Nina aus dem "Sexworld" in Hannover wird nicht kommen. Ebenso wenig Mariza und auch nicht Josélia, die beiden Brasilianerinnen aus einem Etablissement in Lissabon, von denen ihm eine so gut gefiel, dass sie ihm sogar nach Paris geflogen wurde. Keines der Mädchen, die VW bezahlt haben soll und die er in einer diskreten Braunschweiger Hochhauswohnung oder in Luxushotels traf, wird aussagen.
Das zumindest bleibt ihm erspart, wenn er als Erster in der sogenannten VW-Affäre auf der Anklagebank sitzt. Peter Hartz kosteten seine Prostituiertengeschichten vor anderthalb Jahren seinen Vorstandsposten bei VW und seinen guten Ruf, das Unternehmen aber nur ein paar Tausend Euro. Deshalb interessieren sich die Staatsanwälte vorläufig nicht mehr dafür. Sie haben ihn schwererer Taten angeklagt, und die hat er mehr oder minder gestanden. In diesem Prozess geht es um Millionen - und um die Frage, ob sich das Management von Europas größtem Autokonzern seinen mächtigsten Betriebsrat gekauft hat.
44 Straftaten der Untreue und der Begünstigung eines Betriebsrats werfen die Ankläger Peter Hartz vor. Immer geht es um den einstigen Betriebsratsvorsitzenden und VW-Aufsichtsrat Klaus Volkert: um exakt 1.949.600 Euro an Sonderbonuszahlungen, die Hartz dem mächtigen Gewerkschafter im Laufe der Jahre heimlich und ungerechtfertigt gewährt haben soll; um fast 400.000 Euro, die Volkerts brasilianische Geliebte Adriana Barros ohne nennenswerte Gegenleistung bekam; um ebenso private wie teure Reisen des sonderbaren Paares rund um den Globus, die über Hartz' Kostenstelle abgerechnet wurden.
Keine Zeugen vor Gericht
Dennoch wird es ein kurzer Prozess werden. Schon am zweiten Verhandlungstag soll er wieder enden. Der Presserummel wird gewaltig sein, doch das Verfahren selbst wenig spektakulär ausfallen. Aus der 63-seitigen Anklageschrift werden gerade mal elf Blatt vorgetragen, keine Sachverständigen werden aussagen und eben auch keine Zeugen. Möglichst wenig Details vor aller Augen und Ohren, keine Intimitäten, all das war Peter Hartz wichtig, vielleicht wichtiger als ein Urteil über sein tatsächliches Maß an Schuld.
Dabei könnte Hartz Rechtsgeschichte schreiben: Ein Fall, in dem sich ein Unternehmen das Wohlwollen des Betriebsrats erkauft, ist in Deutschland noch nie verhandelt worden. Und es ist eine juristisch durchaus spannende Frage, ob Bestechung in diesem Fall das Vermögen des Konzerns schädigt oder - im Gegenteil - dem Unternehmen sogar zum Vorteil gereichen kann. Doch Hartz und sein Verteidiger Egon Müller verzichten auf spitzfindige Erörterungen.
Damit erst gar keine Missverständnisse aufkommen, hat Hartz durch eine eigens engagierte PR-Agentur wissen lassen, er übernehme "die strafrechtliche Verantwortung" für die Geschehnisse bei VW. Solche Einsicht erspart eine peinliche Wahrheitsfindung und stimmt obendrein Gerichte milde. Nach allem, was man so hört, dürfte Peter Hartz mit einer Haftstrafe unterhalb von zwei Jahren auf Bewährung und einer saftigen Geldstrafe abgeurteilt werden. Und dann bloß weg aus dem Saal 141 des Landgerichts Braunschweig und aus diesem ganzen hässlichen Skandal, von dem Hartz bis heute nicht richtig begriffen hat, warum er darin überhaupt eine der Hauptfiguren ist.
