Ich bin zerrissen. Ich will eine gute Frau sein und eine gute Mama. Ich will eine gute Anwältin sein und eine gute Kolumnistin. Ich will gut aussehen und gut im Kopf sein. Schnell, gerissen, unterhaltsam, sexy.
In wie vielen Bereichen muss ich gut sein, um mich gut zu fühlen? Reicht es nicht, dass ich eine Sache am Tag gut mache? Zum Beispiel einen Vortrag halte und meine Haarkur wirklich zehn Minuten einwirken lasse? Nein, es reicht nie!
Wann wird aus gut nur noch effizienter - aber nicht glücklicher? Wann hört man auf, auf eine gute Art und Weise ehrgeizig zu sein und wird verbissen? Und wann wirkt perfektionistisch irgendwie getrieben, unsympathisch?
Laura Karasek: Tippt die noch ganz richtig?
Ich bin Laura Karasek, 1982 in Hamburg geboren, Rechtsanwältin in einer großen Wirtschaftskanzlei in Frankfurt. Ich liebe Adrenalin, Gedichte, Männer mit Brusthaaren, Prosecco und Abgründe. Und gewinne genauso gern im Casino wie vor Gericht. Wäre ich besser im Singen gewesen (meine Stimme ist so tief, dass ich am Telefon oft mit meinem Vater verwechselt wurde), gäbe es von mir jetzt Platten statt Prozesse. 2012 erschien mein erster Roman "Verspielte Jahre", im Sommer 2015 habe ich Zwillinge bekommen und kurz darauf meinen Vater verloren. Das mit dem Glück ist eben so eine Sache...
Ich habe immer Schuldgefühle. Meinen Kindern gegenüber, wenn ich im Büro bin. Dem Büro gegenüber, wenn ich beim Sport bin. Dem Sport gegenüber, wenn ich Storck Riesen esse und Riesling trinke. Meinem Körper gegenüber, wenn meine Blutwerte schlecht sind. Dem Diabetes gegenüber, wenn ich beim Arzt bin. Dem Arzt gegenüber, wenn ich wieder mal einen Termin verschiebe, um lieber zum Friseur zu gehen (der Friseur macht bessere Laune und man fühlt sich leichter statt schwerer). Der Schönheit gegenüber, wenn ich mal einen halben Tag in Jogginghose chille. Meinem Mann gegenüber, wenn er aufsteht, um die Kinder zu füttern. Den Kindern gegenüber, wenn ich mit meinem Mann zu zweit ein Wochenende wegfahre. Oder wenn wir betrunken nach Hause kommen und ich mir wünsche, ausschlafen zu können. Dennoch schleiche ich nachts mit Schwips an ihr Bett und mache einen liebevollen Hicks oder gluckse vor Freude, wenn ich sie dort liegen sehe mit ihren kleinen Köpfen, in ihren Schlafsäcken wie eine Kugel Eis in einer Waffel, fußlos, eingewickelt, meine Burritos... a propos Burritos, es ist nachts und ich habe nichts gegessen und der Wein macht mir plötzlich Appetit. "Das solltest Du lassen!" ruft meine Eitelkeit. "Was solls!" ruft mein Genuss.
Ab an den Kühlschrank. Aber da liegt leider kein Burrito. Nur Joghurt, Schinken und Riesling. Ich esse im Dunkeln. Ich bestelle Lebensmittel online per Lieferservice.
Man macht so viele Teilzeitjobs, dass man insgesamt zehn Vollzeitjobs macht. Und Teilzeitmutter ist man sowieso nie. Ja, man kann in Besprechungen sitzen, Telefonkonferenzen haben – aber die Kinder erfordern und verdienen immer das ganze Herz und richten sich nicht nach Terminkalendern. Da siegt immer die Liebe über die Professionalität. Man kann zwar die Betreuung abgeben – aber man gibt nie die Fürsorge, das Interesse ab. Und das will man auch gar nicht.
