Bis nach Alpe d'Huez hinauf musste Andy Schleck warten, bis er endlich das Gelbe Trikot überstreifen durfte. Nach nur einem Tag ist er das Maillot Jaune aber schon wieder los - an Cadel Evans, den designierten Toursieger 2011. Zwar wurde der BMC-Kapitän beim Zeitfahren von Grenoble nur Zweiter hinter Tony Martin. Aber Schleck nahm der Australier zweieinhalb Minuten ab.
Auf dem Siegerpodest konnte Evans seine Tränen nicht zurückhalten. "Es ist ein großartiger Tag", jubelte Evans Team-Manager Jim Ochowicz. Vor der abschließenden Etappe über nur 95 Kilometer auf die Pariser Champs Elysées hat der Weltmeister von 2009 1:34 Minuten Vorsprung auf Leopard-Fahrer Schleck.
Nach zwei zweiten Plätzen 2007 und 2008 hat es endlich für den ersten australischen Gesamtsieg in 108 Jahren Tour-Geschichte gereicht - wenn nicht noch etwas ganz Sensationelles passiert. Nur noch ein schwerer Sturz könnte die Jubelfeier am Sonntag verhindern. Rekordsieger Lance Armstrong twitterte gleich nach Rennende seine Glückwünsche an Evans.
Tour im Fernsehen gesehen, dann 20 Jahre auf diesen Moment gewartet
"In diesem Jahr war ich zum ersten Mal bei der Tour in Topform. Ich habe vor 20 Jahren meine erste Tour im Fernsehen gesehen und mich seither voll dem Radsport gewidmet", sagte der 34-jährige Evans, der im Ziel nach dem Kampf gegen die Uhr auf sehr anspruchsvollem Parcours Martins Bestzeit fast noch unterboten hätte.
Andy Schleck, der wie Evans auf den vergangenen Alpen-Etappen Schwerstarbeit zu verrichten hatte, verlor auf den neuen Spitzenreiter 2:31 Minuten. Ein weiteres Mal bewies er, dass Zeitfahren nicht sein Metier ist.
Beim Start in Grenoble hatte Andy Schlecks Zeitpolster vor Evans, der die Strecke im Gegensatz zu den Schlecks von der Dauphiné kannte, 57 Sekunden betragen. Schon 22 Kilometer vor dem Ziel hatte Evans seinen Rückstand egalisiert. Danach schien er wie auf Wolken zu schweben und vergrößerte seinen Vorsprung auf dem Kurs mit zwei Steigungen kontinuierlich.
Martin wie beim Dauphiné
Ein überglücklicher Tony Martin lag auf dem Asphalt 300 Meter hinter der Ziellinie und hatte alle Viere von sich gestreckt. "Dieser Etappensieg hat mich entschädigt. Das ist die Erfüllung eines lang gehegten Traums. Aber sportlich gesehen, nicht für die Autogramm-Karte, wäre mir ein achter Platz im Gesamtklassement lieber gewesen", sagte Martin, nachdem er wieder etwas zu Luft gekommen war.
Den überragenden Zeitfahrer der vergangenen Jahre, Weltmeister und Olympiasieger Fabian Cancellara aus Schlecks Leopard-Team, distanzierte der 26-jährige HTC-Profi um 1:42 Minuten. Allerdings war der Schweizer auf zum Teil regennasser Straße unterwegs.
Nach drei Wochen Tour-Tortur war Martin auf identischem Kurs am Samstag nur fünf Sekunden langsamer als bei seinem Zeitfahrsieg im Juni bei der Rundfahrt Dauphiné Libéré. "Ich habe gleich zu Beginn gemerkt, dass es heute läuft", sagte Martin, der nach seinem Sturz vom Donnerstag gehandicapt ins Rennen gegangen war. Zudem machten ihm weiter seine Rückenprobleme zu schaffen, aber die Physiotherapeuten des Teams hätten ihn "für eine Stunde" beschwerdefrei gemacht.