"Von uns wird verlangt, dass wir über China richten, und die Politiker halten sich zurück. Dabei sind wir am Ende das schwächste Glied in der Kette. Ich finde das zu billig." Timo Boll ärgert sich über den von vielen Seiten geforderten Boykott der Olympischen Spiele in Peking und ist der Meinung, diese Entscheidung sollte nicht von Sportlern, sondern von Politikern getroffen werden, die die Situation in China besser einschätzen könnten. Der beste deutsche Tischtennisspieler hat für sich selbst jedoch eine Entscheidung getroffen: "Ich werde nicht boykottieren", sagt Boll. Das möchte er den Menschen dort nicht antun, die sich auf die Spiele freuen. Timo Boll mag die Chinesen und meint, ein Boykott wäre kontraproduktiv und würde zu noch größerer Fremdenfeindlichkeit und zur Distanzierung des chinesischen Volkes zum Rest der Welt führen.
Auch die Chinesen mögen Boll. Im Land des Olympia-Gastgebers ist der 27-Jährige ein Superstar. Seine Fans lieben ihn. Wenn er dort ist, warten Groupies in der Hotelhalle auf ihn. Vor Kurzem wurde Boll zum "Sexiest Europäer" gewählt. Der Weltranglisten-Fünfte schreibt regelmäßig Kolumnen für eine chinesische Sportzeitung sowie eine Website, in denen er über seine Karriere berichtet. Im April wird das chinesische Staatsfernsehen eine Reportage über den Deutschen drehen - als ernst zu nehmender Gegner der chinesischen Olympiateilnehmer. Die Gegner haben Respekt vor seiner Leistung und seinem Talent. Und sie bereiten sich auf den europäischen Rivalen besonders gut vor: Sie kennen sein gesamtes Spiel durch Videoanalyse, jede seiner Bewegungen - und haben angeblich Sparringspartner, die die Spielweise ihres europäischen Gegners imitieren.
Boll spielte für ein chinesisches Team
Auch Boll kennt die chinesischen Tischtennisspieler gut: Im Sommer 2006 wurde er von der Mannschaft Zhejiang Hongxiang verpflichtet und absolvierte zehn Spiele in der ganzen Volksrepublik. Aus Sympathie hatte er sich auch vorgenommen, während dieser Zeit die Sprache zu erlernen. Doch die Reisen durch das riesige Land zu den weit entfernten Spielorten waren zu lang und zu beschwerlich. Zeit, um die vollkommen andere Sprache zu lernen, blieb nicht übrig. Ein paar einfache Worte hat er sich bei seinen vielen Aufenthalten doch angeeignet.
Der eher zurückhaltend wirkende Boll nimmt den Hype um seine Person gelassen. Er will nicht nur ein ernst zu nehmender Gegner sein, sondern Sieger gegen die starken Chinesen. "Die Olympischen Spiele sind mein großes Ziel. Dafür werde ich mich quälen", sagt Boll, der bei den Deutschen Meisterschaften am vergangenen Wochenende zwar bis ins Halbfinale vordringen konnte, aber nach einer achtwöchigen Zwangspause wegen einer Knieverletzung noch viel Trainingsrückstand hat. Bei einigen Gegnern, die er in seiner Normalform mit 4:0 abgefertigt hätte, tat er sich noch schwer. "Viele waren vielleicht ein bisschen geschockt, wie ich hier gespielt habe", sagt Timo Boll nach seinem knappen 4:3-Achtelfinalsieg. Doch Boll ist nach eigener Aussage geduldig: "Dieses Gefühl kennt jeder Spitzensportler, der eine längere Pause hatte: Da ist erst mal alles weg, was man sich jahrelang antrainiert hatte. "Aber", so Boll, "es kommt auch schnell zurück." Oberste Priorität sei jetzt, dass er gesund bleibe und Wettkampfhärte zurückerlange. Durch Spielpraxis finde er am schnellsten in sein System zurück. Auch das Ballgefühl wird schnell wieder da sein. "Den Feinschliff kann man sich nur über Wettkampfpraxis holen, auch wenn man noch so viel trainiert."
Taktik für Olympia ist festgelegt
Boll plant aber nicht nur den Weg bis zu den Olympischen Spielen. Auch für seine Einsätze in Peking hat er sich eine Taktik zurechtgelegt: Eine Medaille im Mannschaftswettbewerb wäre gut, so dass der Druck im dann folgenden Einzelwettbewerb nicht mehr so groß ist. In der Mannschaft startet er mit seinen Düsseldorfer Bundesliga-Teamkollegen Christian Süß und Dimitrij Ovtscharov. Dabei hofft er auf die Unbekümmertheit des 19-Jährigen Ovtscharov: "Ich kann mich an meine ersten Olympischen Spiele noch gut erinnern. Ich war einfach froh, dabei zu sein", schwärmt Boll und denkt dabei an das Jahr 2000 in Sydney, als er im gleichen Alter war wie sein Teamkollege heute. "Das alles mitzuerleben, ist toll. Dabei kümmert man sich gar nicht mehr so sehr ums Tischtennis. Das kann ein Vorteil sein, man macht sich nicht so verrückt."
Zudem könne das Team von der noch unorthodoxen Spielweise Ovtscharovs profitieren: "Viele Weltklassespieler müssen erstmal die richtige Taktik gegen ihn finden." Ovtscharov - gebürtiger Ukrainer und Sohn eines ehemaligen russischen Nationalspielers - spielte sich in den vergangenen zwölf Monaten in die Weltelite und wurde am Wochenende bei den Deutschen Meisterschaften im Doppel zum ersten Mal nationaler Meister.
Chinesen sind sporbegeistert
Man merkt Boll, dem fünffachen Europameister und zweifachen Vizeweltmeister, an, dass ihm seine erste Olympiamedaille viel bedeuten würde - auch weil er sie in China gewinnen würde. Durch seine häufigen Besuche dort ist ihm das Land sichtlich ans Herz gewachsen. Boll freut sich auf Peking - und auf die Menschen dort, "die so enorm sportbegeistert sind." Natürlich werde die Euphorie für seinen Sport Tischtennis mit die größte sein, aber auch alle anderen Athleten werden davon profitieren "Das Publikum in China ist das euphorischste, das ich je erlebt habe. Das sorgt natürlich während der Wettbewerbe für viel Unruhe - aber jeder Sportler wird viel Spaß daran haben, seine Performance abzuliefern."