Es geht nicht immer um Können – sondern auch um Wollen.
Ich WILL auch Mutter sein. Ich WILL meine Kinder sehen. Aber ich will auch ernstgenommen werden. Und mitgenommen werden zu den Meetings und Konferenzen. Manchmal fühle ich mich wie mein eigenes Klischee, wenn ich aus einem Meeting heraus Kindergartenplätze beantrage und Fieberzäpfchen bei der Apotheke bestelle. Aber ich will Erledigen und Erleben.
Früher habe ich unterschätzt, was es bedeutet, arbeitende Mutter zu sein. Ich glaubte, ein Schnupfen diene als Ausrede. Aber ein krankes Kind ist kein Wellnesstag. Und nach einer schlaflosen Nacht hört die Aufgabe ja nicht etwa auf.
Meine Freundin erzählte neulich ihrem Chef, dass sie schwanger sei und er reagierte ziemlich emotional: "Überlegen Sie sich mal, was Sie MIR damit antun!" schrie er sie an. Und als sie ein Jahr Elternzeit beantragte, rief er vor ihren Augen – und Ohren – bei seiner Assistentin an und sagte "Frau Schmidt (Name von mir geändert) möchte ein Jahr Urlaub machen!" Urlaub!
Aber die Mütter, die ich kenne, jammern nicht – sie kämpfen an zwanzig Fronten. Die Pflichtenkollisionen führen manchmal dazu, dass man das Gefühl hat, alles falsch zu machen. Wen muss ich zuerst vernachlässigen? Morgens mit Lätzchen beim Frühstück, dann mit Turnschuhen beim Laufen, mittags in Robe vor Gericht, nachmittags mit Daunenjacke auf der Rutsche, abends im Minikleid beim Dinner, nachts im Bett mit Dessous. Und dann ist kurz Ruh'. La dolce Kita!
Aber wie soll man selbstbewusst sein, wenn man sich selbst nie genügt?
Ich kenne meine Fassade inzwischen besser als mich. Sogar Entspannung ist eine Hausaufgabe geworden. Ich mache mir Einträge in den Terminkalender, die mich daran erinnern, dass ich Fernsehen soll. Eine Serie schauen, Nachrichten, Tagesthemen, die Heute Show. Man muss ja up to date bleiben, nicht verblöden, verlangweilen. Mitreden.
Und Überlegen. Und Überleben. Und Überholen. Und Überweisen. Und Übermenscheln. Und bloß nicht Übergewichten.
Und wenn ich mich gerade mal wohl mit mir oder in meinem Job oder in meiner Beziehung fühle – ist das dann der Anfang vom Ende? Vielleicht brauchen wir diese Herausforderung, um uns Mühe zu geben, immer in Alarmbereitschaft, Verlustangst, Anspannung. Lippenstift, Lexikon, Lächeln.
Bloß nicht ausruhen. Alles ist kündbar. Muss es anstrengend sein, um wertvoll zu sein?
Ich mache ja selbst in diesen Sportkursen immer den falschen Schritt, wenn die Trainerin da vorne "links, V-Step" sagt, weil ich mit dem Spiegel und dem spiegelverkehrten Denken überfordert bin. Vielleicht brauche ich kein Spiegelbild, vielleicht sollte ich einfach mal den falschen Schritt machen – auch bei Kollisionen mit den perfekten Nachbarinnen auf dem Stepper.
"Ich habe 99 Probleme – und 87 davon sind einzig und allein in meinem Kopf."
Vielleicht muss ich akzeptieren, dass ich nicht allen gerecht werden kann. Ich liebe meinen Job, obwohl ich ihn manchmal vernachlässige. Und ich liebe meine Kinder über alles, obwohl ich auch ganz gern mal ausgehe. Ich kann sogar glücklich sein, ohne gut zu sein! Und die Schuldgefühle? Die muss man einfach manchmal aushalten, wenn man alles haben will!