So. Los geht's. Die letzte Schlacht. Noch einmal läuft Hilmar Kopper durch die Katakomben der Berliner Messehalle, diesen Wirrwarr aus Fluren und Gängen, tritt hinter die Bühne, noch versteckt hinter dicken Vorgängen. Dumpfes Gemurmel dringt herüber. Daimlers Aktionäre, 8000 Menschen, sie sitzen auf hohen Tribünen, in endlosen Rängen, sie plaudern, blättern oder gucken einfach vor sich hin, die Hand auf dem Kinn, die Gedanken in der Luft, und nichts deutet darauf hin, dass hier heute Geschichte geschrieben wird: Die Welt AG lädt zu ihrer letzten Hauptversammlung. Der Konzern verabschiedet sich von Kopper und Chrysler. Von einem Traum. Endgültig. Welt, ade.
Nur wenige merken auf, als Kopper kommt
Kopper tritt aus dem Halbdunkel. Keiner nimmt Notiz. Erst als er zu seinem Platz geht, Etui und Rede ablegt, merken ein paar Leute auf. Manfred Bischoff tritt zu ihm, noch am gleichen Abend wird er zu seinem Nachfolger gewählt. Plauderworte. Lächeln für die Kameras. Kurz darauf hockt Kopper auf seinem Platz, mitten auf der Bühne, er setzt seine Lesebrille auf, greift in die Unterlagen, lässt das Lesen dann aber gleich wieder sein, lieber schaut er noch mal in die Menge hinein, in die vielen Tausenden Gesichter, deren Züge er nicht erkennen kann, so weit sind sie entfernt. Wie oft haben sie ihm diese Veranstaltung zur Privathölle gemacht, die Bühne in einen Pranger verwandelt. Wie das wohl heute wird, bei seinem Abschied?
Die Aktionäre haben ihm nicht verziehen, dass er Jürgen Schrempp nicht gestoppt hat. Dass er sich mitreißen ließ, als der ehemalige Vorstandschef mit dem Daimler, wie der Konzern im Ländle heißt, die Welt erobern wollte.
Schrempp kaufte sich bei Hyundai und Mitsubishi ein, übernahm faktisch Chrysler, trompetete von seiner "Welt AG", von Schätzen, die Daimler in Asien und Amerika entdecken werde. Geschichte. Schrempp hat hingeworfen. Kopper aber blieb. Und mit ihm ein Teil der Welt AG.
Kurz nach zehn Uhr tritt Kopper ans Mikrofon. Kein Pfiff, kein Buh, kein Applaus. Kopper verliest die Tagesordnung und spricht über allerlei Nebensächlichkeiten, die bei einer solchen Veranstaltung nun mal gesagt werden müssen. Seine Stimme plätschert dahin, lullt die Leute so ein, dass sie fast das einzig Spannende an seinem Auftritt verpassen. "Noch ein letztes Wort in eigener Sache. 19-mal habe ich die Hauptversammlung unserer Gesellschaft geleitet. Heut tue ich das zum letzten Mal. Ich wünsche Ihnen Gutes. Möge der Konzern Daimler-Chrysler auch in Zukunft Erfolg haben." Fünf Sekunden Applaus.
Mehr wird's auch nicht, als Vorstandschef Dieter Zetsche direkt danach an die Bühne tritt und Kopper noch einmal "unseren herzlichen Dank" ausspricht für Koppers "offenes Ohr" und seine Ratschläge. Er vergisst, Kopper die Hand zu schütteln. Zetsche hat allen Grund, zerstreut zu sein. Ihm stehen schwere Minuten bevor. Wie kann er den Aktionären das wohl erklären: Die Sanierung Chryslers ist gescheitert. Daimler muss die Amerikaner verkaufen, die Märkte verlangen es, haben es praktisch fest eingebucht, seit erste Gerüchte aufkamen, steigt und steigt die Daimler-Aktie.
Zetsche zur Mikrofonprobe
Lange hat Zetsche die Rede geübt. Hat sogar am Dienstagmorgen an seinem Platz Probe gesessen, hat das Mikrofon getestet, hat sich am Mittwoch noch über das Manuskript gebückt, in seinem Kabuff hinter der Bühne, einer Kammer mit zwei Ledersesseln, Bistrotisch und Rechner. Eine Kammer nur, aber wenigstens kann er da an diesem Mittwoch mal kurz allein sein. Es wird eine Streberrede werden, eine Dreiviertelstunde voller Worte ohne Herz und Seele. "Ihre Rede war kreuzbrav, eher Volvo als Mercedes", wird nachher Lars Labryga von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) ätzen.
Es fällt Zetsche schwer, über Chrysler zu reden. Es ist sein Baby. Hat er den Laden nicht saniert? Und sich so empfohlen für den Chefposten? Nun muss er zugeben: Die Sanierung ist ein Desaster. "Wir mussten einen herben Rückschlag hinnehmen und haben nicht erreicht, was wir uns vorgenommen haben."
