Explosionsgefahr bei Borussia Dortmund nach Nico Schlotterbecks verbalem Rundumschlag: Die deutlichen Worte und Angriffe des Abwehrchefs auf seine Mitspieler wirkten auch am Donnerstag noch nach. Am Tag nach der 2:2-Blamage (1:1) in der Champions League gegen den norwegischen Vizemeister FK Bodö/Glimt versuchte BVB-Trainer Niko Kovac das Thema abzumoderieren, indem er Verständnis für Schlotterbeck zeigte.
"Wir haben eine riesengroße Gelegenheit liegen gelassen. Das war völlig unnötig", sagte der BVB-Coach. "Dass er als Führungsspieler verärgert ist über das Verhalten, ist völlig normal."
Das, was Schlotterbeck monierte, ist zum einen alarmierend und könnte zum anderen auch für Ärger innerhalb der Mannschaft führen. Immerhin ging der 26-Jährige seine Mitspieler direkt an. "Die Spieler, die reinkommen, verlieren jeden Ball", polterte Schlotterbeck am DAZN-Mikrofon. "Wenn man reinkommt in der 60. Minute, erwarte ich 30 Minuten Volldampf."
Auch wenn der Nationalverteidiger keine Namen nannte, war unschwer zu erkennen, dass er Karim Adeyemi und vor allem wohl Serhou Guirassy meinte. Beide wurden in der 67. Minute eingewechselt und agierten - vorsichtig formuliert - unglücklich. Für Kovac war die öffentliche Kritik an seinen Mitspielern kein Problem: "Als Führungsspieler hat er mit Sicherheit auch das Recht, gewisse Sachen anzusprechen."
Guirassys Lustlos-Auftritte werden zum Problem
Insbesondere bei der Personalie Guirassy scheint der BVB-Coach nun aber in der Zwickmühle zu stecken. Seit der Guineer im ersten Champions-League-Spiel bei Juventus Turin (4:4) einen Elfmeter nicht schießen durfte, wirkt Guirassy bockig wie ein Kleinkind und kickt meist lustlos. Seit Wochen ist der 29-Jährige in der Formkrise, Kovac verteidigte den von ihm "Lebensversicherung" genannten Stürmer dennoch stets.
Auch dieses Mal reagierte er beschwichtigend: "Ihm fehlt derzeit sicher etwas das Selbstvertrauen. Aber da kommt er schon wieder hin." Spannend ist nun, wie Kovac am Wochenende reagiert. Nimmt er den gegen Bodö von Beginn an spielenden und überzeugenden Fábio Silva am Sonntag in Freiburg wieder aus der Startelf? Das könnte für Unverständnis und Unruhe im Team sorgen, solange Guirassy nicht explodiert und endlich wieder liefert.
Schlotterbeck schimpft auf Mitspieler und fehlende Qualität
Auch die stets wohlwollenden Worte Kovacs nach eher mauen Dortmunder Leistungen zuletzt wurden durch Schlotterbecks Ausbruch konterkariert. "Wir spielen Champions League. Das ist viel zu wenig", schimpfte Schlotterbeck nun und polterte angesprochen auf die am Mittwoch zweimal verspielte Führung: "Das ist nicht bitter, sondern einfach schlecht." Der Nationalspieler sprach von "unfassbar schlechten ersten Kontakten" am Ball: "Wir spielen den Pass immer in den falschen Fuß."
Seine Glaubwürdigkeit verlor Kovac indes nicht und hielt seinem Team, das er nach außen sonst immer verteidigt hatte, nach dem Spiel in der Kabine eine Standpauke. "Nach dem 2:2 und dem Unmut, den wir alle spüren, ist das, glaube ich, auch angebracht", sagte Sportdirektor Sebastian Kehl, der vor dem seiner Meinung nach "überheblich" vergebenen Sieg davon gesprochen hatte, das Spiel gewinnen zu "müssen". Die Wahrscheinlichkeit von zusätzlichen Playoff-Spielen im Februar ist nun größer als die direkte Achtelfinal-Qualifikation.
"Ich bin verärgert", schimpfte Kovac diesmal ungewohnt offen. Selbst nach dem Pokal-Aus vor einer Woche gegen Bayer Leverkusen hatte der BVB-Coach das seiner Ansicht sehr gute Spiel seines Teams gelobt.
Welche Auswirkung hat der Ausbruch auf die Vertragsgespräche?
Die Kritik Schlotterbeck birgt außerdem deshalb so viel Brisanz, weil der international umworbene Nationalspieler seit Wochen zaudert, ob er seinen 2027 auslaufenden Vertrag in Dortmund jetzt schon oder überhaupt verlängern soll. Dem Vernehmen nach will Schlotterbeck seine Entscheidung auch von der Perspektive mit dem BVB abhängig machen, Titel gewinnen zu können. Insofern lässt seine Aussage über fehlende Qualität zusätzlich aufhorchen.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass auch Schlotterbeck derzeit nicht über jeden Zweifel erhaben ist. Auch der beste deutsche Innenverteidiger war am Mittwoch an den Gegentoren beteiligt. "Jeder Spieler sollte auch hart mit sich ins Gericht gehen", sagte Kehl unter anderem auch im Hinblick auf die brisanten Aussagen Schlotterbecks.