EMMA HELBERGS TAGEBUCH Inferno in der Megastadt

Stern.de-Mitarbeiterin Emma Helberg schildert ihre Eindrücke aus New York City.

Von stern.de-Mitarbeiterin Emma Helberg direkt aus New York!

Dienstag, 11. September 2001, 16:21 (MESZ)

hier steht alles kopf. minutlich kommen neue nachrichten. es ist so schrecklich. unglaublich.

die brueder meines chefs befinden sich im 125. stock des w.trade centers,das noch steht. sie koennen telefonisch nicht mehr erreicht werden, konnten aber auch noch nicht evakuiert werden, da sie sich oberhalb der explosion befinden. das telefonsystem ist zusammengebrochen. alle weinen hier. keiner weiss wohin. was tun?!! mein buero ist geschlossen worden aus sicherheitsgruenden. wir muessen innerhalb der naechsten stunde raus. aber wohin??? die u-bahnen fahren nicht mehr. ich kann nicht nach hause und habe grosse angst. alle sind panisch. keiner weiss, was noch passieren wird. ganz manhattan downtown steht im feuernebel. wahnsinn.

16:24

ein bruder meines chefs kommt gerade vom nachbargebaeude herueber. komplett in traenen aufgeloest. es heisst, die menschen muessen aus dem gebaeude springen!!! und keiner weiss, wer lebt und wer nicht..... oh gott.

16:27

ohhh neinnnnnnnnn. jetzt ist es passiert. der zweite turm ist zusammengebrochen. das kann nicht wahr sein. oh hilfe!

16:35

hier klingelt ununterbrochen das telefon. alle sind hilflos. mein chef hat gerade im fernsehen mitansehen muessen, wie seine beiden brueder - sehr wahrscheinlich - im wtc gestorben sind. das ist das schlimmste, was passieren kann. hier sind strengste sicherheitsmassnahmen, ueberall. keiner traut sich mehr raus oder irgendwohin. ziemliche panik........was kommt noch?!

16:38

ich bekomme eine email nach der anderen aus deutschland: MELDE DICH!! bist du ok??? was ist los??????? ganz ganz schlimm. viele meiner freunde arbeiten dort. ich kann keinen erreichen. ein freund rief mich gerade aus meiner wohnung in soho an, er steht im rauch, hat die explosion stark gespuert. auf der strasse ist totale panik...

16:50

die ganze new yorker boerse ist ein zufluchtsort fuer die passanten geworden. menschen laufen in kirchen oder einfach nur wirr auf der strasse herum. man weiss nicht, ob die menschen aus dem wtc gesprungen sind, oder ob es leichen waren, die aus den obersten stockwerken fielen. wie schrecklich! ich telefoniere gerade mit einem freund downtown, der gerade von dem dach seines hauses kommt. dort hat er den crash des 2. wtc live gesehen. er meinte, die daecher sind alle voll mit menschen, die fassungslos von kriegsbeginn reden. wahnsinn!

16:59

ich bekomme lauter anrufe von heulenden verwandten meines chefs. alle in traenen aufgeloest und unter schock stehend. ich weiss nicht, wohin mein chef gegangen ist, denn die zuege fahren nicht. komplettes chaos hier. gerade wird von dem dritten flugzeuganschlag auf's pentagon berichtet und immer wieder faellt das wort »krieg«. aber das ist sicher sehr ueberstuerzt.

17:03

ich hoere hier ein feuerwehrauto nach dem anderen an unserem gebauede vorbeirauschen. eine schreckliche szene. wie im horrorfilm, nur dass es kein film ist, sondern traurige realitaet. wahnsinn, was ist nur passiert... ganz manhattan downtown wird jetzt evakuiert. nur wohin??! die bruecken und tunnel rund um manhattan sind alle geschlossen.

17:17

durchs radio kam gerade ein dringender aufruf zum blutspenden. es werden unglaubliche blutreserven benoetigt. die krankenhaeuser sind ueberfuellt. es gleicht einem chaos. die williamsburgbridge ist von menschen belagert, die versuchen die manhattan-insel zu verlassen. schutt und rauch ueberall!!! die menschen versuchen sich mit tuechern vor dem rauch zu schuetzen... es ist unfassbar. die emergency-cars kommen nicht mehr durch. es werden masken verteilt, um menschen zu schuetzen. noch immer hoert man explosionen, selbst nach den 'collapses'. es wird von autobomben geredet...