Tiefpunkt im Leben
Dieser Prozess ist der Tiefpunkt im Leben eines lange Zeit allseits anerkannten und erfolgreichen Managers. Der, so schien es zumindest, stets nur das Gute will und zuletzt allerhand Murks schuf. Bei dem man irgendwann zweifelte, ob man ihn für seine Naivität belächeln oder sich über seine Kaltschnäuzigkeit empören soll.
Es ist eine sonderbare Mischung aus Menschenfreundlichkeit, Größenwahn und Blauäugigkeit, die den heute 65-Jährigen seit langem umgibt. Als er 2002 für Gerhard Schröder den Arbeitsmarkt reformieren sollte, musste er die Ergebnisse seiner Kommissionsarbeit unbedingt im Französischen Dom zu Berlin verkündigen. Dank seiner Ideen, predigte er, werde sich die Arbeitslosigkeit in weniger als drei Jahren um zwei Millionen verringern - es müsste eben nur die ganze Nation mitziehen. Dem stern sagte er damals ohne jede Selbstironie, er habe "eine Bibel für den Arbeitsmarkt" geschrieben. Als kurz darauf ausgerechnet sein Name zum Synonym für kalten Sozialabbau wurde ("Nieder mit Hartz IV, das Volk sind wir!"), verstand das Arbeiterkind, SPD- und IG-Metall-Mitglied Peter Alwin Hartz die Welt nicht mehr.
Ein "sehr, sehr aufrechter und gerader Mensch" sei Peter Hartz, beteuerte seine langjährige Vorstandssekretärin gegenüber den Ermittlern, er habe seine Reisen stets "korrekt" abgerechnet. "Korrekt" habe er sich ihr gegenüber verhalten, gab ebenso die Studentin und Gelegenheitsprostituierte mit dem Künstlernamen Nina zu Protokoll, die eigens für ihn in eine eigens für diese Zwecke und für rund 50.000 Euro hergerichtete Wohnung in der Braunschweiger Kurt-Schumacher-Straße gebracht wurde. Der "Peter" habe jedoch auch betont, dass er eine "wirkliche Persönlichkeit" sei, die wirklich etwas zu sagen habe, mit dickem neuem Touareg und allem Pipapo. Seine Fahrer hingegen schilderten Hartz als einen Mann, der kaum in der Lage sei, selbstständig zur Bank zu gehen oder ohne Hilfe das Telefonbuch seines Handys zu bedienen. "Er würde, wenn er nach Braunschweig fahren würde, bestimmt nicht alleine wieder zurückfinden."
Hat so einer der mächtigen IG Metall kalten Herzens die Seele abgekauft? Zu einer Vernehmung im vergangenen Oktober brachte er den Ermittlern ein mehrseitiges Papier über "Grundlagen und Selbstverständnis der Mitbestimmung bei Volkswagen" mit, das die historisch besondere Bedeutung der Gewerkschafter für die Unternehmensentwicklung rühmt, die ein "Agieren auf gleicher Augenhöhe" erfordere: Dass er Volkert ein Einkommen inklusive aller Bonuszahlungen von bis zu 700.000 Euro im Jahr bewilligte und ihm nebenbei sowohl die Geliebte als de facto auch Prostituierte finanzierte, wollte er irgendwie als Wertschätzung für einen herausragenden Vertreter der Arbeiterklasse verstanden wissen. "Offenbar geht es in diesem Verfahren darum, wie viel ein Betriebsrat in Deutschland verdienen darf", wunderte sich Peter Hartz noch kürzlich am Telefon.
Rücksichtsnahme auf Volkert
Gegenüber den Ermittlern ließ er sich zu etwas differenzierteren Aussagen über seine Motive überreden: Warum die hohen Sonderboni für den Betriebsratschef? Wegen dessen "verantwortlicher Stellung", vergleichbar der eines Topmanagers. Aber auch, weil er sein Verhältnis zu Volkert nicht habe belasten wollen. Warum jahrelang Honorare für dessen Geliebte - 23.008 Euro pauschal pro Quartal? Die seien maßgeblich bestimmt gewesen durch die Rücksichtnahme auf "die Position von Herrn Volkert". Warum die "Vertrauensspesen", die niemand kontrollieren sollte?
