URTEIL DaimlerChrysler verliert Streit um Überstunden

Im jahrelangen Streit um Überstunden hat der Autokonzern DaimlerChrysler vor dem Landesarbeitsgericht Stuttgart eine Niederlage erlitten. Künftig darf in der Konzernzentrale morgens vor 6.00 Uhr und abends nach 19.00 Uhr nicht mehr gearbeitet werden, urteilte das Gericht.

Außerdem dürfe das Unternehmen die Überschreitung der Gleitzeitguthaben über eine gewisse Stundenzahl hinaus nicht mehr dulden. Bei Verstößen gegen die Verpflichtungen droht dem Autobauer ein Ordnungsgeld von 250.000 Euro, »ersatzweise Ordnungshaft zu vollziehen an den Vorstandsmitgliedern«. Betriebsrat und IG Metall hatten mit ihren Anträgen weitgehend Erfolg.

Die Stuttgarter DaimlerChrysler AG zeigte sich von der Entscheidung überrascht und kündigte Rechtsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht in Erfurt an. Die Entscheidung widerspreche dem Geist der Betriebsvereinbarungen und bedeute im Ergebnis einen unzulässigen Eingriff in die Planungshoheit des Unternehmens. Außerdem bedeute die laufende Kontrolle von Anwesenheitszeiten einen kaum zu leistenden Verwaltungsaufwand. Die Flexibilität der Mitarbeiter sei für die DaimlerChrysler-Zentrale »eine unverzichtbare Voraussetzung, um den Aufgaben eines weltweit tätigen Unternehmens gerecht zu werden«.

Der IG Metall-Rechtsbevollmächtigte Jens Herbst sagte: »DaimlerChrysler sollte die Entscheidung akzeptieren und für die Umsetzung der Betriebsvereinbarung sorgen«. Es diene auch dem betrieblichen Frieden, wenn die Auseinandersetzung nicht auf die Spitze getrieben werde. Die Entscheidung werde auch in anderen Betrieben Wirkung zeigen. Betroffen von dem Urteil sind nach Gewerkschaftsangaben rund 10.000 Beschäftigte.

Überstunden im Wert von bis zu 76 Millionen Euro

Die Kammer unter dem Vorsitzenden Richter Ulrich Hensinger hob einen Beschluss des Stuttgarter Arbeitsgerichts vom vergangenen Juli in weiten Teilen auf. Anlass des Verfahrens sind rund 750.000 nicht genehmigte Überstunden, die nach Berechnungen der IG Metall jährlich in der Konzernzentrale anfallen - eine Hochrechnung, die vom Unternehmen nicht geteilt wird. Der Betriebsrat sah zwei Betriebsvereinbarungen über Gleitzeitmodelle verletzt. Die Überstunden hätten einen Wert von bis zu 76 Millionen Euro oder bedeuteten 500 neue Stellen.

Überstunden: ein Massenphänomen

Der Richter der ersten Instanz hatte argumentiert, dass der Betriebsrat zwar ein Überwachungsrecht habe. Ein Durchsetzungsrecht in der Frage der Geltendmachung der Überstunden zu Gunsten der Arbeitgeber wurde dem Betriebsrat aber abgesprochen. Die Mitarbeiter könnten ihre Ansprüche ohne Nachteile selber geltend machen, hatte der Arbeitsrichter argumentiert.

Das Landesarbeitsgericht sah dies anders. Die Kläger hätten einen Anspruch auf die Durchführung der Betriebsvereinbarung. Sie könnten von DaimlerChrysler die Planung und Durchführung von Zeitausgleichsmaßnahmen verlangen, sollten bei dem Gleitzeitmodell »Classic« mehr als 30 Stunden und bei dem anderen Modell »NEZE« mehr als 100 Überstunden angefallen sein. Die Eigenverantwortlichkeit des Arbeitnehmers und die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Durchführung der Abbauplanung seien kein Widerspruch, sondern könnten in Einklang gebracht werden, hieß es in der Begründung.

In dem Beschluss ist von einem »Massenphänomen« bei den Überstunden die Rede. »Die zahlenmäßig erheblichen Verstöße gegen den Arbeitszeitrahmen, die von einer festen Rechtsansicht der Arbeitgeberin begleitet werden, führen zu der Erkenntnis, dass auch in Zukunft derartige Verstöße zu befürchten sind«, schrieb das Gericht zur Begründung für das Verbot der Arbeit frühmorgens oder abends. Nicht durchsetzen konnte sich die Gewerkschaft mit ihrem Anspruch, auf Grund der Betriebsvereinbarungen die tägliche Arbeitszeit auf zehn Stunden zu begrenzen. (Az: 2 Ta BV 2/01)

dpa

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