Streik-Szenarien Steht Deutschland am Montag still?

Ab Montag wird bei der Bahn gestreikt - so haben es zumindest die Lokführer angekündigt. Der Ausstand ist aber noch abwendbar: Die Tarifparteien könnten sich in letzter Minute einigen oder der Arbeitskampf wird gerichtlich verboten. stern.de schildert die möglichen Szenarien.

Bei der Bahn droht ein Totalstreik: Ab Montag will die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) sowohl den Güter- als auch den Personenverkehr lahmlegen. Der Grund für den Streit: Ende Januar hatten sich GDL und Bahn zwar im Grundsatz auf einen Entgelttarifvertrag geeinigt. Unterzeichnet hat den bis jetzt jedoch nur die GDL. Die Bahn knüpft eine Unterschrift an Bedingungen: Die Gewerkschaft soll zusätzlich sowohl einen Grundlagentarifvertrag als auch einen Kooperationsvertrag unterschreiben.

Im Grundlagentarifvertrag würde festgeschrieben, auf welche Bahnangestellten sich Tarifvereinigungen genau beziehen. Laut GDL würde der Entgelttarifvertrag so "ad absurdum" geführt: Tarifabschlüsse gälten nicht für neue Berufsbezeichnungen, Zeitarbeiter und Mitarbeiter von Tochterunternehmen der Bahn. GDL-Vize Claus Weselsky spricht im stern.de-Interview von einer "leeren Hülle", zu der der Entgelttarifvertrag verkommen würde. Die Bahn stellt dem entgegen, dass der Tarifvertrag der GDL sich ins gesamte Tarifgefüge des Konzerns eingliedern müsse. Er könne nicht ohne einen Grundlagenvertrag unterzeichnet werden.

Der Kooperationsvertrag schließlich schreibt fest, dass Tarifabschlüsse mit einer der drei Bahn-Gewerkschaften - neben GDL sind da noch Transnet und DGBA - automatisch auf die zwei anderen Gewerkschaften übertragen würde. Weselsky nennt dies "Entmündigung" der GDL. Die Bahn sagt, so soll ein gegenseitiges "Hochschaukeln" zwischen der GDL sowie den anderen Gewerkschaften Transnet und GDBA vermieden werden.

Für kommenden Montag gibt es nun drei Möglichkeiten: Entweder der Streik kommt. Das scheint momentan am wahrscheinlichsten. Szenario zwei ist: Die beiden Tarifparteien einigen sich doch noch vor Montag und verhindern so den Streik. Dafür muss eine der beiden umkippen oder aber sie finden einen Mittelweg. Die dritte Möglichkeit ist, dass ein Streik gerichtlich verhindert wird - durch eine Klage der Bahn vor dem Arbeitsgericht Frankfurt. Die genauen Umstände der drei Szenarien beschreibt stern.de.

Szenario eins: Der Streik kommt

Kommt der Streik in voller Härte, stehen Güter- und Personenzüge in Deutschland still. Und zwar so lange, bis die Bahn einknickt - glaubt jedenfalls Manfred Schell, der Chef der Lokführergewerkschaft GDL: "Wir können Arbeitskämpfe länger durchhalten, als Deutschland sie vertragen kann."

Politiker fürchten indes hohe Kosten für die Volkswirtschaft im Falle eines Streiks: Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) sagte, er erwarte von allen Beteiligten, "unverzüglich" wieder Gespräche aufzunehmen. Niemand hätte Verständnis für einen Streik, obwohl alle Bestandteile eines Entgelttarifvertrags bereits vereinbart seien. Der immense volkswirtschaftliche Schaden eines Streiks könne nicht riskiert werden, weil es Differenzen zu Fragen der Eigenständigkeit und zum gewerkschaftlichen Miteinander gebe.

Auch Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) mahnte eine endgültige Einigung an. "Ein neuerlicher Bahnstreik würde für die Konjunktur in Deutschland zu einer weiteren Belastungsprobe werden", sagte er. "Sollten ab Montag die Züge wieder stillstehen, würden wohl die wenigsten Fahrgäste und Pendler dafür noch Verständnis aufbringen können." Der CDU-Politiker Klaus Lippold hofft, "dass am Wochenende alle Hebel in Bewegung gesetzt werden. Denn ansonsten wäre der Montag eine Katastrophe für die Bürger und die Wirtschaft."

Streik-Ausnahmen zum Schutz der Wirtschaft will die GDL aber nicht zulassen: "Bis zum jetzigen Zeitpunkt muss ich ganz klar sagen, wird bei den Streiks, die wir durchführen, keine Ausnahme zu machen sein. Wir werden flächendeckend bundesweit mit allen Geschäftsbereichen in den Arbeitskampf eintreten", sagte der stellvertretende GDL-Chef Claus Weselsky.

