Fünf Stunden Kälte und Regen haben die Fans von FC Union Berlin hinter sich, ihre Mannschaft hat 0:2 gegen Dynamo Dresden verloren. Viel Gestocher im Mittelfeld, keine Torszenen, ein Frustspiel zum Frust machen. "Gute Heimreise, viel Spaß und bis zum nächsten Auswärtsspiel in Dresden", sagt ein Polizei-Sprecher über die Mikrofone des Mannschaftswagens. Es klingt wie die Durchsage einer Lufthansa-Stewardess: "Wir freuen uns, Sie bald wieder an Bord begrüßen zu dürfen." Die Fans pfeifen, nette Worte von der Polizei, so geht das nicht. "Was solln ditte, wolln die uns verarschen?", fragt einer seinen Nebenmann. "Und nun spielen wir noch einen WM-Hit für Euch", schallt es über den Bahnhofsplatz. Herbert Grönemeyer, ausgerechnet. Deutschland, ein Sommermärchen? Von wegen. In Dresden riecht es Anfang November 2006 nach Dauerregen und Pfefferspray. Zeit, das sich was dreht? Wohl eher Zeit, nach Hause zu fahren.
Es ist der 14. Spieltag der Regionalliga Nord, Dynamo Dresden gegen FC Union Berlin. Knapp vier Monate ist die WM in Deutschland jetzt her - und die Krawalle Dresdner Hooligans bei den Amateuren von Hertha BSC gerade mal eine Woche. Der Deutsche Fußballbund und sein Präsident Theo Zwanziger hatten unter der Woche zu einem Krisengipfel geladen und die Bildung einer Task Force beschlossen, so groß war die Bestürzung angesichts der jüngsten Zwischenfälle. Vor allem aber: weil das fröhliche Fußballfest im Sommer sich als ein Märchen erwiesen hat. Als Illusion. Die Gewalt hat sich nie aus dem Fußball verabschiedet, sie hat sich nur aus dem Glamourbetrieb der Profiligen in den Amateurbereich verlagert.
Die dritte Liga wird zum Aufreger
An diesem Samstag blickt das ganze Land auf ein Spiel, aus dem ganzen Land sind dutzende Journalisten und Kamerateams nach Dresden gereist. Was ist das für eine Liga, in der Hooligans wieder Polizisten angreifen? Und wenn man ehrlich ist, führt auch eine gewisse Medienhysterie dazu, dass eine Bruchbude von Stadion an diesem Tag im Focus des Interesses steht. Dass ein jämmerliches Spiel in der dritten Liga zu einem Thema für die Fernsehnachrichten geworden ist.
Torsten Rudolph sitzt im Besprechungsraum des Dresdner Fanprojekts, das in einem Altbau in der Löbtauer Straße seine Heimat gefunden hat. Noch vier Stunden bis zum Anpfiff. Es gibt schwarzen Kaffee aus schwarz-gelben Tassen, den Vereinsfarben der Dynamo, und Rudolph sagt: "Es wird heute ruhig bleiben, da bin ich mir ganz sicher." Rudolph studiert Sozialpädagogik, berufsbegleitend zu seinem Job als Fanbetreuer der Dynamo, er hat auch seine Vereinsführung zu dem Gespräch bei Theo Zwanziger begleitet. Er spricht davon, dass man schon vor zehn Jahren hätte anfangen müssen, Grenzen aufzuzeigen, sowohl polizeilich-repressiv, vor allem aber pädagogisch-präventiv. Dann hätte es dieses Großaufgebots heute nicht bedurft: knapp 1100 Polizisten, dazu fast 400 Ordner im Stadion. Und das bei einem drittklassigen Kick.
"Die Hools sollen kommen"
Früh morgens um acht stehen die beiden Sonderzüge nach Dresden am Berliner Bahnhof Lichtenberg, und die Gerüchte kreisen mit den Bierdosen. "Die Hools vom BFC sollen kommen", heißt es an der Kasse von Rossmann. "Die verkleiden sich heute als Kutten", sagt einer am Ausgang vom Tabakladen. Die alten Hooligans von Union Berlin müssen sich nicht mehr verstecken. Sie stehen zusammen in der Gruppe, ein Fotograf aus alten Zeiten ist dabei, er kennt sie von früher. "Wat früher war, dat is heut nich mehr", sagt er. Ein Kamerad aus alten Tagen pflichtet ihm bei: "Wir kommen doch nur noch zum Kieken, kann sich keiner leisten am Montag mit nem blauen Auge bei der Arbeit zu sein. Aber die Jugend hier, die muss sich noch beweisen." Die Jugend von FC Union trägt rot-weiß, die Farben des Vereins, besonders gefährlich sehen sie nicht aus. Das Prügel-Prekariat stellt man sich anders vor. Die Ultras tragen schwarze Kapuzenpullis, der Vorsänger trägt ein Megaphon um die Schulter und zwei Tüten Obst in der Hand. Ernährungsbewusst sind sie geworden, die Fußballfans.