17:26

der verkehr ist hier vollkommen zum erliegen gekommen. wenn ich aus meinem buerofenster schaue, sehe ich nur menschen durch die strasse rennen. die bueros sind alle dunkel. kein licht mehr nirgendwo. keiner weiss, was er machen soll. was fuer ein unglueck. die angst vor weiteren bomben ist sehr gross. wie kann so etwas nur passieren???? welch ein schock. ich fuehle mich hilflos und gelaehmt.

18:05

wie mein tag weitergeht, weiss ich nicht. ich will nicht wirklich auf die strasse, da dort nur chaos herrscht. und das gebaeude hier ist zumindest gesperrt. wird nicht evakuiert, man weiss nicht, wohin mit all den menschen. und alle warnen davor, zum grand central station zu gehen. mein chef ist unter traenen aufgebrochen, nachdem er seine brueder hat sterben sehen. die anderen sind auch auf der suche nach ihren familienmitgliedern rausgegangen. viele laufen hier auf der etage ziellos durch die gaenge oder sitzen vorm fernseher. ich denke, ich werde irgendwann zu fuss nach hause gehen.

allerdings ist es ungewiss, ob der wind sich dreht, und dann ganz soho/nolita (wo ich wohne) im nebel sein wird. habe gerade mit einem freund telefoniert, der downtown arbeitet und am fenster stand und auf das wtc schaute, waehrend das flugzeug crashte.

die stehen alle unter schock. ich werde ihn nachher treffen. ich denke, wir werden uns einfach mit ein paar freunden zusammensetzen. keine ahnung. man ist so hilflos/fassungslos/aengstlich. vor allem bin ich auf der suche nach meinem freund,

den ich nicht erreichen kann...

19:25

bin noch immer im buero. die reaktionen von unserem glohrreichen mr. bush machen mir angst. es geht lediglich um rache. darum, die taeter zu finden und zu strafen. dabei koennte er gerade jetzt endlich einmal beweisen, dass er mehr persoenlichkeit besitzt als vermutet. traurig und beaengstigend. ich habe endlich meinen freund erreicht. ihm geht es den umstaenden entsprechend gut. und ein weiterer freund von mir, der im world financial building (direkt neben dem wtc) arbeitet, habe ich auch gesprochen. er war gerade auf der strasse, als es passierte. war minutenlang komplett von asche umgeben. konnte nichts sehen und nicht atmen. aber er hat es ueberlebt. wurde dann mit einem schiff nach new jersey gebracht, wo er jetzt in einem 'medical tent' versorgt wird. unfassbare kriegsaehnlichkeit...

20:10

ich werde mich jetzt auf den weg zu meinem freund machen. komme mir so hilflos vor. alles ist irgendwie gelaehmt vom schock. und spaeter werde ich noch versuchen, in einem der umliegenden krankenhaeuser blut zu spenden. wenigstens etwas, was ich tun kann in diesem tragischen chaos. und dem lieben gott danken, dass ich noch am leben bin.

22:14

mittlerweile habe ich mein buero verlassen und bin 30 blocks gen sueden gegangen. die stadt wirkt wie ein stummfilm. ich

glaube, ich habe new york noch nie so ruhig erlebt. auf der strasse faehrt kaum ein auto. nur unmengen von menschen

bewegen sich langsam auf ihrem weg nachhause. all die sonst so geschaeftigten viertel sind ein einziges trauerszenario. die laeden und bueros sind allesamt geschlossen. ebenso u-bahn-stationen.

und am horizont sehe ich eine riesige rauchwolke. noch bin ich nicht so nah, dass ich es riechen kann, aber es sieht wahnsinnig unheimlich aus. sehr erschreckend.

ich bin noch immer fassungslos und handlungsunfaehig, erlebe alles wie im traum. wohl eher ein alptraum.

warum nur??? mir bleibt nichts als ein kopfschuetteln.

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