Den Wirtschaftsprüfern von der KPMG, die den Fall für VW durchleuchteten, erklärte er die unter anderem mit der "Organfunktion" Volkerts: Er sei "als Aufsichtsratsmitglied u. a. beteiligt an der Gehaltsgenehmigung des Vorstandsvorsitzenden". Und ja, er habe "aufgrund selbst wahrgenommener Ereignisse auf Reisen" (gemeint dürften zum Beispiel dessen Treffen mit Prostituierten sein) Bedenken gehabt, aber nicht sehen wollen, dass hier "eventuell private Ausgaben" über VW abgerechnet wurden. Das ist eine wohldosierte Zerknirschung, mit der Hartz die Schuld gezielt auf sich lenkt, ohne dass er als kühl kalkulierender Bestecher des Betriebsrats dasteht.
Mit der gleichen Geste des Sünders im Dienste des Unternehmens zieht Hartz auch jeden möglichen Verdacht gegen den langjährigen Konzernboss und heutigen Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch auf sich. Die Sonderbonuszahlungen seien nicht mit Piëch abgestimmt gewesen, betonte er in seiner Vernehmung: "Ich habe den Sonderbonus vertraulich behandelt." Hartz, der Einzeltäter? Die Staatsanwaltschaft mag ihm das bis heute nicht recht glauben, zumal ausgerechnet jene Sitzungsprotokolle des zuständigen Bewilligungsgremiums bei VW aus den Jahren 1994 und 1995, auf die es für die Sonderboni ankommt, laut einer E-Mail von Volkswagen an die Ermittler "nicht mehr vorhanden" sind.
Am 7. Dezember 2006 wurde deshalb bei dem Leiter der Gehaltsabrechnung für Führungskräfte der Ordner "K. Volkert, 24. 11. 1942" sichergestellt; elf Tage später, am 18. Dezember, vernahm die Staatsanwaltschaft den ehemaligen VW-Vorstand und Piëch-Vertrauten Jens Neumann. Belastendes gegen Porsche-Erbe Piëch fand sich offenbar nicht.
Die Wirkung des Skandals mag Hartz, der sich vorübergehend in sein Haus im Saarland zurückgezogen hat, noch nicht ganz zu erfassen. Er hofft, wenn sich der Sturm erst gelegt habe, endlich weitermachen zu können, er hat ja eine Mission: Industriearbeitsplätze wettbewerbsfähig zu machen im Hochlohnland Deutschland, das Land herauszureißen aus Lethargie und Besitzstandsdenken.
"Wunderbarer Alleinherrscher"
Im Oktober 2005, da war er längst gestürzt, erzählte er der "Zeit", er träume davon, dass ihn der Bundespräsident zu seinem Geburtstag anrufe und zu "einer Tafelrunde zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit" einlade, darin die Vertreter der "Macht-Eliten". "Und es träumt mir, ich sei Alleinherrscher, ein wunderbarer, sympathischer, liebevoller Alleinherrscher, wie ihn die Weltgeschichte bisher noch nicht gekannt hat und der für sein Volk nur das Beste will."
Der Bundespräsident rief nicht an, und dieser Traum dürfte unerfüllt bleiben, aber im März erscheint erst einmal ein Buch von ihm. Darin erzählt Peter Hartz aus seinem Leben als Kind aus kleinen Verhältnissen und von seinen Arbeitsmarktreformen und wie das alles wirklich war. Er sagt, das sei er seiner Familie und sich schuldig. Und wenn dann das juristische Nachspiel dieser schrecklichen Affäre endlich erledigt sei, dann könne man sich doch wieder gemeinsam den drängenden Problemen widmen: der Arbeitslosigkeit, den Sozialreformen, er habe viele neue Ideen. Er glaubt, dass sein Rat noch gefragt sei. Vor einem Jahr gründete er schon mal die "Professor Dr. h.c. Peter Hartz GmbH & Co. KG", Unternehmenszweck: das "Erbringen von Beratungsleistungen". Die akademischen Titel trägt er übrigens nur ehrenhalber, aber mit umso größerem Stolz.
