Wir befinden uns im Jahr 2006 nach Christus. Ganz Lappland ist von den Sámi und Rentieren besetzt. Ganz Lappland? Nein! Ein von unbeugsamen Bayern bevölkertes Dorf hört nicht auf, der Kälte Widerstand zu leisten. Diese Bajuwaren, die in Arjeplog ausharren, sind Ingenieure, Mechaniker und Testfahrer der Bayrischen Motorenwerke.
Auf dem See der Leidenschaften
Welcher Autofahrer hat nicht schon einmal davon geträumt, seinen Geländewagen einem Härtetest zu unterziehen? Diese Chance bietet sich auf dem zugefrorenen See am BMW-Testgelände. Es ist ein Paradies für Liebhaber des schnellen und anspruchsvollen Fahrens. Am See ist es still, der Schnee dämpft alle Geräusche, nur das hungrige Knurren der Motoren ist zu hören. Bei dem Gedanken, tatsächlich über ein Gewässer zu fahren, wird dem Neuling schon mulmig. Der erfahrene Beifahrer beruhigt jedoch. "Die Eisschicht ist einen Meter dick. Selbst Sattelzüge werden hier erprobt." Ok, na dann kann es ja losgehen. Im BMW X3 hat man eine gute Übersicht über den bevorstehenden Parcours und fühlt sich extrem sicher. Die ersten "Schritte" auf dem Eis fallen dementsprechend gar nicht so zaghaft aus. Dank des proaktiv agierenden xDrive-Systems gibt es kein Durchdrehen der Reifen. Proaktiv bedeutet, das System erahnt, durch von Sensoren gelieferte Informationen, was in umittelbarer Zukunft geschehen wird und vermeidet so das Durchdrehen der Reifen.
So lang die Dynamische Stabilitätskontrolle (DSC) eingeschaltet ist, läuft der Kraftprotz wie auf Schienen. Aber Achtung, sobald die "Spaßbremse" DSC ausgeschaltet wird, geht es ab. Also DSC-Knopf drücken, Gas geben und den Slalom-Parcours bewältigen. Die ersten zwei orangenen Hütchen werden noch mit viel Kurbeln und Gegenlenken genommen, aber bei dem dritten Pylonen wird es richtig haarig. Und zack! Da hat es den zuvor noch selbstsicheren Amateur-Testfahrer schon erwischt. Der X3 dreht mit seinen Passagieren eine Pirouette auf dem spiegelglatten Eis und die schneebedeckte Seenlandschaft zieht an den erstaunten Testfahrern vorbei.
In der nächsten Runde den Knopf wieder auf "on" gedrückt. Jetzt merkt selbst der Amateur den gewaltigen Unterschied. Der Premium-SAV (Sports Activity Vehicle) aus München nimmt die Pylonen mit links, und auch die Vollbremsung auf geriffeltem Eis lässt ihn nicht ausbrechen. Er bleibt auf seiner Spur und dem Testfahrer in spe bleibt nur das bloße Staunen.
3,2 Kilometer Heizleitung im Eis
Seit mehr als 30 Jahren testet BMW neue Fahrzeuge in Arjeplog und anderen Standorten in Nordeuropa. Bisher waren die Teststrecken der Münchener bis zu 700 Kilometer von einander entfernt. Seit Mitte März hat dies nun ein Ende. Im neuen Erprobungsstützpunkt im kleinen Ort Arjeplog, knapp 60 Kilometer südlich des Polarkreises, wurden die Tests zentralisiert. In dem 2000-Seelen-Dorf findet BMW die optimalen klimatischen und logistischen Bedingungen vor, um alle neuen Modelle auf Herz und Nieren zu testen. BMW ist nicht der erste Autobauer, der seine Autos in Nordschweden testet. Auch Mercedes, Audi, Porsche, Fiat und andere Fahrzeughersteller erproben ihre Fahrzeuge unter den extremen Kältebedingungen in der Gegend um Arjeplog.
In knapp einem Jahr hat BMW für 16 Millionen Euro ein hochmodernes Testzentrum am Kakel-See in die unberührte Landschaft Lapplands gebaut. Die Hallen auf dem Testgelände wurden im Landesstil errichtet. Dort arbeiten zwischen November und März bis zu 200 Ingenieure und Mechaniker. Der Stützpunkt vereint alle nötigen Testmöglichkeiten. Er liegt direkt am See, der von schwedischen "Eismachern", präpariert wird. Außerdem bietet die Umgebung kurvenreiche, schneebedeckte Teststrecken, auf denen die Modelle geprüft werden. "Natur pur" hat den Bayern natürlich nicht gereicht. Auf dem Gelände wurden insgesamt 3,2 Kilometer Heizleitungen verlegt, um das gleichzeitige Anfahren auf Schnee und Eis zu simulieren. Verschiedene Steigungshügel, ein Schachbrettkurs - abwechselnd Asphalt und Schnee- und Fahrdynamikflächen bieten den Testfahrern alle Möglichkeiten.
Wieder geht es hinter das Steuer und dieses Mal den Testparcours auf dem BMW-Gelände entlang. Zuerst heißt es, Gang raus, die Automatik auf "N" schalten und mal wieder einen der vielen Knöpfe drücken. Dieses Mal ist es die Hill Descent Control (HDC) - eine intelligente Bergabfahrkontrolle für schwieriges Gelände. Das Kommando vom Beifahrersitz, "Füße von Gas und Bremse", wird sofort befolgt. Der Wagen rollt dank der Bremseingriffe an allen Rädern im gleichmäßigen Tempo den schneebedeckten Berg hinunter und der Autotester muss nur noch lenken. Die Geschwindigkeit lässt sich mit einem Hebel am Lenkrad erhöhen.
Die Mischung macht's
Die nächste Etappe auf der Teststrecke ist der Hügel mit einer 25-prozentigen Steigung. Die Vorderräder auf Asphalt, die Hinterräder auf der schneebedeckten Straße und dann mutig aufs Gas treten. "Gas, mehr Gas, voll rauftreten", schallt es vom Nebensitz. Ein kurzes Rucken, kein Durchdrehen der Reifen und es geht mit Schwung den Hügel hinauf. Dank des Allradantriebs ist die Kraftmaschine ohne Probleme auf dem schwierigen Untergrund angefahren. Die Antriebskräfte werden auf die Vorderachse verlagert, da die Räder auf dem Asphalt mehr Grip haben und somit ein optimaler Vorantrieb erzielt wird. Diese Hürde wäre gemeistert. Zum Abschluss noch einmal auf einer langen Geraden auf über 80km/h beschleunigen. Das Gaspedal wieder voll durchtreten - "schneller, schneller" - und dann die Vollbremsung. Die linken Reifen auf spiegelglattem Eis, die rechten auf Asphalt und voll in die Eisen gehen. Der Wagen bricht nicht aus. Er bleibt auf seiner Spur und kommt nach einigen Metern zum Stehen. Faszinierend, wie die Allradkarossen sich auf dem unwegsamen Untergrund kontrollieren lassen.
Ein älterer Wagen ohne Stabilitätskontrolle hätte seinen Fahrer wie einen Brummkreisel über den See geschickt. Zeit, aufzuatmen und den Puls zu beruhigen. Nur den Rentieren am Rand der Fahrrinne ist die ganze Aufregung herzlich egal. Ungerührt kauen sie das Futter, heben manchmal die Lider, wenn ein Bolide besonders laut vorbeirauscht. BMW hat sich für ein schönes Plätzchen im abgeschiedenen Arjeplog entschieden, um der Kälte zu trotzen. Die Rentiere scheinen die Bayern nicht zu stören.