Der Kreml ist ein Jahrmarkt des Protzes und der Eitelkeiten. Elwira Nabiullina hingegen wirkt wie eine Lehrerin aus den 1960ern – wie eine gestresste Lehrerin. Und doch ist sie die mächtigste Frau im Hof des neuen Zaren. Die Chefin der Zentralbank ist Architektin und Burgherrin der "Festung Rubel" – ein Bollwerk, dass den vereinten Sanktionen des Westens trotzt.
Als der Eurokurs auf unter einen Dollar sank, dürfte die meist mürrisch blickende Nabiullina kurz gelächelt haben, denn sie und ihr Team haben dafür gesorgt, dass die russischen Einnahmen sprudeln, der Staatshaushalt im Plus ist und vor allem, dass der Rubel nicht abgestürzt ist. Ein Zusammenbrechen der Währung, wie vom Westen erhofft, hätte zu einem Ansturm auf die Banken und einem Kollaps des Finanzsystems geführt. Tatsächlich erreicht der Rubel nun einen höheren Kurs als jemals seit 2015 – während es der Euro ist, der abstürzt.

Vergleich mit Hilmar Schacht
Das russische unabhängige Nachrichtenmagazin "Meduza" berichtet, dass frühere internationale Weggefährten, die Arbeit Nabiullinas für den Kreml sehr kritisch sehen. Sie wird mit Hitlers Bankier Hilmar Schacht verglichen und wurde zum Rücktritt aufgefordert – denn nur ihre erfolgreiche Finanzpolitik ermöglicht es dem Kreml, den Krieg zu finanzieren. Doch Nabiullina trat nicht zurück. Laut Meduza sind auch die Gerüchte über mögliche Rücktrittsabsichten falsch. Im Gegenteil, die Chefin soll ihre Mitarbeiter aufgefordert haben, weiterzuarbeiten. Schon am ersten Kriegstag habe Nabiullina ihren Untergebenen gesagt, dass sie nun zusammenarbeiten müssten, "um uns alle zu retten".
Elwira Nabiullina genießt nicht nur das uneingeschränkte Vertrauen Putins, der die gesamte Geldpolitik in ihre Hand gegeben hat – auch international wird ihre professionelle Leistung anerkannt. Sie ist die Architektin des russischen Finanzsystems, das nicht nur im Computer simulierte Stresstests bestanden hat, sondern zweimal den konzentrierten Versuchen des vereinten Westens widerstanden hat, es zum Einsturz zu bringen.
Radikaler Kurswechsel
Der Krieg gegen die Ukraine führte zu einem radikalen Kurswechsel. Vor dem Einmarsch war die Zentralbank dabei, eine moderne, an einem Inflationsziel ausgerichtete Geldpolitik einzuführen – wie sie in entwickelten Volkswirtschaften üblich ist. Dann haben westliche Notenbanken das zuvor Undenkbare getan und über Nacht mehr als zwei Drittel der russischen Devisen- und Währungsreserven von insgesamt rund 630 Milliarden Euro eingefroren. Damals sagte Pawlo Kuchta, ehemaliger Wirtschaftsminister der Ukraine, dass Russland dadurch "im Grunde genommen in einer Sekunde kein Geld mehr hat, um die Stabilität seiner eignen Wirtschaft aufrechtzuerhalten". Mit diesen Methoden sei der Westen in der Lage, den "Krieg mit Russland zu gewinnen, ohne einen einzigen Schuss abzugeben", frohlockte nicht nur Kuchta, sondern auch andere westliche Experten. In Elwira Nabiullina haben sie ihre Meisterin gefunden.
Energische Maßnahmen
Auch über Nacht wurde Russland auf eine Kriegswirtschaft umgestellt. Mit radikalen Maßnahmen verhinderte die Zentralbankchefin den Zusammenbruch der Banken und des Rubels. Der Leitzins wurde auf 20 Prozent angehoben, damit war es praktisch unmöglich, neue Kredite aufzunehmen. Um die Bevölkerung zu beruhigen, wurden die Zinsen für Einlagen auf ein ähnliches Niveau angehoben. Nun wollte niemand mehr abheben. Dazu kamen rigide Devisenkontrollen und die Anweisung, Exporteinnahmen zum größten Teil sofort in Rubel umzutauschen.
Maximierung aller Einnahmen
Der Rubelkurs wurde nicht nur stabilisiert, er stieg und das ermöglichte wiederum ein Absenken des Leitzinses. Die erste Schlacht im Finanzkrieg hat Nabiullina – anders als Putins Generäle – gewonnen. Der Preis dafür ist, dass ihre Pläne für einen Strukturwandel der russischen Wirtschaft dauerhaft auf Eis gelegt sind. Abzuwarten bleibt, ob der Westen nicht doch eine Methode entwickelt, ihre Rubel-Festung zu knacken. Nur wie? Nabiullina hat nicht einmal gezuckt, als der Westen Hunderte von Milliarden eingefroren hat. Und die steigenden Preise für Energie, Rohstoffe, Dünge- und Nahrungsmittel werden der Welt und dem Westen massive Schwierigkeiten bereiten – und zugleich die Kassen des Kreml füllen und die Mauern von Nabiullinas Festung stärken.
Quelle: Meduza