Abschied von Peking Friedhofsruhe auf dem Platz des Himmlischen Friedens

Von Matthias Schepp
Gleich am Anfang haben wir bei der Planung einen Fehler gemacht. Denn der 4. Juni ist ausgerechnet der Tag, an dem der Reformer Deng Xiaoping entschied, Panzer gegen sein eigenes Volk zu schicken.

Auch wenn es von den Pekinger Offiziellen niemand glauben will: Es ist ein Zufall, dass wir unsere Motorradralley am 4. Juni starten. Wir wollen 12 000 Kilometer mit einem chinesischen Seitenwagen-Motorrad, der Chang Jiang, übersetzt Yangtze, von Peking nach Berlin fahren, einem Nachbau der legendären BMW R 71.

Das Roadbook

"Rauf auf die Maschine", heißt es vom 5.Juni bis 6. Juli. Peking - Moskau - Berlin, diese Strecke soll auf vier chinesischen CJ 750 zurückgelegt werden, einem Motorrad entwickelt in den dreißiger Jahren. stern.de verfolgt die 23 Etappen dieser Reise hautnah mit. Nach dem Start in Peking informiert ein bebildertes Tagebuch über Fahrt, Pannen und Strapazen von Fahrern und Maschinen.

Gleich am Anfang haben wir bei der Planung einen Fehler gemacht. Denn der 4. Juni ist das wichtigste Datum der jüngsten Geschichte Chinas. Es ist der Tag, an dem der Reformer Deng Xiaoping entschied, Panzer gegen sein eigenes Volk zu schicken. Studenten und Arbeiter hatten friedlich demonstriert und wochenlang den Platz des Himmlischen Friedens besetzt gehalten. Damals starben einige hundert Demonstranten.

"Sie wissen doch, das geht nicht", hatte uns der Mann am Telefon schon vor vier Wochen beschieden, der Foto- und Interviewgenehmigungen für den Platz erteilt. Da sei nichts zu machen, alte Motorräder und deutsch-chinesische Beziehungen hin oder her.

Am Vorabend aber sagt Rick, mit 49 der Älteste in unserer fünfköpfigen Team: "Lasst uns trotzdem gleich nach Sonnenaufgang hinfahren." Rick war damals dabei gewesen. "Abgesehen von Journalisten und Diplomaten war ich der letzte Engländer, der damals Peking verlassen hat. Nach dem Massaker hing die Trauer schwer über der Stadt."

Eine Führung, die Angst vor den eigenen Bürgern hat

Um fünf Uhr morgens, zwanzig Minuten nach Sonnenaufgang fahren wir los. Das Knattern der Motorräder hallt in den leeren Straßen. Auf dem Platz des Himmlischen Friedens sind heute mehr Polizisten in Zivil unterwegs als Touristen. Infolge der Massenproteste der Falun Gong Sekte war dort schon vor Jahren ein Zaun aufgetaucht, eine Abgrenzung in der Mitte des Reiches der Mitte. Und wenn die Mitte etwas über das Reich verrät, dann haben wir es mit einem Staat zu tun, dessen Führung jede Menge Angst vor den eigenen Bürgern hat. Soviel, dass jedes Jahr im Vorfeld des Jahrestages potenzielle Störenfriede zuhauf sichergestellt werden. Gefängnis, Hausarrest, manche verschwinden und keiner weiß wohin. Wie in diesem Jahr der Militärarzt Jiang Yanyong, 72, der von der kommunistischen Führung eine Neubewertung von 1989 fordert und der zum Volksheld wurde, nachdem er vor einem Jahr das wahre Ausmaß der Sars-Epidemie enthüllt hatte.

Betroffen sind auch kritische Köpfe, die sich für Bürgerrechte einsetzen, selbst dann, wenn sie sich niemals kritisch zum blutigen Vorgehen der Partei im Jahr 1989 geäußert haben. Der Wirtschaftswissenschaftler Dean Peng, der sich für Aids-Kranke einsetzt, trat vor drei Tagen in einen Hungerstreik, weil ihn die Behörden ohne Angaben von Gründen unter Hausarrest stellten.

Ein Zaun mit wenig Öffnungen

Der Zaun am Platz des Himmlischen Friedens hat nur wenige Öffnungen. Dort wartet die Staatssicherheit, manchmal in Zivil, manchmal in Uniform. Jeder, der rein will, wird gefilzt, auf dass keiner ein kritisches Banner entrolle. Auch unser Fotograf Gerd George wird höflich, aber bestimmt des Feldes verwiesen, als er den Platz betreten will. Für die Fotos, die wir für unser Reisealbum festhalten wollen, nimmt uns George nun aus einem fahrenden Jeep auf. Er fotografiert uns, weit aus dem Fenster gelehnt, die Staatssicherheit fotografiert ihn und uns.

Das tote und das lebendige Peking

Zum Frühstück tauchen wir in das China ein, das wir alle lieben. Peter Schaumburg, der schon seit zehn Jahren in Peking lebt und eine Chinesin geheiratet hat, Rene Egle aus dem Schwarzwald, der nun in Jakarta, der Hauptstadt Indonesiens, arbeitet, aber immer wieder gerne zurückkommt, unser Mechaniker Shang, der einen Motorradladen in der Stadt hat und ich, seit fünf Jahren China- und Asienkorrespondent des stern in Peking.

Die alten Hofhäuser am Houhai-See hinter der Verbotenen Stadt, mit ihren geschwungen Dächern lassen uns die Kälte und Friedhofsruhe des Tiananmen vergessen. Hier pulst das Leben. Am Abend trifft sich hier die Schickeria, herrscht ein Gedränge wie vor einem Fußballspiel. Am Morgen dann erobert sich das alte China ein paar Gassen zurück. Händler breiten Melonen, Ginger, Äpfel und Bananen auf dem Asphalt aus. Die mit Fleisch gefüllten Fleischtaschen duften herrlich. Die Alten haben wegen der Schwüle ihre Schlafanzüge erst gar nicht ausgezogen.

Morgen um sechs Uhr früh

Im Nu sind unsere Motorräder von Neugierigen umringt. Dass wir bis nach Deutschland wollen, halten viele für einen Scherz. In einem Cafe mit Blick auf den See und eine Gruppe von Rentner, die Taiji, Schattenboxen praktizieren, lassen wir uns nieder und besprechen die letzten Details. Wir beschließen: Morgen um sechs Uhr früh werden wir Peking hinter uns lassen. Die Große Mauer und Chengde, die alte Sommerresidenz der Kaiser, sind unsere Ziele.