Während in Nordrhein-Westfalen Kirchen, Kommunen und Bestatter Sturm laufen gegen die Pläne der Landesregierung, Bestattungen auch außerhalb der Friedhöfe zuzulassen, hat sich wegen der extremen Kostenunterschiede für Verbrennungen und Grabplätze in vielen Orten der Bundesrepublik ein regelrechter Leichentourismus entwickelt.
Wille der Verstorbenen wird ignoriert
Die Pietät und der Letzte Wille der Verstorbenen bleiben im knallharten Geschäft mit den Leichen nach Expertenmeinung häufig auf der Strecke. Beide Bestattungsleistungen sind fast ausschließlich in der Hand öffentlicher Unternehmen. Nach Erhebungen des Verbraucherschutzvereins "Aeternitas" kostet ein Erdwahlgrab je nach Ort zwischen 700 und 1.750 Euro. Die Verbrennung einer Leiche schlägt nach Angaben der Frankfurter Friedhofsverwaltung am Main mit 358 Euro, in Dresden hingegen nur mit 148, dafür in Stuttgart mit 1.050 Euro zu Buche. Zusammen mit den Leistungen der Bestatter summieren sich die Kosten selbst für eine schlichte Bestattung schnell auf 5.000 Euro. Darin sind politisch beschlossenen Gebührenordnungen nach Auffassung des auf Krematorien-Technik spezialisierten Ingenieurs Robin Sircar "total intransparent". Besonders teuer sei es dort, wo sich ein Monopol herausgebildet habe, sagt der "Aeternitas"-Vorsitzende Hermann Weber.
Vergleichsweise preiswert bieten die hoch ausgelasteten Krematorien in den östlichen Bundesländern ihre Leistungen an. Dort war zu DDR-Zeiten die anonyme Urnenbestattung politisch üblich und erfreut sich bis heute hoher Beliebtheit - zumal sich bundesweit die Trends zu Verbrennungen und anonymen Bestattungen seit Jahren verstärken. In der Stadt Frankfurt am Main haben sich Altenheime und Krankenhäuser, aber auch zahlreiche Privatleute bereits für die deutlich billigere Alternative im östlichen Nachbarland entschieden.
Institutionen nehmen das Billigste
"In der Regel nehmen Institutionen das Billigste", sagt der Frankfurter Bestatter Wolfgang Schmidt, der als günstigste Variante Kremation und anonyme Urnenbestattung in Großgruppen in den thüringischen Orten Pößneck und Waltershausen im Angebot hat. Auf seiner Kundenliste finden sich vor allem Krankenhäuser und Pflegeheime, die für ihre Verstorbenen keine zahlungspflichtigen Angehörigen mehr finden. Einäscherung und Grabplatz kommen im Kreis Gotha fast 900 Euro günstiger als am Main, so dass sich die 200 Kilometer lange Fahrt lohnt, berichtet Schmidt, der sich nicht in der Verantwortung sieht. "Ich bin Dienstleister. Die Gebühren sind bei mir nur durchlaufende Posten. Die Entscheidung liegt bei den Kunden."
Kenner wie der Präsident des Bundesverbands Deutscher Bestatter (BDB), Wolfgang H. Zocher aus Wuppertal, zweifeln daran, dass all diese Menschen zu Lebzeiten tatsächlich ihr Einverständnis gegeben haben, nach ihrem Tod verbrannt zu werden. Anders als Angehörige dürften Institutionen seiner Auffassung nach keine Feuerbestattung anordnen, meint Zocher. "Da bewegen sich Kommunen und Heime in einer Grauzone." Aeternitas rät, zu Lebzeiten die genauen Wünsche für die eigene Bestattung schriftlich festzuhalten.
Zentren sind Berlin und NRW
Weitere Zentren des Leichentourismus sind Berlin und Nordrhein-Westfalen, wo im Brandenburger Umland beziehungsweise in den Niederlanden deutlich günstigere und flexiblere Anbieter ihre Geschäfte machen. Nach Webers Schätzung werden jährlich in niederländischen und belgischen Krematorien mindestens 10.000 Deutsche verbrannt. Viele Angehörige schätzen dabei die liberale Praxis in den Niederlanden, die Asche mit nach Hause nehmen zu dürfen. (DPA)