Die Bahn will bereits am Freitag einen Ersatzfahrplan veröffentlichen. Bei einem früheren Ausstand konnten so zumindest in Westdeutschland die wichtigsten Züge fahren. Im Osten ist die GDL besonders stark organisiert. Angestrebt wird wie bei früheren Arbeitsniederlegungen ein reduzierter, aber zuverlässiger Betrieb, wie es in Bahnkreisen hieß. Im Güterverkehr, den die GDL ebenfalls von diesem Montag an unbefristet bestreiken will, hat der Konzern vorsorglich einige Lieferungen abgegeben. Bestimmte Chemietransporte aus Ostdeutschland sollen andere Bahnen übernehmen.

Szenario zwei: Die Streithähne einigen sich vorher

Es besteht immer noch die Möglichkeit, dass eine der beiden Tarifparteien einknickt. So könnte einerseits die Bahn die Position der GDL akzeptieren, weder Grundlagentarif- noch Kooperationsvertrag zu unterzeichnen. Andererseits besteht die Möglichkeit, dass die GDL beide von der Bahn geforderte Zusatzverträge unterschreibt.

Die Wahrscheinlichkeit für diese Lösung in letzter Minute ist jedoch - zumindest zum jetzigen Zeitpunkt - gering. GDL-Chef Manfred Schell zeigt sich stur: "Wir haben alle Schritte dieser Welt gemacht", sagte er. So verstoße der Grundlagentarifvertrag gegen das Koalitionsrecht. Demnach solle die GDL sich darauf beschränken, bis 2015 nur den Personenkreis zu organisieren, den sie schon heute habe. Der Vertrag "wird nicht unterschrieben", wiegelte Schell kategorisch ab.

Auf der anderen Seite weigert sich Bahnchef Hartmut Mehdorn, den Lohn-Tarifvertrag mit der GDL zu unterschreiben, solange nicht der Grundlagenvertrag unterzeichnet ist. Die Bahn rief die GDL so erneut auf, ihre "Verweigerungshaltung" aufzugeben und Deutschland nicht in ein Chaos zu stürzen. Bahn-Personalvorstand Margret Suckale appellierte an die Gewerkschafter: "Nicht streiken, sondern verhandeln." Sie sollten ihren "überflüssigen Streik abzusagen". Es sei alles vorbereitet, damit die Lokführer eine kräftige Lohnerhöhung bekämen.

Der CDU-Politiker Klaus Lippold sagte, jetzt müssten sich beide Seiten bewegen. "Man muss einen Weg suchen, der den Vorstellungen der GDL ein Stückchen näher kommt. Aber die GDL wird sich auch bewegen müssen", sagte er.

In die Verhandlungen hat sich indes erneut Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) eingeschaltet. Er hatte auch bei der Tarifeinigung im Januar vermittelt. GDL-Sprecherin Gerda Seibert bestätigte, dass Tiefensee nach der Verschärfung der Situation mit Schell telefoniert habe. Details über das Gespräch sind aber bislang nicht bekannt.

Szenario drei: Das Arbeitsgericht verbietet den Streik

Die Bahn hält sich die Option offen, gegen den Lokführerstreik vor Gericht zu ziehen. Die beste Lösung wäre aber eine Einigung auf dem Verhandlungsweg, betonte der Konzern. Die Lokführergewerkschaft GDL bestätigte, dass die Bahn signalisiert hat, eine einstweilige Verfügung beim Arbeitsgericht Frankfurt erwirken zu wollen. "Vielleicht beginnt das jetzt wieder neu, das Prozessieren. Wir wissen es nicht, aber wir müssen damit leben", sagte GDL-Chef Schell.

Beim Arbeitsgericht Frankfurt liegt nach Angaben einer Sprecherin jedoch noch kein Eilantrag der Bahn vor. Bahn-Vorstand Margret Suckale sagte jedoch, über juristische Schritte wolle die Bahn nach eigenen Angaben erst nachdenken, wenn sich ein Streik nicht verhindern lässt.

Arbeitsrechtler billigen der GDL indes durchaus ein Streikrecht zu. Die Lokführergewerkschaft habe so lange das Recht zum Ausstand, bis der neue Tarifvertrag unterschrieben sei und damit wieder die Friedenspflicht einkehre, sagte der Münchner Arbeitsrechts-Professor Volker Rieble. Sein Heidelberger Kollege Thomas Lobinger spekuliert allerdings darüber, dass parallel laufende Nahverkehrsstreiks der Gewerkschaft Verdi die Frage der Verhältnismäßigkeit stärker in den Fokus der Richter rücken könnten. Im vergangenen Jahr war die Bahn noch juristisch gegen die GDL gescheitert. Der ehemalige Vermittler im Bahn-Tarifkonflikt, Heiner Geißler (CDU), sagte, über Gerichte Streiks zu verhindern, sei keine Lösung.

AP · DPA · Reuters
Lio/ DPA/ AP/ Reuters

PRODUKTE & TIPPS