Es ist der Abend des 29. November 1971, heute vor 50 Jahren: Gegen 19 Uhr verlässt der damals 49-jährige Theo Albrecht die Hauptverwaltung von Aldi-Nord in Herten bei Essen. Albrecht ist schwerreich. Gemeinsam mit seinem Bruder Karl hatte Theo nach dem Zweiten Weltkrieg das Discounter-Imperium Aldi aufgebaut.
Karl lenkt Aldi-Süd von Mülheim aus, Theos Reich ist Aldi-Nord mit der Zentrale in Herten. Die Brüder stammen ursprünglich aus einfachen Verhältnissen, doch schon Anfang der 70er Jahre sind sie nach der rasanten Expansion von Aldi mehr als wohlhabend, sie sind ein Teil des deutschen Wirtschaftswunders.
Dieser legendäre Reichtum hat zwei Kriminelle auf die Idee einer Entführung gebracht – die beiden Verbrecher sollen aus dem Buch "Die Reichen und Superreichen in Deutschland" von den Albrecht-Brüdern erfahren haben.
Theo Albrecht sah gar nicht aus wie ein Aldi-Gründer
Und so lauern der damals 47-jährige Anwalt Heinz-Joachim Ollenburg und sein 39-jähriger Komplize Paul Kron ihrem Opfer an jenem Abend vor der damaligen Aldi-Nord-Zentrale auf.
Doch ist dieser bescheiden aussehende Mann in seinem einfachen Anzug tatsächlich der superreiche Aldi-Gründer? Es wird erzählt, dass Kron, ein mehrfach vorbestrafter Tresorknacker und in der Unterwelt als "Diamanten-Paule" bekannt, sich erst den Personalausweis von Albrecht vorzeigen ließ. Denn er war nicht sicher, ob sie wirklich Theo Albrecht vor sich hatten – und nicht vielleicht doch den Buchhalter der Firma.
Bis zu jenem Abend soll das Kidnapper-Duo dem Opfer bereits mehrmals erfolglos aufgelauert haben. Zunächst soll Theos älterer Brüder Karl das Ziel der Gangster gewesen sein, doch die Wahl der Verbrecher fiel schließlich auf Theo Albrecht.
Als sie sicher sind, dass sie den echten Aldi-Gründer vor sich haben, zwingen die zwei Entführer ihn mit vorgehaltener Pistole in ein Auto und verschleppen ihn in Ollenburgs Kanzlei mitten in der City von Düsseldorf.
Die Familie der Aldi-Gründer mag bis heute nicht öffentlich über die Entführung sprechen
Die Entführung gilt bis heute als einer der spektakulärsten Kriminalfälle der deutschen Nachkriegsgeschichte – und sie war ein tiefer Einschnitt im Leben von Theo Albrecht und der ganzen Familie. Auch 50 Jahre danach ist es für die Discount-Dynastie ein belastendes Thema. So traumatisch, dass niemand von ihnen öffentlich darüber sprechen mag.
Die Nachrichtenagentur DPA beispielsweise versuchte aus Anlass der 50. Jahrestags der Entführung ein Statement von einem der Albrecht-Söhne zu bekommen. Er sei laut einem Unternehmenssprecher damals 20 Jahre alt gewesen. Doch der Sohn habe abgelehnt, so die Agentur.
Seit den Ereignissen vom Spätherbst 1971 meidet der Milliardärs-Clan die Öffentlichkeit, so gut es geht. Am Tag seiner Freilassung sagte Theo Albrecht noch einige Sätze zu Reportern, Kameras schossen für viele Jahre die letzten Bilder des Unternehmers. Aldi kennt jeder in Deutschland, um die Albrecht-Brüder aber wurde es nach dem Jahresende 1971 sehr still.
Fast drei Wochen – insgesamt 17 Tage – dauert die Geiselhaft in jenen November- und Dezembertagen. Theo Albrecht kommt schließlich frei gegen die Zahlung von seinerzeit schier undenkbaren sieben Millionen Mark Lösegeld, die höchste Summe, die bis dato je in der Bundesrepublik gezahlt wurde.
17 Tage sind eine lange Zeit. Die Lösegeld-Verhandlungen mit den Entführern gestalten sich zäh, die Gangster melden sich per Brief oder Telefon. Überbracht wird das Geld schließlich vom damaligen Ruhrbischof Franz Hengsbach.
Der Bischof willigt ein, am 16. Dezember auf einem düsteren Feldweg in Breitscheid bei Düsseldorf die Millionen in zwei Koffern zu übergeben. Nach der Geldübergabe bleibt Theo Albrecht noch 24 Stunden in der Obhut des Kirchenmanns, das wurde so mit den Kidnappern vereinbart. Am 17. Dezember, genau eine Woche vor Heiligabend, darf der Aldi-Gründer endlich zu seiner Familie zurückkehren. Er ist – zumindest körperlich – unverletzt.
Theo Albrecht bedankt sich bei der Polizei mit Sekt, Bier und Schnaps
Die Essener Polizei gründet seinerzeit eine Sonderkommission mit mehr als 160 Ermittlern für die bis dato größte Fahndung in der Bundesrepublik. Bei den Beamten bedankt sich Albrecht nach seiner Freilassung mit 120 Flaschen Sekt, zwei Fässern Bier und zwölf Flaschen Schnaps. Albrecht gilt als sparsam.
Viel Zeit hatten die Täter nicht, die immense Lösegeld-Summe auszugeben. Sie wurden rasch gefasst. Für Anwalt Ollenburg klickten die Handschellen in Mexiko, er soll seinen Anteil von gut 3,5 Millionen Mark an Theo Albrecht zurückgegeben haben.
Ollenburgs Komplize machte sich verdächtig, weil er mit 500-Mark-Scheinen bezahlte, die aus der Geldübergabe stammten. Bei seiner Verhaftung gab er an, nur 10.000 Mark von Ollenburg erhalten zu haben. Wo das restliche Geld sei, wisse er nicht. Bis heute blieb etwa die Hälfte der Lösegeld-Millionen verschollen. Für die Entführung von Theo Albrecht wurden die beiden Verbrecher im Jahr 1973 vom Essener Landgericht zu jeweils achteinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
Kann man Lösegeld von der Steuer absetzen?
Später schaffte es Theo Albrecht noch ein einziges Mal in die Schlagzeilen. Er klagte 1979 vor dem Finanzgericht Münster, weil er die Lösegeldsumme als Betriebsausgabe absetzen wollte, hatte damit allerdings nur teilweise Erfolg.
Denn die Richter sahen die Entführung als Privatsache an. Allerdings durfte Albrecht den verschwundenen Teil des Lösegelds als außergewöhnliche Belastung bei der Steuererklärung geltend machen.
Theo Albrecht starb 2010 im Alter von 88 Jahren, sein Bruder Karl 2014. Auch die beiden Entführer leben nicht mehr. In Vergessenheit geraten wird der Entführungsfall des Theo Albrecht aber wohl nie – er ist Teil der deutschen Kriminal- und Wirtschaftsgeschichte.
Quellen: Archiv des stern, "Berliner Morgenpost", mit Material von DPA

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