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Formel 1 Raserei in Reinkultur

Zur neuen Saison bringt BMW seinen ersten eigenen Wagen an den Start. Dazu haben die Münchner den Rennstall von Peter Sauber übernommen - der vorläufige Höhepunkt eines Trends. Die Formel 1 wird nicht mehr von rennbegeisterten Privatiers geprägt, sondern von großen Autokonzernen.

Manchmal genügen schon ein paar Tage, um das Wesen der Formel 1 zu begreifen. In Valencia, in der City of Arts and Sciences, dem spektakulären Gebäudekomplex von Santiago Calatrava, präsentiert BMW sein erstes eigenes Formel-1-Auto. Aber bevor es so weit ist, werden in einer Modenschau die Teamklamotten vorgeführt, und so kommt Alessandra Ambrosio auf die Bühne. Die Technomusik ist vielleicht ein bisschen zu prollig, die Beleuchtung ein wenig zu sehr 80er Jahre, aber Frau Ambrosio hat irrsinnig lange Beine und alles, was man sonst noch so braucht als Victoria's-Secret-Modell. Sie trägt einen, man sagt wohl: Catsuit. Weiß, blau, rote Streifen, Werbelogos drauf. Die anwesenden Herren: entzückt. Die Damen: erschüttert. Aber keine Sorge, das hautenge Stück geht nicht in die Fanshops.

Bei der Aftershow-Party bringen Kellner bunte Drinks, zwischendurch fällt mal ein Tablett mit King-Prawns in Erdnusssauce zu Boden. 500 Gäste, raunt einer. Das Fernsehen ist da, die Enthüllung des Autos wird am nächsten Tag in Deutschland live übertragen. VIPs, Sponsoren, Geschäftsfreunde. "The essence of racing" lautet der Slogan des Konzerns für die neue Saison. Aber was ist die Essenz? Große Show? Großes Geschäft? BMW-Motorsportdirektor Mario Theissen ist der Chef dieses Projekts, ein promovierter Ingenieur. Er sagt: "Die Formel 1 ist nur angewandte Physik." Insofern: der passende Ort hier.

An der Rennstrecke in Valencia verteilen sich die 500 Leute am nächsten Mittag schnell. In die Boxengasse, auf die Tribüne, gern: ans Büfett. Nick Heidfeld treibt den Wagen über den Kurs, Jacques Villeneuve folgt kurz darauf, tuckert aber nach nur einer Runde zurück in die Garage. Am Übergangsauto hakt das Getriebe, der Wagen schaltet nicht aus dem ersten Gang und beginnt zu kokeln. Es qualmt und stinkt nach verbranntem Kunststoff.

Nebenan im Fahrerlager hat BMW ein Zelt für die Crew aufgebaut. Am hintersten Tisch sitzt Peter Sauber, 62. Kurz zuvor wurde er zum Schweizer des Jahres gewählt; jetzt hat er einen Cappuccino vor sich, Zigarre in der Hand, entspanntes Lächeln. Rentnerlächeln. Seinen Rennstall hat BMW übernommen, er hat sich, wie man in diesen Kreisen sagt, aus dem operativen Geschäft verabschiedet. Mit einer Restbeteiligung von 20 Prozent. Als Berater betreut er bei einigen Rennen die großen Sponsoren. Auch der Name bleibt vorerst: BMW Sauber. Klingt wie ein Vermächtnis.

Peter Sauber ist sozusagen die personifizierte Vergangenheit der Formel 1. Er steht für eine Zeit, als Privatiers sich einen Haufen Kohle von der Bank liehen, um Motorsport zu betreiben; als sie Zelte vor ihre Busse spannten, um Gäste zu bewirten. Als Bernie Ecclestone wirklich noch der große Zampano war, vor dem alle zittern mussten. In der Gegenwart wird die Formel 1 von den Autokonzernen geprägt, von Mercedes, Renault, Fiat, Honda, Toyota. BMW. Dass Letztere jetzt ein eigenes Team aufziehen, ist der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung. Oder anders ausgedrückt: The essence of racing.

Giancarlo Minardi hat vor fünf Jahren sein Team verkauft, Ende 2004 gab Eddie Jordan auf; inzwischen sorgt sich selbst Frank Williams um seine Zukunft, seit BMW die Partnerschaft kühl beendete. Sauber war einer der Letzten seiner Art. Ein netter Patriarch. "Patron ist mir lieber", sagt er und zündet die Davidoff neu an, "schreiben Sie bitte Patron." Er könnte sentimental werden oder nostalgisch, wenn er jetzt davon erzählt, wie er nach 36 Jahren sein Büro in Hinwil geräumt hat; wie er beinahe jedes Blatt Papier einzeln angeschaut hat. "Seriöserweise müssen Sie das so machen", sagt er, und sein Schweizer Akzent unterstreicht das wunderbar.

