VG-Wort Pixel

Steuer-Ungerechtigkeit Spitzensteuersatz für alle – wie uns der Staat reich rechnet

Für das Finanzamt zählt auch eine Lehrerin zu den Top-Verdienern, für die der Spitzensteuersatz fällig wird.
Für das Finanzamt zählt auch eine Lehrerin zu den Top-Verdienern, für die der Spitzensteuersatz fällig wird.
© Gettyimages
Spitzensteuern zahlen nur die Reichen – denkt man. Aber in Deutschland müssen auch Lehrer und Facharbeiter den höchsten Steuersatz zahlen. Mit diesem Trick rechnet uns das Finanzamt reich.

Der Spitzensteuersatz wird bei Spitzenverdienern fällig, denkt man. Tatsächlich erreicht man ihn aber bereits bei einem Jahresbruttogehalt von 52.882 Euro. Bei 13,6 Gehältern im Jahr ergibt sich ein Bruttomonatsgehalt von etwa 3900 Euro. Das ist gewiss kein schlechtes Einkommen - aber von Top-Verdienern ist man weit entfernt. Bei 3900 Euro brutto schlagen Staat und Sozialkasse mächtig zu. In vielen Fällen dürften nur etwa 2300 Euro netto übrig bleiben. Leistet sich dieser Spitzenverdiener in Hamburg oder Berlin eine Zwei-Zimmer-Wohnung, dürfte ihn das Wohnen mit Nebenkosten sicher etwa 1000 Euro kosten. Verbleiben 1300 Euro zum sonstigen Leben. Damit leidet man keine Not, ist gewiss aber auch nicht reich.

Facharbeiter gelten als Spitzenverdiener

Ein Facharbeiter in der Automobilindustrie kommt mit Schichtzulagen locker über 3900 Euro. Steigt er in der Hierarchie zu einem Vorarbeiter oder Schichtleiter auf, liegt er sogar deutlich drüber.

Eine Gymnasial-Lehrerin in Hamburg kommt nach ein paar Jahren Berufserfahrung auf 4530 Euro Brutto – nach der Logik unseres Steuersystems ist sie schon eine Superverdienerin. Das Gleiche trifft übrigens auch für Reporter und Journalisten mit einigen Jahren Berufserfahrung zu, auch keine Berufe, die die Einkommensstatistik anführen.

Die Reichen profitieren

Es lässt sich je nach politischem Standpunkt darüber streiten, ob einzelne Personen tatsächlich zu viel Steuern zahlen, oder ob die Steuerbelastung für sie tragbar ist. Aber eins ist ganz klar, diese Leute sind keine Spitzenverdiener – doch sie zahlen den gleichen Höchststeuersatz wie die wirklich Reichen. Die Steuerprogression steigt am Anfang extrem steil an, um dann auf einem Niveau zu verharren. Mit einer Ausnahme ab 250.000 greift die Reichensteuer von 45 Prozent.

Schon bei mittleren Einkommen setzt die Progression aus. Von diesem Modell profitieren die wirklich Reichen, eigentlich sollten sie prozentual jedoch wegen ihrer höheren Leistungsfähigkeit stärker belastet werden. Dumm dran sind die etwas besser gestellten Normalverdiener. 

Immer mehr Steuer-Reiche

Spitzenverdiener ist man laut Finanzamt bereits, wenn man das 1,3 fache des Durchschnittslohns verdient, den die Rentenversicherungsanstalt zugrunde legt. Früher musste man das 15-fache des Durchschnittslohns als Einkommen erzielen, um mit dem höchsten Satz stark belastet zu werden.

Das Bundesfinanzministerium schätzt, dass 2017 etwa 2,69 Millionen Personen den Spitzensteuersatz von 42 Prozent bezahlen. Mit den Ehepaaren sind es nach diesen Angaben insgesamt 3,73 Millionen Menschen. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln) sind es sogar 4,2 Millionen Personen. Noch 2004 wurden nur 1,2 Millionen Menschen zum Spitzenwert veranlagt.

Laut Finanzamt leben also mehr als drei Mal so viele Spitzenverdiener in Deutschland. Doch die vergangenen 13 Jahre waren keine Periode eines gigantischen Aufschwungs, wie konnte diese Vermehrung geschehen?

Inflation macht uns reich

Die zusätzlichen Millionen von Spitzenverdienern wurden nicht wirklich reich, sie fielen der sogenannten kalten Progression zum Opfern. Kalte Progression nennt man folgenden Zusammenhang: Durch die Inflation verliert das Geld an Wert, doch die Eckwerte der Steuerberechnung bleiben gleich. 3900 Euro im Jahre 2017 sind in Scheinen das gleiche Bündel wie im Jahr 2004, in realer Kaufkraft jedoch viel weniger. Berücksichtigt man die Inflation indem Zeitraum müsste heute ein Einkommen von 4738 Euro erzielt werden, um die Kaufkraft von 3900 Euro im Jahr 2004 zu erreichen. Ein Jahresgehalt 2017 von 52.882 Euro entspräche in Kaufkraft von 2004 einem Jahreseinkommen von nur 43.400.

Wenn bei einem Arbeitnehmer Lohnerhöhungen die Inflationsrate ausgleichen, tritt er gerechnet in Kaufkraft auf der Stelle - er wird im wirklichen Leben nicht "reicher". Das Finanzamt schaut aber nur auf die nackten Zahlen und versteuert den nominellen Zuwachs mit immer höheren Prozenten.

Vor diesem einfachen Zusammenhang verschließen die Politiker fest beide Augen, denn so wird der Staat immer reicher. In den letzten 14 Jahren machte Inflationsfaktor mehr als 20 Prozent aus – diese 20 Prozent bescheren dem Staat die Schwemme an Spitzenverdienern.

Dieses böse Spiel wird aller Voraussicht auch in Zukunft weitergehen. 15 Jahre weiter wird sich die Zahl derjenigen, die den Spitzensteuersatz zahlen müssen, wiederum verdreifacht haben. Der Grundsatz der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit wird zum Witz. Denn nur in Papier gerechnet werden wir immer wohlhabender – das reicht aber für den Fiskus.

Anmerkung: Der Spitzensteuersatz wird nur für das Einkommen oberhalb des Grenzwertes fällig. Das Einkommen darunter wird geringer besteuert. Auf Dinge wie den Grundfreibetrag muss auch ein Einkommensmillionär keine Steuern zahlen.

Lesen Sie auch:

Spitzensteuersatz für alle – wie uns der Staat reich rechnet 

Reiche bleiben unter sich - wer heute arm geboren wird, bleibt auch arm

- Vergesst die Romantik! Wie Einkommen und Geld die Liebe bestimmen 

Ende der Wohlstands-Ära: Die Jungen werden ärmer als ihre Eltern

Reichtums-Trend - So tarnen sich die Superreichen als hart arbeitende Mittelschicht

Wie die Power-Ehen der Akademiker die Ungebildeten abhängen

Mehr zum Thema

Newsticker