Manche von Ihnen wissen vielleicht: Ich habe Geschichte studiert. Historiker, das wissen Sie, das ist – ein Beruf ohne Zukunft.
Ich habe in meinem Studium aber tatsächlich etwas für meinen heutigen Beruf gelernt: Nämlich dass man die Vergangenheit kennen sollte – auch wenn man an der Zukunft baut. Darum sind solche Feiern eine gute Gelegenheit, sich zu erinnern: An das, was groß war. Und an das, was schwierig war. An die ganz großen Blattmacher und Journalisten des stern, an große Scoops und wichtige Spendenaktionen – und, ja natürlich, auch an den Nazi-stern und die Hitler-Tagebücher.
Aber als Historikerin habe ich noch etwas anderes gelernt: In zu viel Vergangenheit kann man auch untergehen. Dann glaubt man, alles Wichtige wäre schon passiert und Geschichte würde sich bloß wiederholen. Diese "Es gibt nichts Neues unter der Sonne"- Haltung ist mir persönlich zu abgeklärt. Wir sind schließlich im News- Geschäft! Eben weil unser Herz für das Neue schlägt. Darum will ich hier jetzt nicht zurück, sondern nur auf die Gegenwart und die Zukunft blicken.
Noch nie stand Journalismus weltweit so unter Druck wie heute:
- Medial wird von ihm erwartet, sich dauernd neu zu erfinden. Wir wollen relevant und interessant bleiben, dazu müssen wir ständig neue Themen und Formate entwickeln.
- Moralischstellen die neuen Autoritären – von Erdogan, Putin über die AfD bis Donald Trump und andere – unsere Legitimität grundlegend in Frage.
- Und finanziell graben uns Unternehmen wie Facebook das Wasser ab.
Keine leichte Situation. Das hat mir vor ein paar Wochen auch die Mail einer lieben stern-Kollegin gezeigt. Sie hat mir einen Artikel über Chris Hughes geschickt. Er ist der Sohn eines Zeitungsverkäufers. Hughes hatte an der Uni den richtigen Mitbewohner: Mark Zuckerberg. Er wurde Facebook-Mitgründer – und Multimillionär. Später wechselte er in die Politik. Er gilt als der geniale Kopf hinter der Online-Strategie von Barack Obama.
Ein kluger Typ also. Sein nächstes Projekt kam darum etwas überraschend: Hughes hatte sich vorgenommen, sein Geld und sein Wissen über Digitales - besonders Social Media - für eine gute Sache einzusetzen. Im Dienste einer altehrwürdigen Zeitschrift. Er wollte die berühmte "New Republic" retten – seit vielen Jahrzehnten eines der Magazine für liberale Intellektuelle in den USA.
Das Tech-Wunderkind wollte den alten Verlagen vormachen, wie das geht – erfolgreicher Journalismus im Netz. Mit neuem Design, neuen Inhalten und Journalisten, neuen Formaten und neuem Büro. Hughes gab Millionen aus – um Millionen zu erreichen.
Am Ende ist er leider krachend gescheitert.
State-of-the-Art-Journalismus ist anscheinend doch nicht ganz so leicht – selbst wenn man schon einen Präsidenten gemacht und eines der erfolgreichsten Unternehmen der Welt gegründet hat.
Was sollen wir also tun? Diese Frage hat mir auch die Kollegin vom stern gestellt. Ich habe geantwortet: weiter ausprobieren! Hinterfragen! Keine Ruhe geben! Schreiben! Neues entwickeln! Dranbleiben! Weiterdenken!
Die Zeiten der ökonomischen Sorglosigkeit im Journalismus sind leider vorbei. Viele von Ihnen haben die goldenen Jahre erlebt. Das war ein großes Privileg. Aber heute muss uns klar sein: Niemand dreht die Uhr zurück. Nicht mal ein reicher idealistischer Gönner, der scheinbar alle Probleme löst.
Nein! Unsere Aufgaben müssen wir schon selbst lösen. Dabei ist jeder gefragt, Verlagsmanager, Anzeigenverkäufer, der Grafiker, die Redakteurin, der Autor oder die Webdesignerin. Eben wir. Und es wird auch nicht eine große Antwort geben, die alles löst, sondern viele tausend kleine. Die zu finden ist unsere Pflicht – als im weiteren Sinne Nachfolger von Henri Nannen. Und wir werden sie finden!
Alte Sentimentalitäten oder romantische Hoffnungen werden uns dabei nicht helfen, den neuen Journalismus für neue Generationen zu erfinden. Das heißt aber natürlich nicht, dass wir unsere alten Tugenden aufgeben sollten: Recherchieren, Dingen auf den Grund gehen, neugierig sein, die Umwelt erspüren und sie reflektieren.
Der stern steht, wie schon in den vergangenen 70 Jahren, auch weiterhin für unabhängigen, unbestechlichen Journalismus in der Bundesrepublik Deutschland. Er steht für die großen Interviews, die viele überraschen, manchmal die eigenen Genossen: Hallo, Herr Gabriel! Er steht für erfolgreiche neue Ableger, die zeigen, dass sehr guter Journalismus auch moderner Journalismus ist: stern Crime, Eckart v. Hirschhausens stern Gesund Leben, JWD – und da wird uns noch mehr einfallen.
Um Gruner+Jahr in die Zukunft zu führen, erschließen wir viele Geschäfte, auch das eine oder andere, das mit Journalismus nur am Rand zu tun hat. Das heißt aber nicht, dass Journalismus uns unwichtig ist. Im Gegenteil!
Meiner Meinung nach gab es selten einen Moment, in dem Demokratie und Journalismus einander so gebraucht haben wie jetzt. Schauen Sie sich Donald Trump an, der Journalisten auf Twitter als "gefährliche" und "kranke" "Volksfeinde" beschimpft. Oder geben Sie auf YouTube das Suchwort "Bundestag" ein. Unter den ersten Treffern finden Sie Angebote wie "Epoch Times", russische Propaganda und AfD-Inhalte.
Man muss sagen: Die Kollegen von der "Washington Post" haben Recht – "democracy dies in darkness". In dieser darkness will ich nicht leben. Das ist nicht die Gesellschaft, in der wir zu Hause sein wollen. Aber wenn ich diese Entwicklungen sehe, weiß ich gleichzeitig, wofür wir kämpfen. Und wofür wir einstehen. Wofür es sich lohnt, sich zu strecken.
Der stern, meine Damen und Herren, ist für G + J und uns auch deshalb nicht nur eine Aufgabe. Er ist uns eine Herzensangelegenheit. Auf viele weitere Jahre.
