Überschuldet und herabgestuft Die Gründe für Italiens Misere

  • von Kai Beller
  • und Barbara Schäder
Seit mehr als einem Jahrzehnt hinkt Italien Europa wirtschaftlich hinterher. Der Schuldenberg ist riesig, die Regierung wurde jetzt abgestraft. Warum Italien in der Krise steckt.

Italien kämpft um das Vertrauen der Märkte, doch mit seinem politischen Zickzack-Kurs um das Sparprogramm hat Rom die Ratingagentur Standard & Poor's nicht überzeugt: Sie stufte die Kreditwürdigkeit des Landes herab und bewertete auch den weiteren Ausblick als "negativ". Die italienische Regierung reagierte mit Unverständnis auf die Entscheidung und erklärte, offenbar hätten politische Erwägungen eine Rolle gespielt. Doch ist dem wirklich so? Wie "Bella Italia" in den Sog der Schuldenkrise geriet.

Die politische Agonie

Ministerpräsident Silvio Berlusconi ist ein politischer Überlebenskünstler. Krisen und Affären haben ihn bislang nicht von der Macht verdrängen können, er klebt mit erstaunlicher Hartnäckigkeit an seinem Chefsessel. Dabei hat der 73-Jährige schon lange keine kraftvolle Regierung mehr im Rücken. Der konservative Premier ist vor allem damit beschäftigt, sein vorzeitiges Ende abzuwenden. Die Lösung der italienischen Schuldenprobleme ist in diesen Strudel geraten.

Berlusconis Politikstil wird an den Finanzmärkten - auch von den Ratingagenturen - mit Argwohn betrachtet und ist alles andere als vertrauensfördernd. Er zeigt sich unberechenbar, kündigt heute an, um es morgen wieder zurückzunehmen und es dann doch umzusetzen. Beleg für diese Politik ist das Hin und Her über das italienische Sparpaket im Umfang von 54 Milliarden Euro, dass das Parlament letztendlich mit solider Mehrheit verabschiedet hat

Gefunden in ...

Streit mit Finanzminister Tremonti sorgte für Unruhe

Berlusoni heizt die innenpolitischen Querelen an: Finanzminister Giulio Tremonti hatte der Premier Anfang Juli mit der Ankündigung brüskiert, Justizminister Angelino Alfano werde ihn nach der nächsten regulären Wahl 2013 beerben. In der Zeitung "La Repubblica" äußerte sich Berlusconi abschätzig über Tremonti: "Er hält sich für ein Genie und alle anderen für blöd." Die Demontage des Politikers, der an den Finanzmärkten großes Vertrauen genießt, kam nicht gut an. Als dann noch bekannt wurde, dass ein Haftbefehl gegen einen Vertrauten Tremontis vorliegt, erreichte die politische Krise endgültig die Märkte.

Auf breiter politischer Front muss Berlusoni seit den verlorenen Regionalwahlen im Frühjahr kämpfen. Seine Partei "Volk der Freiheit" (PdL) musste wichtige Bürgermeisterposten an die Opposition abgeben. Danach brachte die Bevölkerung in einem Referendum auch noch Berlusconis Atompläne zu Fall.

Der Koalitionspartner von der Lega Nord, die von einem unabhängigen norditalienischen Staat Pandanien träumt, stellte Forderungen an einen Verbleib in der Koalition. Ihr Chef Umberto Bossi nutzte die Gunst der Stunde, um Steuererleichterungen zu fordern. Berlusconi kam der Lega entgegen und handelte sich damit das nächste Problem ein. Denn Tremonti besteht auf einem strikten Sparkurs.

Das Volk ist genervt von der Politik des Regierungschefs und wehrt sich gegen die Sparpläne. In Rom kommt es immer wieder zu Protesten.

Der Schuldenberg

Italiens Hauptproblem sind die hohen Verbindlichkeiten. Die Gesamtverschuldung liegt schon seit Jahren über der Wirtschaftsleistung des Landes. Mit 119 Prozent des Bruttoinlandsproduktes war Italien 2010 nach Griechenland der zweitgrößte Schuldensünder in der Euro-Zone. Auf 1843 Milliarden Euro beliefen sich die Außenstände. Im laufenden Jahr könnte die Quote nach einer Prognose der EU-Kommission sogar auf mehr als 120 Prozent steigen.

Verfehlungen in den 90ern

Der Großteil dieses Schuldenbergs wurde in den 80er- und 90er-Jahren angehäuft. Lange Zeit hatte Italien aber keine größeren Probleme mit seiner Schuldenwirtschaft. Das liegt unter anderem daran, dass die Kredite zum größten Teil durch Ersparnisse der Italiener finanziert werden. Damit hängt Italien nicht so stark am Tropf ausländischer Anleger. Der designierte Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, sieht einen weiteren Pluspunkt seines Landes: "Die Verschuldung der Familien und der Unternehmen ist eine der niedrigsten in Europa", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Auch das Haushaltsdefizit hält sich in Grenzen. Im laufenden Jahr soll die Neuverschuldung auf 4,0 Prozent sinken, 2012 auf 3,2 Prozent. Erst 2014 will die Regierung das Defizit unter die Drei-Prozent-Marke drücken.

