Gewerkschaften IG Metall steckt ihren Kurs neu ab

Nach der desaströsen Führungsdebatte rappelt sich die IG Metall langsam wieder auf. Beim anstehenden Gewerkschaftstag soll nun das Verhältnis zur SPD "neu justiert" werden. - Neuer Zündstoff?

Die IG Metall hat die erste Hürde auf dem Weg aus der Krise genommen. Nach dem beispiellosen Machtkampf um den Vorsitz der größten deutschen Industriegewerkschaft ist seit sechs Wochen eine neue Führung im Amt. Die beiden Vorsitzenden Jürgen Peters und Berthold Huber sollen die zerstrittene Organisation aus der Defensive führen. Beim zweiten Teil des Gewerkschaftstages vom 14. bis 18. Oktober in Hannover werden die rund 600 Delegierten den Kurs für die kommenden vier Jahre abstecken. Ungelöste Probleme und strittige Themen gibt es reichlich, und der Besuch von Bundeskanzler Gerhard Schröder dürfte für weiteren Zündstoff sorgen.

Schwerpunkt Sozialpolitik

Bei dem fünftägigen Kongress will die IG Metall wieder zur Normalität zurückfinden und aus den Negativ-Schlagzeilen kommen, für die zuletzt Peters' Villenkauf in Hannover sorgte. Ein Schwerpunkt der acht Entschließungen und mehr als 700 Anträge ist die Sozialpolitik. Die Ablehnung der "Agenda 2010" der Bundesregierung ist derzeit der stärkste Kitt für die zerrissene Gewerkschaft. Die Metaller sind sauer, dass der "Sozialabbau" in ihren Augen einseitig zu Lasten der kleinen Leute geht. Zudem steckt der Frust tief, dass sie bislang keine Massen auf die Straße gebracht haben und der Protest ohne erkennbare Wirkung auf den Bundeskanzler blieb. "Schröder wird sicher mit Buh-Rufen empfangen werden", sagt ein Funktionär voraus.

Wenig Alternativen, Argumenten zu traditionell

Einen offenen Bruch mit den Sozialdemokraten - traditionell die engsten Verbündeten im Kampf für mehr Arbeitnehmerrechte - wird die IG Metall aber kaum riskieren. Vielmehr will sie ihr Verhältnis zur SPD "neu justieren", wie IG-Metall-Chef Peters angekündigt hat. Dabei muss sie sich über ihre eigene Rolle klar werden. Will sie Gegenmacht sein und ihren Protestkurs verschärfen? Oder will sie sich als Reformkraft profilieren und den Dialog suchen? Ihr Dilemma ist, dass sie kaum überzeugende Alternativen zu den Sozialreformen zu bieten hat. "Ihre Argumente sind sehr traditionell", meint der Berliner Gewerkschaftsforscher Hans-Peter Müller. Sie erschöpften sich bislang in der Forderung, die Reichen stärker an der Finanzierung des Sozialstaates zu beteiligen.

Flächentarifvertrag soll erhalten werden

Neben der "Agenda 2010" der Regierungsparteien erhitzen auch die Angriffe von Union und FDP auf die Tarifautonomie die Gemüter von Funktionären und Betriebsräten. Nach den Vorstellungen der Oppositionsparteien soll ein Teil des Tarifgeschäfts in die Betriebe verlagert werden. Dies würde den Einfluss der Gewerkschaften in ihrem Kerngeschäft schmälern und Betriebsräte dem Druck der Unternehmer aussetzen. "Die IG Metall betrachtet es als eine ihrer wichtigsten Aufgaben, zum Erhalt der Tarifautonomie beizutragen und den verbindlichen Flächentarifvertrag zu sichern", heißt es in einer Entschließung. Dass dies nicht mit starren Regeln gelingen kann, hat auch die IG Metall erkannt. Wie weit sie bei der Flexibilisierung zu gehen bereit ist, werden die Diskussionen in Hannover zeigen.

Ball flach halten oder offensive Tarifrunde?

Die Positionen zur Tarifpolitik werden keine unmittelbaren Auswirkungen für die nächste Lohnrunde der Metall- und Elektroindustrie haben, die schon im Dezember beginnt. Sie werden aber den Ton für die Tarifbewegung 2004 vorgeben. Vielen Metallern sitzt noch der verlorene Streik um die Arbeitszeitverkürzung in Ostdeutschland in den Knochen. "Die sagen jetzt: Wir müssen den Ball flach halten", gibt ein Insider die Stimmung wieder. Andere sehen dagegen keinen Grund, sich in Bescheidenheit zu üben. "Eine Forderung von drei oder vier Prozent wird für eingeschlafene Füße an den Bändern sorgen", meint ein Betriebsrat. Nur eine offensive Tarifrunde biete die Chance, aus dem "Tal der Tränen" zu kommen.

DPA
Angela Schiller

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