Doch selbst wenn er in den kommenden Wochen das Knie beugt vor dem Landgericht Braunschweig und eine Strafe annimmt, die er eigentlich nicht versteht, ist die ganze Affäre noch längst nicht ausgestanden für Peter Hartz. Denn sein Prozess wird nur der erste von mehreren sein. Und geht es erst einmal gegen Klaus Volkert, den Hauptnutznießer des atemraubenden Bonus- und Spesensystems bei VW, oder den Personalmanager Klaus-Joachim Gebauer, der die vielen Lustreisen und Sexpartys organisierte, dürfte es vorbei sein mit der vornehmen Zurückhaltung vor Gericht.
Dann droht "Krawall", wie in der Staatsanwaltschaft vermutet wird. Dann wird es auch um jene saftigen Details gehen, die im Hartz-Prozess ausgespart werden, und die Herren und ihre streitlustigen Anwälte dürften sich mit Dreck bewerfen. Und sollte das Urteil gegen Hartz bis dahin rechtskräftig sein, müsste der als Zeuge auftreten - auch zu solchen Geschichten aus dem Rotlichtmilieu. Nur wer sich selbst belasten könnte, hat ein Recht, die Aussage zu verweigern.
Sein Anwalt Egon Müller aus Saarbrücken, ein in Ehren ergrauter Fuchs des deutschen Strafrechts, könnte deshalb versucht sein, gegen das Urteil des Landgerichts selbst dann Revision beim Bundesgerichtshof einzulegen, wenn Hartz es liebend gern akzeptierte. Denn das würde das Verfahren erst einmal in der Schwebe halten und dem Pensionär peinliche Auftritte in anderen Gerichtsverhandlungen womöglich ersparen. Das ist die hohe Schule der Verfahrenstaktiker.
Aber auch die Anwälte der anderen Beschuldigten werden in den nun argwöhnisch nach Braunschweig blicken. Denn was dort geschieht, wird auch ihre Verfahren prägen. Johann Schwenn zum Beispiel, der scharfzüngige Verteidiger von Klaus Volkert, argumentiert, der Untreue schuldig gemacht habe sich nur Peter Hartz durch seine eigenen Hurentreffen, denn die nutzten allenfalls ihm, aber nicht dem Unternehmen. Die großherzigen Zahlungen an seinen eigenen Mandanten und für dessen viele Frauen aber seien durchaus im Sinne von VW gewesen, was immer man moralisch davon halten möge. Und die Begünstigung eines Betriebsrats mag zwar eine schlimme Sache sein - nicht aber der Begünstigte mache sich dabei strafbar. Wenn es auch befremdlich wirken mag: So gesehen wäre ausgerechnet Klaus Volkert unschuldig.
Mildes Urteil könnte allen Beschuldigten nutzen
Schwenn weiß jedoch: Sollte, was wahrscheinlich ist, das Landgericht Hartz wegen der Zahlungen an Volkert der Untreue für schuldig befinden, kann er sich diese findige Argumentation erst einmal an den Hut stecken. In Braunschweig gibt es nur eine Kammer, die Verfahren dieser Art verhandelt, und die wird nicht in einem Prozess rechtens finden, was sie kurz zuvor in einem anderen als Unrecht erkannte. Schwer verbergen kann Schwenn deshalb seinen Unmut darüber, dass sich sein saarländischer Kollege Müller eines kurzen Prozesses zuliebe auf Grundsatzfragen gar nicht erst einlässt. Die müsste Johann Schwenn dann im Zweifel vom BGH klären lassen. Aber diese Aussicht muss einen ehrgeizigen Anwalt ja nicht unbedingt bekümmern.
Andererseits: Ein absprachegemäß mildes Urteil gegen Hartz könnte auch den anderen Beschuldigten nutzen. Zwar hat er sich, anders als offensichtlich Klaus Volkert, nicht selbst bereichert. Aber immerhin, und das wird in der Strafzumessung berücksichtigt, er war der Chef: der mit dem größten Überblick. Auch wenn das heute nur mehr schwer zu glauben ist.