Im Jahr 2018 bat der stern aus Anlass des 70. Geburtstags der Bundesrepublik den damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble zu einem Interview. Es sollte ein Streifzug durch sieben Jahrzehnte Bundesrepublik werden, liest sich aber genauso als persönliche Lebensbilanz. Aus Anlass von Schäubles Tod veröffentlichen wir das Gespräch an dieser Stelle erneut.
Sieben Jahrzehnte? Puh!" Wolfgang Schäuble stutzt. Das ist selbst für ihn, den Rede-Profi, ein ambitioniertes Projekt. Doch der Bundestagspräsident lässt sich in den nächsten zwei Stunden ein auf den Streifzug durch die Geschichte der Republik und seines Lebens. Seit seinen Anfängen als Politiker in Bonn sind der stern und Schäuble sich immer wieder begegnet – so auch am Tag des Attentats.
Die 50er Jahre
Herr Schäuble, Sie sind Jahrgang 1942. Den Beginn der Bundesrepublik haben Sie als Grundschüler im badischen Hornberg erlebt. Gibt es einen Geruch, ein Geräusch, das Sie mit den Anfangsjahren der Bundesrepublik verbinden?
Die Dampflokomotiven, die durch unser schmales Tal im Schwarzwald fuhren. Sie sind zwar auch später noch gefahren. Aber ihren Qualm verbinde ich ganz besonders mit den Fünfzigern.
Hat Ihr Vater vom Krieg erzählt?
Nein, jedenfalls nicht in meinen Kindheitsjahren. Mein Vater hatte Glück, seine militärische Laufbahn beschränkte sich auf den Volkssturm. Deshalb war er nach dem Krieg unversehrt und unbelastet, was wenige seiner Generation waren.
Nazilehrer gehabt?
Wir haben es in unserer Gymnasialzeit jedenfalls nicht gespürt. Und die Nazizeit selbst war im Geschichtsunterricht kein Thema, da war bei Bismarck Schluss.