Das neue Auto, der BMW F1.06, ist ja letztlich noch ein Sauber; einer mit BMW-Motor drin und Konzernlogo auf der Nasenspitze. Zwei Wochen vor der Präsentation steht es in der Halle in Hinwil, ganz in Weiß, und aus München sind drei Marketingleute angerückt und der Exterior-Designer von BMW. Am Computer haben sie das Outfit des Wagens entworfen, auf Basis des Übergangsmodells. Aber jetzt, wie das neue Auto zum Bekleben dasteht, mit weiteren Aerodynamikteilen, passen die Logos nicht, der Schriftzug des Hauptsponsors wird durchtrennt. Nicht gut. Früher hat Sauber das mit dem Aufkleberhersteller aus der Nachbarschaft erledigt, ruck, zuck, Pi mal Daumen, und jetzt kommt der Marketingmann mit dem Maßband. Sponsoring ist heute auch Zentimeterarbeit.

Die Lackierung ist speziell von DuPont entwickelt; man stellt sich das so einfach vor. Aber: In der Sonne reflektiert das Weiß, also wird ein hoher Gelbanteil reingemischt; das Dunkelblau sieht im Fernsehen schnell mal schwarz aus. Und so was wird dann getestet. Auf Fotos, Fernsehbildern. In der Welt der Corporate Identity bekommen selbst banale Dinge eine erstaunliche Fallhöhe.

Nun ist es nicht so,

als würde BMW in Hinwil einen Kulturschock verursachen. Und man darf auch nicht den Fehler machen, Sauber als niedlichen Familienbetrieb zu romantisieren. Sauber sagt: "Wir haben immerhin fast 300 Leuten Arbeit gegeben." Das Budget lag zwischen 80 und 100 Millionen Euro. Er sagt: "Aber es hat eben nicht gereicht." BMW wird künftig wohl mehr als das Doppelte ausgeben.

Es war ein Operieren im kleinen Rahmen der Möglichkeiten. Ende der vergangenen Saison belegte Sauber den ernüchternden achten Rang. Perspektive: keine Chance gegen das Großkapital. In Hinwil hatte Sauber den modernsten Windkanal der Branche gebaut, nur fehlte für den 24-Stunden-Betrieb mangels Geld das Personal. Und was nützt der beste Windkanal, wenn nur eine Schicht drin arbeitet? BMW will im Spätsommer genügend Ingenieure beisammen haben, um rund um die Uhr testen zu können. Mindestens 120 Fachleute sollen eingestellt werden, ein weiteres Verwaltungsgebäude ist geplant. Ob Peter Sauber da nicht schwindelig wird? Er lächelt und sagt, so wisse er sein Lebenswerk in guten Händen.

Die Heimat von BMW-Motorsport ist im Münchner Euro-Industriepark. In der Lobby stehen Mies-van-der-Rohe-Sessel, mit BMW-Alcantara-Stoff bezogen. Coporate Identity. Mario Theissen bittet in einen unspektakulären Besprechungsraum, wie er überhaupt das ganze Projekt unaufgeregt angeht. Die irreale Formel-1-Welt hat schon manchen Charakter deformiert, um Theissen müsste man sich erst sorgen, wenn er seinen etwas anachronistischen Schnurrbart stutzen ließe. Er wuchs in der Eifel auf, Bodenständigkeit quasi genetisch programmiert, dem Glamour der Formel 1 kann er nichts abgewinnen. Er sagt: "Als Ingenieur ist man dem Zauber nicht so sehr erlegen."

In einer Branche, in der Dampfplauderer den Ton angeben, wirkt Theissen fast verstörend. Er macht lange Pausen, bis er einen Satz druckreif formuliert hat, wenn das auch manchmal etwas technokratisch klingt. Aber seit BMW im Jahr 2000 in die Formel 1 zurückkehrte, hat Theissen gelernt, hart zu sein. Frank Williams informierte er von der Trennung, einen Tag bevor er die Sauber-Übernahme bekannt gab. Das ist Geschichte, sagt er; lieber spricht er von der Aufbruchstimmung, die er spüre. Er sagt: "Aber selbst mit Sauber hatten wir unsere Frustphasen." Bei der Verschmelzung zweier Unternehmenskulturen seien eben nicht immer alle einer Meinung.