Und dann laviert er herum, spricht davon, dass alle Optionen offen sind, dass er zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr sagen kann, außer dass er mit "potenziellen Partnern" für Chrysler verhandele. Keine Namen, keine Details. Natürlich spricht er nicht über die möglichen Käufer, über die Investoren Cerberus und Blackstone, den Autozulieferer Magna, die für die Sparte bieten sollen. 6 bis 9 Mrd. Euro könnte der Verkauf bringen. Doch Zetsche lässt nichts davon raus. Eher würde er sich seinen Schnauzer abrasieren, als die Worte Verkauf oder Abspaltung offen hier auszusprechen. Er steht steif wie ein Brett, die Hand auf dem Pult, liest seinen Text herunter, die Erfolge bei Mercedes, ja, erfreulich, auch mit dem Smart läuft es besser, und in Sachen Klimaschutz ist man jetzt auch rege, jedes fünfte Auto ist ein Fünf-Liter-Auto, "das ist gut, aber wir wollen noch besser werden".
Die Aktionäre auf der Hauptversammlung nehmen diese Vorsicht übel. Fragen immer wieder nach: Wie sieht es bei Chrysler aus? Sie wollen es endlich verkündet hören: das Ende der Welt AG. "Wenn Chrysler zum Scheidungsrichter geführt würde, wären wir sehr dankbar", sagt Henning Gebhardt, vom Fondsanbieter DWS, einer Tochter der Deutschen Bank, die 4,4 Prozent der Anteile hält.
Manche Kleinaktionäre sind da noch drastischer: Daimler solle den "Schrott" endlich loswerden, fordert einer - und Kopper haftbar machen. Ganz kühl werden da die Blicke von Chrysler-Chef Tom LaSorda. "Wir sind auf alles vorbereitet", sagt einer seiner Manager hinter den Kulissen. Kopper hingegen nimmt die Angriffe erstaunlich locker. Er, der diese Versammlungen hasst, diese "aggressiven, wenig Ahnung habenden Leute", die ihn wie einen "Oberidioten" behandeln.
Warum hat Kopper Schrempp nicht gestoppt?
Seit Jahren ging das so. Ein Redner nach dem anderen trat ans Fragepult, warf Kopper Unfähigkeit vor und wollte wissen, warum er Schrempp nicht gestoppt hat, und Kopper saß mitten auf der Bühne, das Kinn gereckt, den Kopf ratzerot, und wenn es ihm zu viel wurde, bellte er zurück.
Sein Erzfeind bei diesem Duell ist Ekkehard Wenger. "Er behauptet ja immer, ich hätte ihn von Sicherheitskräften vom Mikrofon wegschleppen lassen", erzählt Kopper gern im kleinen Kreis. "Hähä", frohlockt er dann. "Das ist in etwa so richtig." Vor Gericht haben sie sich bekämpft. "Und ich habe gewonnen." Für Koppers letzten Auftritt ist Wenger natürlich nach Berlin gekommen. "Eine Altlast wird uns Gott sei Dank verlassen, der Aufsichtsratsvorsitzende", sagt er und nennt Kopper einen "Dauerversager". Doch der sitzt nur da, das Gesicht gar nicht mal so rot, und er lässt die Redner sogar weiterreden, wenn die große Stoppuhr auf seinem Holztisch zum Ende mahnt. Er lässt die rote Lampe rote Lampe sein, hört zu, lacht auf, wenn sich der Redner für die Zuhörerei bedankt, flachst hie und da ein wenig mit Zetsche oder schaut in die ersten Reihen, wo Bekannte und Weggefährten hocken, die ehemaligen Daimler-Manager Ulrich Walker, Heinz Dürr und Jürgen Hubbert, die Frauen der Vorstände Zetsche und Grube, und Wiltrud Bischoff, die Frau des neuen Aufsichtsratschefs.
Brigitte Seebacher-Brandt ist nicht gekommen
Koppers Frau Brigitte Seebacher-Brandt ist nicht gekommen. Wird nachher nicht dabei sein hinter der Bühne, in dem VIP-Bistro, in dem drei Bistrotische, einige Ledersessel und eine papierne Stehlampe den Messecharme verdrängen wollen, ein paar Flaschen Campo Ceni aus der Toskana darauf warten, getrunken zu werden. Vergebens.
Kopper will eh nicht feiern, jedenfalls nicht heute. Der Tag ist zu lang, er ist ja auch nicht gerade schön. Hat etwas von Abgesang, von Beerdigung. Den lautesten Applaus gibt es für die Redner, die den Konzernnamen ändern wollen: zurück in Daimler-Benz. Den Antrag lehnen Vorstand und Aufsichtsrat ab, sagt Kopper. "Der Firmenname Daimler-Chrysler ist weltweit etabliert." Den Ärger über die bissigen Sprüche dazu wird er sich am späten Nachmittag verbeißen. Durchhalten, das alte Motto. Und so geht der Nachmittag dahin, die Reihen leeren sich, immer mehr Vorstände verschwinden mal auf einen Kaffee in den Katakomben. Und Kopper, das verbliebene Gesicht der Welt AG, bleibt hocken und trotzt.
Nicht mehr lange, weiß er. Letzte Schicht. Dann kommt Manfred Bischoff. "Der ist völlig unbelastet. Dem müssen sie Kredit geben. Der hat's viel leichter." Der Neuanfang.