist das Spiel in dieser Liga viel zu gefährlich. Wer nur mit halber Kraft spielt, aber mit ganzer Kraft getackelt wird, der dürfte nicht nur um Luck, sondern genauso mit seiner Gesundheit spielen.

Denver und die Miami Dolphins sind natürlich zwei der Teams, die als heiße Anwärter auf die Luckschen Dienste gesehen werden. Denver fiel durch den Sieg auf jeden Fall schon einmal aus meiner Top Fünf aus, während die sieglosen Dolphins sich natürlich weiter in diesem illustren Kreis sehen dürfen oder müssen. Ebenso wie die Indianapolis Colts, die mit 7:62 in New Orleans böse verprügelt wurden. Das Trio mit der großen Null vorne komplettieren die St. Louis Rams, 7:34 hieß es für sie in Dallas.

Mit 1:6 haben die Minnesota Vikings zwar wenigstens einen Sieg mehr als die anderen Drei auf dem Konto, und gegen Green Bay schlug man sich einigermaßen tapfer – aber dieses Team, das gerade einmal knappe zwei Jahre vom NFC Championship Game entfernt ist, kann mich so gar nicht überzeugen. Als letztes sind wieder einmal die Arizona Cardinals die fünften im Bunde, in der Wüste geht es nach einem 20:32 gegen Pittsburgh weiterhin nicht aufwärts.

Kurz und schmerzlos

Bei den Top Fünf wird es dieses Mal schwer. Gut, bei den Green Bay Packers werde ich bis auf weiteres nur den Namen des Teams hinschreiben – bis sie das erste Spiel verlieren. New Orleans mit dem Kantersieg über die Colts und einer Glanzleistung von Drew Brees, der sozusagen fünf Touchdowns aus dem Arm schüttelte, gehört hier ebenso rein. Dann wird es jedoch eng – hatten doch mit den San Francisco 49ers, New England Patriots, Buffalo Bills, Cincinnati Bengals und New York Giants gleich fünf der besten Teams der Liga spielfrei.

Für die Leistungen in dieser Woche muss man deswegen wohl zum einen die Pittsburgh Steelers erwähnen, auch wenn die Cardinals nicht der richtige Maßstab sind. Ein weiteres Team, das mich insgesamt nicht überzeugen konnte, dies in dieser Woche jedoch tat, waren die Houston Texans. Die entschieden bei den Tennessee Titans den Kampf um die Vorherrschaft der von den Colts verlassenen Divisionskrone der AFC South auf eine beeindruckende Art und Weise für sich und siegten 41:7.

Den fünften Platz vergebe ich mal ehrenhalber – denn die Carolina Panthers stehen eigentlich mit einer 2:5-Bilanz da. Also nichts, was im Normalfall für eine Platzierung unter den Besten reichen dürfte. Doch Cam Newton und der Rest der Panthers gewannen nach ansehnlichen Leistungen in den Vorwochen ihr zweites Spiel. Wenn man sich in Carolina in den nächsten Jahren nicht allzu unglücklich anstellt, dürfte noch einiges für dieses Team drin sein.

Sven Kittelmann

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