Die Zahlen sind alarmierend: Jeder Fünfte in Deutschland hat nicht genug Geld für eine einwöchige Urlaubsreise, vor allem Alleinerziehende und Haushalte mit Kindern müssen oft verzichten. Für viele stellt eine Auszeit vom Alltag damit ein unerreichbares Luxusgut dar, wie aus aktuellen Zahlen des EU-Statistikamts Eurostat hervorgeht (der stern berichtete).
Dabei mag sich die Definition, was eine Woche Urlaub bedeutet, individuell unterscheiden. Doch wer sich eine Fahrt in die Ferien erlauben kann und wer nicht, droht zur Klassenfrage zu werden.
Nordrhein-Westfalens Familienministerin Josefine Paul ist alarmiert – und mahnt mehr Hilfe aus der Politik an. "Es ist erschreckend, dass sich jede fünfte Person – und vor allem Alleinerziehende – nicht einmal eine Woche Urlaub im Jahr leisten kann", sagt sie zum stern. Paul ist Teil der schwarz-grünen Regierung von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Gerade nach "Jahren im Krisenmodus" bräuchten Familien "mehr Unterstützung, so dass sie eine Auszeit nehmen können." Die Politik müsse "Familien in den Mittelpunkt rücken und für Entlastungen sorgen, wo es möglich ist", sagt Paul. "Mir als Familienministerin ist wichtig, dass gerade auch die Familien mit kleinen Einkommen die Möglichkeit zu Erholung und Kinder eine schöne Ferienzeit bekommen.“
In mehreren Bundesländern werden Urlaubsreisen für Familien innerhalb Deutschlands gefördert. Dabei fallen die Möglichkeiten je nach Bundesland unterschiedlich aus. In Mecklenburg-Vorpommern wird beispielsweise pro Übernachtung und Familienmitglied ein Zuschuss von 30 Euro für maximal 14 Tage gezahlt, sofern die Fördervoraussetzungen erfüllt sind. Auch Nordrhein-Westfalen fördert den Familienurlaub, ein entsprechendes Programm ("Familienzeit NRW") wurde in diesem Jahr mit 4,5 Millionen Euro ausgestattet und soll Familien mit geringem Einkommen finanziell unter die Arme greifen – sei es bei Freizeitangeboten, der Verpflegung oder den Anreisekosten. Mehr als 4500 Anträge interessierter Familien gäbe es bereits, heißt es aus Düsseldorf, aufgrund der hohen Nachfrage seien die Plätze für die Sommerferien bereits ausgebucht.
"Armut prägt das Leben nicht nur in der Urlaubszeit"
Dass nunmehr 21,9 Prozent der Deutschen angeben, sich eine Woche Urlaub nicht leisten zu können, dürfte mit verschiedenen Faktoren zusammenhängen. Zwar schwankten die Eurostat-Zahlen in den vergangenen Jahren recht stark, im Vergleich zum Jahr 2021 (19,9 Prozent) gab es jedoch einen leichten Anstieg derer, für die ein Urlaub finanziell nicht drin ist.
Noch immer belastet die hohe Inflation viele Haushalte. Auch haben sich Flugtickets und Pauschalreisen "im Zuge insgesamt steigender Preise" überdurchschnittlich verteuert, stellt das Statistische Bundesamt fest. Demnach stiegen die Kosten für internationale Flüge im 1. Halbjahr 2023 gegenüber dem Vorjahreshalbjahr um 24,9 Prozent, auch für Pauschalreisen innerhalb Deutschlands (+14,5 Prozent) und ins Ausland (+10 Prozent) muss im Vergleich zu 2022 tiefer in die Tasche gegriffen werden. Und Besserung scheint nicht in Sicht: DER Touristik, der nach Tui der zweitgrößte Reisekonzern Europas, geht für den Winter von Preissteigerungen in Europa "innerhalb des Inflationskorridors" von etwa fünf Prozent aus.
Reisen ist also teurer geworden. Oder, im Umkehrschluss: noch weniger erschwinglich für Haushalte mit kleinem Einkommen. Andreas Audretsch, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen, sieht daher grundsätzlicheren Handlungsbedarf.