Torsten Rudolph muss sich jetzt beeilen. Zusammen mit seinen Kollegen vom Fanprojekt fährt er ins Stadion, parkt den weißen VW-Transporter vor einer Würstelbude, dann gehen sie zu Fuß zum Bahnhof. Die Berliner abholen. Er spricht über die Besonderheiten der Dresdner Fanszene: Dieser über Jahre hinweg bestehende mehr oder weniger rechtsfreie Raum nach der Wende. Und die Tradition, schon zu DDR-Zeiten immer die Außenseiter gewesen zu sein. Und da sind all die Faktoren, die den gesamten Osten Deutschlands betreffen: Dieses Gefühl, unterprivilegiert zu sein, die Resignation angesichts von Jugendarbeitslosigkeit. Er sagt: "Viele erleben nur durch die Masse Selbstbewusstsein." Indem sie sich in der Gruppe zusammenschließen gegen den Rest der Welt. Er meint es nicht zynisch, wenn er sagt, dass dieses Medieninteresse auch seine positive Seite habe: So geraten die Probleme wenigstens mal ins Bewusstsein. Vielleicht endlich auch in der Politik.
Berlin-Fans pinkeln auf Dynamo-Wappen
Um halb eins fährt der erste Sonderzug in Dresden ein, es wird langsam auch Zeit. Zweieinhalb Stunden hat die Fahrt gedauert, und die Leute in der Versorgungsstation haben keine Lust mehr, Bier und Kümmerling in Plastikbecher abzufüllen. Um es sich im Zug ein bisschen nett zu machen, haben die Union-Fans Zettel an die Fenster gehängt: Darauf steht ein Union-Männchen mit eindrucksvollem Genital und pinkelt auf das Dynamo-Dresden-Wappen. Die echten Union-Männer stehen allerdings zwischen den Waggons und pinkeln auf den Boden. Fußball in der Regionalliga ist eben nicht Kaffee und Kuchen in der Allianz-Arena.
Als auch der zweite Zug endlich ankommt, ist die Stimmung geladen, endlich. So ein Auswärtsspiel elektrisiert, egal wohin es geht. Die ersten steigen aus dem Zug, "es kommt die Zeit, in der das Wasser wieder steigt", singen sie zur Melodie der Toten Hosen, und immer wieder skandieren sie: "Ost-Ost-Ost-Berlin". Wenn Ostberliner nach Dresden fahren, dann zelebrieren sie den alten Konflikt: Hauptstadt gegen Provinz, die Großstädter gegen die Bauern. Das Obst haben sie zur Provokation mitgebracht. Der Weg zum Stadion führt vorbei an Plattenbauten, die Menschen haben die Fenster geschlossen und stehen dahinter; guck mal, die Fußballfans sind da! Ob man die füttern darf? Die ersten Bananen fliegen Richtung Plattenbau. Die Polizei antwortet mit Pfefferspray.
Glasflaschen fliegen, Kameras klicken
Der Weg vom Bahnhof zum Stadion ist abgesperrt, Dutzende von Einsatzwagen säumen den Weg, mehrere Hundertschaften der Polizei eskortieren die Fans zu ihrem Block. An der Seite marschieren die so genannten Deeskalationsteams: Beamte in Zivil, die ein Leibchen mit der Aufschrift Polizei über ihren Jacken tragen. Vorne weg fährt das Infomobil der Dresdner Polizei, ein Mercedes-Sprinter mit Lautsprechern auf dem Dach. Aus dem Lautsprecher erklingt jetzt "Allways look on the bright side of life", ein paar Berliner tanzen dazu im Regen, an der Seite rennt ein Trupp Polizisten nach vorn: den Weg frei machen. Anders ausgedrückt: die Dresdner Fans zurückhalten, die sich entlang des Weges aufgebaut haben und provozieren. "So, jetzt biegen wir hier links ab, und dann sind es nur noch fünf Minuten bis zum Stadion", spricht der Info-Polizist in sein Mikrofon.
