Als Alberto Contador unter Buh-Rufen das Gelbe Trikot an sich gerissen hatte, kochte der geschlagene Andy Schleck vor Wut. "Er bekommt dafür sicher keinen Fairplay-Preis. Mein Bauch ist voller Ärger. Ich werde dafür Revanche nehmen", sagte Schleck mit giftigem Blick in Richtung Contador. Der Spanier hatte auf der 15. Etappe von Pamiers nach Bagneres-de-Luchon ein technisches Malheur des bisherigen Spitzenreiters eiskalt ausgenutzt.
Die wohl entscheidende Szene der 97. Tour de France ereignete sich im Anstieg zum Port de Bales knapp 20 Kilometer vor dem Ziel, als Schleck bei einer eigenen Attacke die Kette heruntersprang. Während der Luxemburger sein Rad mit zittrigen Fingern wieder reparierte, zog Contador mit starrem Blick unbeeindruckt davon und erreichte 39 Sekunden vor seinem großen Rivalen das Ziel. Acht Sekunden liegt der Vorjahressieger nun vor Schleck.
Schleck macht Contador ein schlechtes Gewissen
Contador mimte hinterher den Ahnungslosen. "Als ich an ihm vorbeigefahren bin, habe ich nicht gewusst, dass er einen Defekt hatte", behauptete Contador. "Das habe ich erst später erfahren, doch da war der Vorsprung schon zu groß." Trotzdem ließ es sich der Spanier nicht nehmen, den Schlusssprint anzuziehen, um weitere Sekunden herauszuholen.
"So würde ich nicht die Tour gewinnen wollen", ergänzte Schleck. Contador versuchte dagegen die Szene herunter zu spielen: "Ich kann verstehen, dass er enttäuscht ist, aber die Tour wird nicht durch diese 30 Sekunden entschieden. Für mich war es wichtig, Zeit auf meine Gegner herauszuholen."
Der "Tourminator" gibt sich diplomatisch
Lance Armstrong wollte indes nicht weiter Öl ins Feuer gießen. "Ich habe es nicht gesehen, aber die Szene scheint ein wenig merkwürdig gewesen zu sein. Sie ereignete sich in der Hitze des Gefechts. Man sollte es nicht vergleichen mit der Szene zwischen Jan Ullrich und mir im Jahr 2003", sagte der Amerikaner. Damals war Armstrong gestürzt und Ullrich hatte Größe gezeigt. Der Toursieger von 1997 verlangsamte damals wie die restlichen Spitzenfahrer auch das Tempo.
Diesmal war es anders: Mit Wut im Bauch hatte Schleck den Berg der höchsten Kategorie erstürmt, den Pass 20 Sekunden nach Contador überquert und sich mit vollem Risiko in die Abfahrt gestürzt. Allerdings schien der 25-Jährige sein Pulver zu früh verschossen zu haben. "Ich weine dem Trikot keine Träne nach. Das Rennen ist noch nicht vorbei", sagte Schleck. Sein Vater Johny sah die Situation deutlich entspannter, eine Unsportlichkeit von Contador sah der Ex-Profi nicht. "Er hätte nicht warten müssen. Hier macht keiner Geschenke."
Bis zu Schlecks Pech blieb das angedachte Pyrenäen-Spektakel aus. Schleck und Contador hatten bei einer sommerlichen Bummelfahrt ihr Pokerspiel fortgesetzt und sich belauert. Immerhin zeigte sich das Team Milram durch den Australier Luke Roberts erstmals seit langem wieder in einer Fluchtgruppe.
Voecklers Attacke zum Etappensieg
Frankreichs Liebling Thomas Voeckler, der seit seinen zehn Tagen im Gelbe Trikot bei der Tour 2004 ein Held der "Grande Nation" ist, setzte die entscheidende Attacke am Port de Bales – und hielt diesen Vorsprung bis zum Ziel. Aus der zehnköpfigen Spitzengruppe machte sich nur Ex-Weltmeister Alessandro Ballan auf die Verfolgung, Milram-Profi Roberts verlor den Anschluss.
In der Favoritengruppe beschleunigte Schleck knapp fünf Kilometer vor dem letzten Pass des Tages erstmals, eine ernsthafte Attacke setzte der Luxemburger zunächst allerdings nicht. Contador und selbst der sportlich bisher enttäuschende Armstrong hatten keine Probleme, dass Tempo zu halten. Erst Schlecks zweiter Angriff saß, doch nach wenigen Metern folgte der unfreiwillige Stopp.
Am Dienstag steht die erste von zwei Überquerungen des Col du Tourmalet auf dem Programm. Auf der 199,5 km langen Etappe von Bagneres-de-Luchon nach Pau muss das Peloton zwei Berge der ersten und neben dem Tourmalet noch einen weiteren Berg der höchsten Kategorie überqueren. Der letzte Pass liegt allerdings 50 km vor dem Ziel, so dass sich in der Gesamtwertung wohl keine große Veränderungen ergeben werden.