Kürzlich habe ich einem Freund die Laune verdorben. Er hatte lange in Paris, Brüssel und London gelebt und in Berlin die Frau seines Lebens gefunden, eine Schönheit vom Lande. Und jetzt erzählte er mir überschwänglich, dass er mit seiner Familie aus der Stadt ziehen werde. Er hatte ein Haus gefunden, noch in diesem Sommer sollte der Umzug sein. Nicht in den Speckgürtel, nein, richtig aufs Land mit Wiese und Hahn - ein Leben in der Natur, ein Paradies.
Ich verwies auf die Studien des Glücksforschers Ed Diener: Im Geiste verbinden wir mit dem Landleben den schönen Morgen auf der Terrasse, den Blick ins Weite. Dabei blenden wir aus, dass wir für den Luxus dieser 15 Minuten womöglich jeden Tag zwei Stunden im Stau stehen.
Das Leben in der Stadt macht verrückt
Mein Freund wollte nämlich gar kein Landmann werden, sondern seinen Job, für den er viel reisen muss, behalten. Während man sich an viele äußere Umstände schnell gewöhnt, gibt es zwei Stressoren, an die man sich nicht anpassen kann: Lärm und Pendeln.
Mein Freund war nur mäßig dankbar für diese Aufklärung im Dienste der Wissenschaft. Deshalb widerrufe ich nun öffentlich. Denn eine brandneue Arbeit aus dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim zeigt: Das Leben auf dem Lande hat auch massive Vorteile für die Seele. Oder drastisch formuliert: Das Leben in der Stadt macht verrückt!
Das Risiko für Angststörungen ist in Ballungsgebieten um 21 Prozent höher, für Depressionen um fast 40 Prozent. Wer in der Stadt aufgewachsen ist, leidet doppelt so häufig an Schizophrenie wie Landeier. Die Studie ist bahnbrechend, weil sie nicht nur Häufigkeiten beschreibt, sondern auch zeigen konnte, wo im Hirn sich der Stadtstress manifestiert: in der Amygdala und dem perigenualen Anterioren Cingulären Cortex. Auf gut Deutsch: dort, wo die Angst sitzt.
Schlechte Laune als Signal
Die Wissenschaftler untersuchten die Stressanfälligkeit, indem sie Freiwillige im Hirnscanner unter Zeitdruck Rechenaufgaben lösen ließen. Rechneten sie falsch, prasselten über Kopfhörer kritische Kommentare auf sie ein. Dabei schnellten Blutdruck, Puls und Cortisol in die Höhe. Je länger die Versuchsteilnehmer in der Stadt gelebt hatten, desto ausgeprägter war ihre Stressreaktion.
Aber mal ehrlich, statt die Leute in einer Röntgenröhre zu beschimpfen, wäre es billiger gewesen, ihnen eine 24-Stunden-Karte für die Berliner U-Bahn zu spendieren! Als Berliner kann ich bestätigen, dass Menschen, die schon immer in dieser Stadt leben, grantiger tun, als sie eigentlich sind, um zu belegen, dass sie keine Touristen oder Zugezogenen sind. Schlechte Laune ist das Signal: Ich war vor dir hier!
Much Matsch
Weltweit lebt heute mehr als die Hälfte aller Menschen in Städten. Bis 2050 wird der Anteil auf zwei Drittel steigen. Wenn es tatsächlich eine Dosis-Wirkung-Beziehung gibt - je größer die Stadt, desto gestörter die Menschen -, ist es nicht gerade beruhigend, dass die Regierung vor zwölf Jahren von Bonn nach Berlin umgezogen ist.
Lieber Ch., liebe E. - ich entschuldige mich für meine voreilige Klugscheißerei. Darf ich euch besuchen kommen? All you need is Land - and much Matsch!