Die Kamerateams sind in Stellung. Tatsächlich fliegen Glasflaschen; hinter dem Zaun des Stadions haben sich Dresdner Fans versammelt, um den Berlinern einen herzlichen Empfang zu bereiten. Die Flaschen fliegen mitten in die Fanmenge, das Rennen beginnt, in der Mitte liegen die ersten am Boden. Ein Funke würde reichen, um alles zum Explodieren zu bringen. Drum herum die Meute mit Fotohandys und Digitalkameras: auch das ist Fußball 2006. Jeder kann sich ein Randalesouvenir auf dem Handy mit nach Hause nehmen. "Wer diese Szene von außen mitbekommt, denkt sicher: Oh Gott, was sind das für gefährliche Menschen? Aber Fans haben auch ein Sicherheitsbedürfnis, das darf man nicht vergessen", sagt Ralf Busch vom Berliner Fanprojekt. Vor ein paar Wochen hatten Dynamo-Fans die Gäste aus Magdeburg mit fäkaliengefüllten Luftballons begrüßt. Wer zum Auswärtsspiel nach Dresden wollte, musste gleichzeitig in Zugticket kaufen. Sonst hätte es keine Karte für den Gästeblock gegeben. Taschen, Rucksäcke, alles musste im Zug bleiben. So einen Aufwand haben auch die Berliner noch nie betrieben, nur um ein Fußballspiel zu sehen.
Die zweite Halbzeit läuft, gerade ist das 2:0 für Dresden gefallen. Jenseits der Gästetribüne, auf einem Parkplatz steht Polizeioberrat Uwe Göbel. Er ist der Einsatzleiter für dieses Spiel. Drei Einsatzbesprechungen hatte es gegeben, die erste schon eine Woche vorher. Dieses gespenstische Knistern, das über Dresden liegt, geht auch an ihm nicht vorbei. Er sagt: "Als Polizist hat man so eine gespannte Erwartungshaltung. Auch für uns ist das neu, 2000 Fans auf einmal zu eskortieren." Über dem Stadion kreist ein Helikopter, von dort aus werden Kamerabilder in die mobile Befehlsstelle übertragen, einen dunkelgrünen Lastwagen, in dem ein paar Beamte vor einem Bildschirm und Laptops sitzen.
Nach dem Spiel geht's erst richtig los
Göbel sagt: "Das wichtigste ist, die Fans zu trennen." Vor allem jetzt, nach dem Spiel. Zwei Infomobile sind im Einsatz. Eines fährt voraus und beschwichtigt die Dresdner: "Zeigen Sie, dass Dynamo nicht nur Krawall und Chaos ist", bittet der Polizist, "lassen Sie sich nicht provozieren." Er sagt: "Ihr Verein hat heute drei Punkte auf dem grünen Rasen gewonnen. Sie haben es in der Hand, dass die nicht am grünen Tisch verloren werden." An der Kreuzung Gellert Straße/Wiener Straße droht die Polizei den Dynamo-Fans mit Gewahrsam, wenn sie jetzt nicht verschwinden und die Berliner abziehen lassen.
Mit Helm und Schlagstöcken und Schulterprotektoren aus Hartplastik gehen die Polizisten links und rechts neben den Berliner Fans her, von allen Seiten bellen hysterisch die Hunde, der Himmel ist düster, nur die Hubschrauber rotieren da oben. An den Kreuzungen stehen Wasserwerfer. Es ist ein schweigender Marsch der durch die Niederlage viel schlimmer geprügelten Union-Fans in Richtung Bahnhof, begafft von Dresdnern, die sich an den Kreuzungen hinter die Mannschaftswagen gestellt haben. Am Bahnhof stehen die Fanzüge bereit. Ein Telefonat nach Berlin: Die BFC-Hools sind zuhause geblieben. Die Polizei ist zufrieden und nicht ganz zu Unrecht ein wenig stolz auf ihre geglückte Deeskalationsstrategie an diesem gruseligen Nachmittag. Ein Beamter sagt, ein Einsatz dieser Größenordnung koste etwa eine Million Euro. Schon grotesk, wenn man an die Worte von Fanbetreuer Torsten Rudolph denkt, der beim Land Sachsen um jeden einzelnen Tausender kämpfen muss.