Aber am Ende zählt seine.

Verschmelzung. Aufbruchstimmung. Von einem nahen Hügel schaut im Licht der untergehenden Sonne das Tio-Pepe-Männchen auf die Rennstrecke von Jerez in Andalusien. Es ist einer der letzten Tests, bevor an diesem Wochenende in Bahrain die Saison beginnt. Sanfter Wind weht durchs Fahrerlager, aus der mobilen Küche klingt ein trauriges Lied von REM. Und einer, der die Verschmelzung von BMW und Sauber verkörpert, macht sich gerade über einen Antipasti-Teller her. Nick Heidfeld, der drei Jahre in Diensten von Sauber stand und vorige Saison für BMW fuhr, ist, wenn's so was gab, der missing link zwischen den Teams.

Heidfeld erzählt

von den Anstrengungen des Testtages, von frühmorgens bis nachmittags ins Cockpit eingequetscht; und wenn's draußen stockfinster ist, noch fit genug sein, mit den Ingenieuren zu beraten. Aber so einen relaxten Eindruck hat er lange nicht mehr gemacht. 2005 war sein Jahr. Im Juli wurde er Vater, er hat jetzt ein UMTS-Handy, damit er seine Tochter beim Telefonieren sieht. Und sportlich endlich der Durchbruch: zwei zweite Plätze, ein dritter, erste Pole Position. Er sagt: "Trotzdem war es unbefriedigend." Weil den guten Ergebnissen keine besseren folgten. Und die letzten fünf Rennen der Saison erlebte er nach einem Fahrradunfall mit angeknackster Schulter auf dem heimischen Sofa. Er sagt: "Ich will Weltmeister werden, daran hat sich nichts geändert." Auch wenn erst mal Aufbauphase angesagt ist bei BMW Sauber.

Im Prinzip ist Heidfeld ein kongenialer Partner für seinen Chef Theissen: uneitel, akribischer Arbeiter, ein Technikfreak. "Aber ich muss lernen, mich selbst zu bremsen", sagt er, sonst würde er bis in die tiefe Nacht am Laptop über den Aufzeichnungen sitzen. "Als Fahrer musst du auch mal zur Ruhe kommen."

Anders als Heidfeld fährt sein kanadischer Kollege Jacques Villeneuve in diesem Jahr nur auf Bewährung. Er sagt: "Es wird ein entscheidendes Jahr für mich. Wenn's schlecht läuft, sitze ich Weihnachten zu Hause. Arbeitslos." Villeneuve schläft in einem Wohnmobil neben dem BMW-Motorhome. Ein Modell, bei dem Seitenteile rausfahren, damit innen Tanzsaalatmosphäre aufkommt. Rockstars auf Tournee benutzen solche Busse. Villeneuve hat seine Rockstar-Attitüde hinter sich. Das ehemals bunte Haar ist bräunlich geworden und dünn, und wenn er Gäste empfängt, bittet er, Plastiküberzieher über die Schuhe zu stülpen. Damit man keinen Dreck reinträgt.

Villeneuve sitzt in schlabbriger feuerfester Unterwäsche am Tisch und bearbeitet einen Teller mit dünnen Filetsteaks. Er isst sie, wie Amerikaner Pizza essen: lässt den Rand übrig. Jetzt sitzt er da, BMW-Logo auf der Brust; ausgerechnet er, als Angestellter in corporate world. Ob ihn das befremde? Er sagt, BMW sei ein Großkonzern, klar, und am Anfang hatte er Sorgen, ob die Chemie stimme. "Aber wir sind ein Team, es ist wunderbar. Die Leute hier haben denselben Geist wie die Pioniere der Formel 1. Sie sind echte Racer."

Die Karriere des Jacques Villeneuve erzählt viel über die Formel 1. Weltmeister 1997, und vor seiner 11. Saison zweifeln viele, ob er noch taugt. Sportlich. Früher hat Villeneuve gern den Outlaw gegeben, erfrischende Erscheinung unter all den PR-Darlings. Nun er hat sein Lebensmotto neu formuliert: "Schnell fahren und Klappe halten." Er sagt: "Ich hätte beinahe keinen Job mehr gefunden, weil ich immer eine eigene Meinung hatte. Aber ich liebe diesen Job." Vielleicht müssen die Fahrer heute stromlinienförmiger sein als ihre Autos.

Markus Götting print

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