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Dass sich jeder fünfte Deutsche keine einwöchige Urlaubsreise leisten könne, mache zwar "die großen Ungerechtigkeiten in Deutschland sichtbar", sagt der Haushaltspolitiker zum stern. "Armut prägt das Leben aber nicht nur in der Urlaubszeit, sondern das ganze Jahr über."
Audretsch zufolge seien gute Löhne "das beste Mittel" gegen Armut. Das geplante Tariftreuegesetz der Ampel-Koalition sei dahingehend ein wichtiger Schritt, weil es für mehr Entlohnung nach Tarif sorgen soll. Außerdem pocht der Grünen-Fraktionsvize auf die Kindergrundsicherung, die er – wie viele Spitzengrüne – als "das zentrale sozialpolitische Vorhaben" der Bundesregierung bezeichnet. "Davon werden vor allem auch Kinder von Alleinerziehenden profitieren, die den höchsten Anteil unter denjenigen ausmachen, die sich kaum Urlaub leisten können."
SPD-Familienpolitikerin befürwortet höhere Fördermittel
Tatsächlich geben laut Eurostat 42 Prozent der Alleinstehenden mit Kindern an – also weit mehr als jeder Dritte dieser Gruppe –, sich keinen einwöchigen Urlaub leisten zu können. Auch insgesamt stecken Haushalte mit Kindern häufiger zurück (23,4 Prozent) als Haushalte ohne Kinder (20,7 Prozent).
Eine kurzfristige Entlastung bedeuten aber weder das Tariftreuegesetz noch die Kindergrundsicherung: Während das Tariftreuegesetz von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) noch erarbeitet wird, ringt die Regierung um die konkrete Ausgestaltung der Kindergrundsicherung – die 2025 erstmals ausgezahlt werden soll.
"Wir wollen, dass alle Familien Ausgleich und Auszeit im Urlaub finden können", sagt Leni Breymaier zum stern. Die familienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion findet, dass gerade Alleinerziehende Möglichkeiten benötigten, um sich von ihrem anstrengenden Alltag zu erholen und durchzuatmen. Sie verweist dabei auf die sogenannte Bundesarbeitsgemeinschaft Familienerholung, die vom Bundesfamilienministerium gefördert wird.
Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss von mehr als 80 gemeinnützigen Familienferienstätten in ganz Deutschland, die das selbsterklärte Ziel verfolgen, "Urlaub mit Kindern zu erschwinglichen Preisen" anzubieten. So sind die Kosten für den Aufenthalt etwa steuerbefreit, auf Preissteigerungen in der Hochsaison wird in den Familienstätten in der Regel verzichtet. Außerhalb der Ferienzeiten richtet sich das Angebot auch andere, beispielsweise an Seniorengruppen oder Kita- und Klassenfahrten. Je nach Bundesland und Einkommen besteht zudem die Möglichkeit, einen Zuschuss zu bekommen.
Aber reicht das vor dem Hintergrund insgesamt steigender Preise? Sollten die Mittel, die der Bund für die Förderung zur Verfügung stellt, erhöht werden?
"Grundsätzlich wäre das zu begrüßen", sagt SPD-Politikerin Breymaier. Doch angesichts multipler Krisen und "zwei offenbar heiliger Kühe – keine Steuererhöhungen und Einhaltung der Schuldenbremse", sei seit Jahren ein Sparhaushalt vorgelegt worden. Mit freundlichen Grüßen an die CDU-Vorgängerregierung, aber auch an den Koalitionspartner FDP und ihren Bundesfinanzminister Christian Lindner, soll das wohl heißen. "Ich bin gespannt auf die parlamentarischen Beratungen", sagt die Familienpolitikerin.
Der Haushalt muss noch vom Bundestag verabschiedet werden. Spannend bleibt es also auch für Familien, die möglicherweise auf weitere Entlastungen hoffen dürfen – wenigstens für den nächsten Urlaub.