Die Turbulenzen um Eurostat bringen Kommissionspräsident Romano Prodi und seine Kommissare Michaele Schreyer und Neil Kinnock in immer schwerere Bedrängnis. Nachdem jetzt die EU-Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf die Luxemburger Staatsanwaltschaft eingeschaltet hast, rufen Europaabgeordnete nach Konsequenzen. »Jetzt muß geklärt werden, warum die Kommission Vorwürfe gegen Eurostat jahrelang ignoriert hat«, sagte Markus Ferber, einer der beiden Chefs der 53-köpfigen CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, gegenüber stern.de.
Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft
Olaf-Chef Franz-Hermann Brüner hatte am Montag Informationen zu zwei möglichen Betrugsfälle bei Eurostat der Luxemburger Justiz übergeben, darunter das Dossier der der Urkundenfälschung verdächtigten Beratungsfirma Eurogramme. Zwei weitere Fälle würden in Kürze ebenfalls an die Staatsanwaltschaft des Großherzogtums weitergereicht, kündigte Brüner im Haushaltskontrollausschuß des Europaparlaments an.
Fälschungsverdacht weiter aufrecht
Ferber verlangt jetzt von Haushaltskommissarin Schreyer »aus allen Verträgen mit Eurogramme auszusteigen«. Zur Zeit unterhält dieses in Luxemburg ansässige Unternehmen allein mit Eurostat Kontrakte im Gesamtwert von 1,6 Millionen Euro. Weitere Projekte führt es für mehrere andere Generaldirektionen der Kommission aus. Wie stern.de im Mai exklusiv berichtet hatte, steht die Firma seit Dezember 2000 unter Fälschungsverdacht. Interne Prüfer bei Eurostat waren damals zu dem Ergebnis gekommen, dass Eurogramme einen Auftrag für die EU-Industriestatistik Prodcom nur dank falscher Umsatzzahlen ergattert hatte. So gab die Firma für das Jahr 1996 einen Umsatz von 1,9 Millionen Euro, obwohl Eurogramme in diesem Jahr laut Handelsregister einen Umsatz von null Euro hatte.
Umstrittene Gesellschaft macht weiter
Die umstrittene Gesellschaft gehört dem nigerianischen Buchhalter Edward Ojo und seiner Ehefrau, einer luxemburgischen Seretärin. Bis jetzt wurde der Unternehmer von Kinnock und Eurostat-Chef Franchet immer wieder gegen Vorwürfe verteidigt. Franchet und Prodi weigern sich trotz des Fälschungsverdachts auch bis heute, die Firma von weiteren Aufträgen auszuschließen. Begründung: Weil sie bisher nicht rechtskräftig »verurteilt« sei, habe die Kommission »nicht die rechtliche Möglichkeit«, einen solchen Schritt zu ergreifen, läßt Prodi verbreiten. Genauso äußerte sich der Eurostat-Chef vergangenen Dienstag in einer Botschaft an die 750 Beschäftigten der Statistikbehörde.
Wo bleibt die »null Toleranz«?
Laut EU-Vergaberecht können jedoch Firmen, die sich »in erheblichem Maß falscher Erklärungen schuldig gemacht haben« sehr wohl ohne weitere gerichtliche Anordnung von neuen Ausschreibungen ausgeschlossen werden. Darauf hatten im Dezember 2000 auch die internen Prüfer bei Eurostat hingewiesen. Die Kommission folgte dieser Empfehlung jedoch nicht, obwohl Prodi bei Amtsantritt versprochen hatte, Betrug mit »null Toleranz« zu begegnen.
Widersacher werden kaltgestellt
Politisch brisant ist der Fall auch, weil der für die Verwaltungsreform der EU-Administration zuständige Kommissar Kinnock den Eurostat-Generaldirektor bisher stets als vorbildlichen Behördenchef herausgestellt hatte. Obwohl Kinnocks Beamten seit 1997 detaillierte Vorwürfe über Mißwirtschaft und Betrug bei dem Statistikamt vorliegen, berief der Kommissar Franchet zum Chef einer Arbeitsgruppe, die Reformvorschläge für die ganze Kommission erarbeiten sollte. In Kinnocks Augen praktiziert der französische Beamte »total quality management«. Kinnock schlug im Januar auch die Beschwerde der dänischen Eurostat-Beamtin Dorte Schmidt-Brown nieder. Sie hatte versucht, Überzahlungen an Eurogramme zu verhindern und war darauf von ihren Aufgaben als Projektmanagerin entbunden worden.
Angebote waren »zu vage«
Franchet verteidigt sich nun, es habe mit Eurogramme nur in einem einzigen Fall Probleme gegeben. Tatsächlich begünstigte seine Behörde die Firma womöglich weit häufiger als bisher bekannt. Das zeigen Dokumente, die stern.de jetzt zugespielt wurden. So wird die Firma in einer internen Eurostat-Aufstellung aus dem Jahr 1998 als »eliminiert« geführt, weil sie nicht die nötigen Angaben über bereits erbrachte ähnliche Dienstleistungen gemacht habe. Nach den stern.de vorliegenden Unterlagen setzte der für die Evaluation zuständige belgische EU-Beamte Jean-Louis Mercy trotzdem durch, dass Eurogramme ein Auftrag zur Bewertung von Forschungsprojekten im Wert von 165.000 Euro erteilt wurde. Ein zweiter Prüfer hatte sich den Unterlagen zufolge für einen anderen Bewerber und gegen Eurogramme ausgesprochen. Das Angebot der Firma sei zu »vage«, fand er.
Affäre könnte »Flächenbrand« werden
Die CSU-Europaabgeordnete und Betrugsexpertin Gabriele Stauner warnt bereits, die Affäre um das Statistikamt könne sich zu »einem Flächenbrand ausweiten«. Seit März gehen Brüners Leute auch dem Verdacht nach, dass die Eurostat-Chefs um Generaldirektor Franchet Aufträge Instituten zuschanzten, in denen sie selbst Managementfunktionen hatten. Eine dieser Organisationen namens Eurocost Asbl mußte am Ende liquidiert werden und schuldet dem EU-Haushalt immer noch 250.000 Euro. Bang fragte die Beamtengewerkschaft »Action & Defense« per Flugblatt: Regiere bei dem Statistikamt »ein Netzwerk der Korruption«?
Generaldirektor sieht sich als Opfer
Franchet empfindet solche Vorwürfe als ehrverletzend. Er sieht sich als Opfer von »Unterstellungen«, die »mehr als beleidigend« seien. Die Beamtengewerkschaft »Action & Defense« jedoch hat für den Generaldirektor nur noch Spott übrig: »Wenn er so weitermacht, werden wir von den Erklärungen unserer Vorgesetzten nichts mehr glauben«, schreiben die Gewerkschafter in einem Rundbrief, der in der Behörde zirkuliert.
Hans-Martin Tillack