Die Mehrheit war für Straßburger Verhältnisse ungewöhnlich deutlich. 419 der 610 anwesenden Europaabgeordneten stimmten am Donnerstag voriger Woche dagegen, das horrende Defizit in ihrem umstrittenen Pensionsfonds den Steuerzahlern aufzubürden. "Bei der derzeitigen Wirtschaftslage" sei das "unter keinen Umständen" möglich.
Mit dem Entschluss versuchten sie, einen vom stern enthüllten Skandal kleinzuhalten, der für Schlagzeilen und Empörung von Frankreich bis Finnland gesorgt hatte (stern Nr. 10/2009: "Tricksen für die zweite Rente"). Seit 1994 gibt es in Luxemburg einen großzügig aus Steuermitteln unterstützten Pensionsfonds, der den ohnehin gut versorgten EU-Abgeordneten eine Zweitpension von bis zu 5575 Euro im Monat verschafft. Auch 77 deutsche Parlamentarier aller Parteien sind oder waren in dem Fonds, der bis zur stern-Veröffentlichung weitgehend im Verborgenen agierte.
Millionenverlust an der Börse
Weil sie eine riskante Anlagestrategie gewählt hatten, verloren die Abgeordneten nach dem Kurssturz an den Weltbörsen rund die Hälfte ihres Fondsvermögens. Jetzt fehlen 120 Millionen Euro. Nach dem Willen der Parlamentsspitze unter Präsident Hans-Gert Pöttering (CDU) sollten nun die Steuerzahler die Pensionsansprüche sichern.
Dieser "Gipfel der Selbstbedienung" (die grüne EU-Abgeordnete Rebecca Harms) hätte so kurz vor der Europawahl am 7. Juni schlecht ins Bild gepasst. Das erkannte auch SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz, der seit fünf Jahren die gesamteuropäische Sozialistenfraktion im EU-Parlament anführt. Er sei "absolut dagegen", dass der Fonds gerettet werde, wetterte er. Es gebe dafür auch keine rechtlichen "Verpflichtungen".
Schulz müsste es besser wissen. Dem stern vorliegende Dokumente belegen, dass er sich im Verein mit führenden CDU-Vertretern immer wieder für den Fonds stark gemacht hatte - in Zeiten, als keine Wahlen anstanden und sich noch keiner für den dubiosen Pensionsfonds interessierte.
Rechte in "vollem Umfang"
Mit Unterstützung von Schulz entschieden die Abgeordneten zum Beispiel im Jahr 2005, dass die "erworbenen Rechte und Anwartschaften" aus dem Rententopf "in vollem Umfang erhalten" werden sollen. Darauf berufen sich heute die Verwalter des Fonds. Auch Werner Langen, der heutige Chef der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament, stimmte damals für das Statut. Schulz wie Langen votierten im April 2005 auch gegen einen Antrag der liberalen Fraktion, dass die Steuerzahler "in keiner Weise" für Verluste des Fonds in Anspruch genommen werden dürften.
Schulz sei "möglicherweise" die "gesamte Problematik der Anlagestrategie des Fonds nicht vollständig bewusst" gewesen - "wie dem überwältigenden Teil der anderen Abgeordneten", räumt der Sprecher des SPD-Manns heute kleinlaut ein.
Im März 2008 war Schulz dann an einer weiteren umstrittenen Entscheidung beteiligt, die den Luxuspensionären zugute kam. Er setzte sich in der sogenannten Konferenz der Präsidenten dafür ein, dass Fondsmitglieder auch in der kommenden Wahlperiode weitere Ansprüche auf Pensionen erwerben können, zu zwei Dritteln finanziert vom EU-Parlament. Das Parlamentsplenum hatte dagegen gefordert, die Zahlungen ab Juli 2009 einzustellen.
Deutsche Steuerzahler zahlen für diverse Länder
Kein Wunder, die Straßburger Versammlung hat genügend andere Pensionslasten zu tragen - etwa für ein weiteres 256-Millionen-Loch in einem speziellen Topf für französische und italienische Abgeordnete. Weil die in ihren Heimatländern schlecht abgesichert sind, gewährt ihnen das Europäische Parlament eine spezielle Rente - und vielen von ihnen außerdem die Zweitpension aus dem Luxemburger Fonds. Beides mitfinanziert vom deutschen Steuerzahler.
Martin Schulz ist nach eigenen Angaben selbst nicht Fondsmitglied - dafür aber sind oder waren es mindestens vier der ersten acht Kandidaten auf der SPD-Liste für die Europawahl. Womöglich sind es sogar mehr, denn nur ein Teil der Beteiligten ist bekannt. Jetzt, unter dem Druck der Kritik, verlangt das Parlamentsplenum, alle 1114 Namen offenzulegen. Unter ihnen sind 478 aktuelle EU-Abgeordnete, von Sahra Wagenknecht (Linke) über Jutta Haug (SPD) bis Alexander Graf Lambsdorff (FDP).
Das Versprechen, die Steuerzahler nicht für die fehlenden 120 Millionen Euro aufkommen zu lassen, ist jedoch nicht viel wert. Das sei eine "reine Willenserklärung, die das Problem nicht behebt", warnt die FDP-Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin. "Die Anwartschaften auf die Pensionen bestehen aber leider weiter. Das Parlament wird zahlen müssen."