Das Sparpaket

Insgesamt 54 Milliarden Euro will Italien bis 2013 einsparen, um der Schuldenfalle zu entkommen. Zwischenzeitlich hatte Berlusconi jedoch versucht, die Maßnahmen zur Sanierung der Finanzen wieder aufzuweichen - und fing sich harte Kritik der EZB ein. Denn diese hatte mit Anleihenkäufen indirekt die Schulden des Landes abgesichert. Der italienische Notenbankchef und künftige EZB-Präsident Draghi warnte daher Berlusconi davor, die Anleihekäufe seien nicht dazu da, damit Staaten die Prinzipien der Haushaltsdisziplin umgehen könnten. Nachdem der Premierminister das Paket mit der Vertrauensfrage verknüpft hatte, stimmte ihm das Parlament zu.

Nun ist vorgesehen, auf Einkommen von mehr als 300.000 Euro eine Solidaritätsabgabe von drei Prozent zu erheben und das Rentenalter der Frauen anzuheben. Auch die Mehrwertsteuer soll um einen Punkt auf 21 Prozent angehoben werden. Energiekonzerne sollen mit einer Sonderabgabe zur Haushaltskonsolidierung beitragen. Außerdem sollen Steuerhinterzieher schärfer verfolgt werden. Regierungsvertreter signalisierten zudem, dass nach der Verabschiedung des Pakets weitere Schritte möglich seien, etwa der Verkauf von Staatseigentum.

Allerdings gibt es auch in Italien eine Debatte darüber, ob die gewaltigen Sparschritte die Konjunktur nicht noch weiter abwürgen. Denn zusätzliche Belastungen senken den Konsum und könnten die Lage verschärfen.

Die lahmende Konjunktur

Italien hat nach dem Urteil zahlreicher Ökonomen ein chronisches Wachstumsproblem. Zwischen 1995 und 2010 betrugen die Steigerungsraten lediglich 0,8 Prozent im Schnitt. Zum Vergleich: Im gescholtenen Griechenland waren es 3,3 Prozent. Nach Ansicht von Experten ist es das Ergebnis jahrelang verschleppter Strukturreformen in der Ära Berlusconi. Der designierte EZB-Präsident Draghi machte Anfang Juni die Politik Roms verantwortlich. Der Internationale Währungsfonds und die Industrieländerorganisation OECD legten dem Land Strukturreformen nahe, um das Wachstum anzukurbeln. Die Wettbewerbsfähigkeit hat stark gelitten. Das Alpenland konkurriert in einigen Produktbereichen mit Asien und Osteuropa – hier hat die italienische Wirtschaft verloren. In leistungsfähigeren Bereichen wie dem Maschinenbau haben es italienische Firmen zugleich nicht geschafft soviel Marktanteile in Asien hinzuzugewinnen wie deutsche. Problem ist auch das massive Ausmaß der Schattenwirtschaft in Italien, durch die der Staat jedes Jahr etliche Milliarden verliert. In der Folge wiegt für einige Ökonomen die schwache Perspektive beim Wachstum noch schwerer als die Haushaltslage. Die globale Rezession hat das Land gebeutelt. 2009 schrumpfte die italienische Wirtschaft um fünf Prozent. Mittlerweile geht es besser. Im laufenden Jahr wird ein Wachstum von einem Prozent erwartet. Im ersten Quartal gab es allerdings nur ein Miniplus von 0,1 Prozent. Im Vergleich steht Italien damit wesentlich schlechter da als andere große EU-Volkswirtschaften wie Deutschland oder Frankreich.

Das Urteil der Ratingagenturen

Die Ratingagenturen setzen Italien ebenfalls zu. Standard & Poor's (S&P) begründete die Herabstufung der Kreditwürdigkeit des Landes mit den schwachen Wachstumsaussichten. Die Ratingagentur senkte ihre Konjunkturprognose für die Jahre 2011 bis 2014 von 1,3 Prozent auf 0,7 Prozent. "Wir glauben, dass das reduzierte Tempo von Italiens wirtschaftlicher Aktivität die revidierten Finanzziele der Regierung schwer erreichbar macht", stellten die Experten fest.

Gleichzeitig übten sie aber auch Kritik an Berlusconi: "Wir gehen davon aus, dass die zerbrechliche Regierungskoalition Italiens und die politischen Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Parlaments weiterhin die Fähigkeit der Regierung einschränken werden, entschlossen auf nationale und internationale wirtschaftliche Herausforderungen zu reagieren."

FTD