Der Champagner spritzt. Der Sieger lacht. Der Tourchef ist erleichtert. Und selbst Lance Armstrong grient auf dem untersten Treppchen des Podests. "Toll, dass ich alter Knacker mit den Jungen mithalten kann", schießt ihm durch den Kopf. Alberto Contador steht zwei Stufen höher, weil ihm das Kunststück gelungen ist, die Mutter aller Rundfahrten mit einem bis aufs Messer zerstrittenen Team zu gewinnen.
Er blickt auf Armstrong herunter und denkt vielleicht, was er tags zuvor offen ausgesprochen hat: "Jeden Sieger freut es, wenn unter den Besiegten große Männer sind." Tourchef Christian Prudhomme hingegen schaut besinnlich zum Podium herüber. Ihm ist zum ersten Mal seit Jahren wieder eine Tour gelungen, die ohne Dopingknaller verlief. Alles ist so wie 2005, als Lance Armstrong noch oben stand und wer von Doping sprach, vom Texaner eigenhändig eingeschüchtert wurde. Jetzt ist der Magier Lance zurück - und abrakadabra, traut sich kein Dopingfall mehr auf eine Touretappe. Da mundet der Champagner gleich noch einmal so gut.
Nur in der Ferne greift ein Mann zum Telefon und ist Spielverderber. "Die Tour ist gut verlaufen. Das Testprogramm wurde konsequent durchgeführt. Vor einer abschließenden Bemerkung möchte ich aber noch alle laufenden Analysen und auch die Nachanalysen abwarten", sagt Pierre Bordry, Präsident der französischen Antidopingagentur AFLD, zu stern.de. Während die einen feiern, sagt der andere schlicht: Warten. Warten, was noch kommen mag. Warten, welchen Bestand die Siegerliste des Jahres 2009 hat.
In drei Wochen kein einziger Dopingfall
Bjarne Riis, der Sieger des Jahres 1996, wurde nach elf Jahren - und einer Dopingbeichte - zur Rückgabe des gelben Trikots aufgefordert. Lance Armstrong, Sieger des Jahres 1999, wurde sechs Jahre später mit Wut- und Triumphgeheul in den Ruhestand in Übersee verabschiedet. "L'Equipe"-Reporter hatten herausgefunden, dass in 1999er Proben des Amerikaners EPO-Spuren waren. 2006, im ersten Jahr nach Lance, konnte sich Floyd Landis nur vier Tage ungetrübt des gelben Leibchens erfreuen. Dann ereilte ihn der Bescheid: Testosterondoping. Sieben Tage nur waren zwischen Dopingtest und Bekanntgabe des Ergebnisses vergangen.
Michael Rasmussen brachte im Folgejahr das gelbe Leibchen nicht einmal bis Paris. Am zweiten Ruhetag in Pau wurde der schlanke Däne als Dopingteufel aus dem Peloton vertrieben. Half die Exorzion? Mitnichten. Sieben Tage war jeweils nur das Pinkeln her, als den Radprofis Beltran, Duenas und Ricco bei der Tour 2008 CERA-Doping attestiert wurde.
2009, bei ungefähr doppelt so vielen Dopingkontrollen, der Mehrzahl davon zudem noch gezielt, gibt es in drei Wochen keinen einzigen Dopingfall. Und Lance Armstrong, der zuletzt noch als mutmaßlicher Doper geschmäht wurde, wird von demselben meinungsbildenden Organ geehrt. "Chapeau, le Texan", titelte die "L'Equipe" und würdigte damit, dass der Altstar das Anrennen der Jungen durch simples Durchhalten abgewehrt hatte.
Der einst brutal seine Schläge setzende Lance Armstrong wird zum Manndecker der Familie Schleck. "L'Equipe" lobt ihn dafür und ergreift nicht die Gelegenheit, die tolle Performance der jungen Generation zu loben. Neben einem Andy Schleck, der zu außerirdisch fährt, als dass ihm nicht auch der Verdacht an den Speichen kleben würde, brillierten am Anstieg zum Ventoux nämlich der junge Italiener Vincenzo Nibali und der Deutsche Tony Martin.
Der Gesamtsiebte Nibali, der noch in den Alpen Armstrong hochgeschleppt hatte, wagte einen frechen Angriff auf dessen dritten Podiumsplatz. Und Martin war kurz davor, sich nach langer Gruppenflucht auf dem Gipfel des Ventoux als eine neue und - wie unverbesserliche Radsportenthusiasten noch immer nicht müde sind zu glauben - saubere Radsporthoffnung in die Geschichtsbücher einzuschreiben. All dies war "L'Equipe" kein Thema. Auch der Mann, der zwei Stufen höher steht als Armstrong und dessen Leistung bei den Tageszeitungen "Le Monde" und "Liberation" Fragen auslöst, war kein Thema. Was ist geschehen?
Schampus sollte im Schrank bleiben
Zum einen wurden in der Redaktion der "L'Equipe" und in den Reihen der Tourorganisatoren ein paar Köpfe ausgetauscht. Hüte schwenken statt Konflikte austragen lautet jetzt die Parole. Zum zweiten hat sich die Zuständigkeit im Antidopingkampf geändert. Sehr vorsichtig setzt Pierre Bordry, Chef der französischen Antidopingagentur, seine Füße in diesem institutionell verminten Gelände. Er will die UCI nicht direkt kritisieren. "Wir haben gut zusammengearbeitet. Ein Vorfall wie der in Andorra (ein UCI-Dopingkontrolleur ließ die vier Astana-Fahrer Klöden, Leipheimer, Contador und Armstrong eine knappe Stunde länger ruhen, A.d.A.) hat sich nicht wiederholt", sagt er. Bordry weist aber darauf hin: "Im letzten Jahr war die AFLD für die Dopingkontrollen bei der Tour de France zuständig. 2009 liegt die Verantwortung in den Händen der UCI."
Als Verantwortlichen für drei Wochen Tour ohne positiven Fall kann man die UCI bezeichnen. Bordry geht noch einen Schritt weiter. Er beklagt: "Die AFLD hat nur Zugang zu den Analyse-Ergebnissen der Urinkontrollen. Die Resultate der Blutkontrollen teilt uns die UCI nicht mit. Ebensowenig die Erkenntnisse aus dem Blutmonitoringprogramm." Die Institution, die Effizienz bewiesen hat, wird außen vor gelassen. Bordry sagt noch: "Uns hat man vor der Tour vor die Wahl gestellt: Entweder diese Art der Zusammenarbeit oder keine."
Angesichts dieser Konstellation bleibt Bordry nur warten, warten, warten. Und auch der Radsportfreund muss sich noch gedulden, um zu erfahren, ob die Reihenfolge Contador vor Schleck vor Armstrong auch den Nachanalysen stand hält. Der Champagner sollte noch im Schrank bleiben.