Mercedes E-Klasse Schlauer Lichtblick

  • von Michael Specht
In der neuen Mercedes E-Klasse gibt es zwei technische Systeme, die verblüffen: zum einen Scheinwerfer, deren Lichtkegel sich selbstständig der Umgebung anpassen, zum anderen eine Vollbremsautomatik für den Notfall.

Es scheint Zauberei im Spiel zu sein. Wie kann es angehen, dass der Strahl des Abblendlichts am Heck des Vordermannes auf gleicher Höhe kleben bleibt, obwohl der davonzieht? Wie ist es möglich, dass der Lichtkegel des linken Scheinwerfers exakt mit dem Tempo des entgegenkommenden Autos zurückwandert, um den Fahrer nicht zu blenden, der Scheinwerfer rechts aber weiter voll den Fahrbahnrand ausleuchtet?

Was nach Hokuspokus klingt, ist das Ergebnis superschneller Computertechnik. Das System heißt "Adaptiver Fernlicht-Assistent" und ist in der neuen E-Klasse von Mercedes lieferbar. Diese Technik nimmt dem Fahrer nicht nur das Auf- und Abblenden ab, um das Unfallrisiko durch Blendung zu minimieren, es soll auch automatisch stets für die bestmögliche Leuchtweite sorgen. Nachtfahrt im Großraum Stuttgart. Dem stern wird vorgeführt, wie das in der Praxis funktioniert. Das Licht scheint wie von Geisterhand durch die Dunkelheit gelenkt zu werden. Mal strahlen sie beinahe bis in die Baumkronen, mal leuchten sie um Kurven, mal endlos weit in die Ferne, und dann blenden sie automatisch ab, sobald die Sensoren am Horizont Licht erkennen. Das können die Scheinwerfer eines Autos sein oder auch die Straßenlaternen am Rand eines Ortes. In jedem Fall senkt das Auto seinen Scheinwerferblick.

Möglich macht das eine Minikamera hinter der Windschutzscheibe. Sie erkennt dank intelligenter Bildverarbeitung Fahrzeuge sowie andere Lichtquellen und berechnet deren Entfernung. Diese Daten werden alle 40 Millisekunden (kürzer als ein Augenzwinkern) an den Bordrechner geschickt, der die Scheinwerfer je nach Verkehr, örtlicher Gegebenheit und Geschwindigkeit mittels jeweils dreier Elektromotoren blitzschnell ausrichtet.

Sicherheit durch neuste Technologie

Auch die Reichweite der Lichtkegel lässt sich so verlängern, von vorher 65 Meter auf bis zu 300 Meter. Versuche während der Entwicklung haben ergeben, dass Fußgänger am Straßenrand vom Fahrer schon aus einer Entfernung von 260 Metern erkannt werden - rund 150 Meter früher als mit herkömmlichem Abblendlicht. "In Zukunft wollen wir den entgegenkommenden Fahrer praktisch komplett ausblenden und um ihn herum alles ausleuchten", sagt Jörg Breuer, Chef des Bereichs Aktive Sicherheit bei Mercedes.

Auch andere elektronische Helfer in der Limousine verblüffen. Etwa ein System, das Verkehrsschilder lesen kann und die entsprechenden Tempolimits im Tacho aufleuchten lässt - auf dass sich der Fahrer daran halte. Eine andere Technik erkennt nachts mittels Infrarotstrahlen sehr früh Fußgänger und macht mit einer Anzeige darauf aufmerksam, lange bevor selbst die reichweitenstarken neuen Scheinwerfer die Menschen erfassen können. Der Gipfel aber ist das Notbremssystem, das automatisch bis zum Stillstand bremst. Und zwar dann, wenn die Radaraugen im vorderen Stoßfänger (für die Nähe) und hinter der Kühlermaske (für die Ferne) feststellen, dass der Fahrer in einer kritischen Situation nicht reagiert. "Das wirkt wie eine Art elektronische Knautschzone", sagt Rodolfo Schöneburg, der Sicherheitspapst von Mercedes. Hat die Technik ein Hindernis ausgemacht, erhält der Fahrer 2,6 Sekunden vor einem möglichen Unfall einen Warnton. Ignoriert er diesen, kommt eine Sekunde später ein Dreifachsignal, und das Auto bremst leicht. Reagiert der Fahrer noch immer nicht, löst das System 0,6 Sekunden vor dem Aufprall die Vollbremsung aus.

Das klingt nach einer knappen Zeitspanne, doch für Schöneburg ist sie eine Ewigkeit. Würde das Auto mit Tempo 50 auf eine Wand zufahren, krachte es dank des Systems nicht ungebremst, sondern nur noch mit rund 35 km/h ins Gemäuer. "Für die Insassen reduziert das die Belastungen erheblich", sagt Schöneburg.

Kaffeetasse serienmäßig

Wer all die elektronischen Mahner und Helfer haben möchte, muss dafür rund 6000 Euro extra zahlen. Eine dampfende Tasse Kaffee hingegen wird serienmäßig serviert - als Symbol im Tacho. Die stilisierte Tasse leuchtet immer dann auf, wenn die Technik festgestellt hat, dass dem Fahrer gleich die Augen zuzufallen drohen.

Ein Hinweis darauf sind vor allem zackige, ruckartige Lenkbewegungen. Sensoren melden die an den Computer, der die Werte in Sekundenbruchteilen mit jenen vergleicht, die in der wachen Anfangsphase der Autofahrt als Muster gespeichert worden sind. Gibt es starke Abweichungen, deutet der Rechner die als Notfall-Korrekturen und schlägt Alarm. Auch akustisch, denn womöglich nimmt der Fahrer das Tassensymbol schon nicht mehr wahr.

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