Hinter den Kulissen des Ineos-Werks Hambach Offroader statt Cityflitzer

INEOS Automotive Hambach
INEOS Automotive Hambach
© press-inform - das Pressebuero
Der Chemiekonzern Ineos steigt in die Automobilherstellung ein. Dazu kaufte man von Daimler das Smart-Werk im französischen Hambach für den neuen Geländewagen - und produziert ganz nebenher den Smart Fortwo erst einmal weiter.

Es war vor knapp 25 Jahren ein wahrer Staatsakt: Als Daimler am 27. Oktober 1997 das Smart-Werk im lothringischen Hambach einweihte, waren selbst der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl und der französische Staatspräsident Jacques Chirac mit von der Partie. Ein Aufbruch in eine neue Ära sollte es sein - nicht nur wegen des Konzepts des Smart Fortwo, sondern auch wegen der völlig neuen Fertigungsinfrastruktur. Smartville nannte man das Areal vollmundig.

Aufbruchstimmung herrscht in der ländlichen Region auch heute wieder. Doch die Vorzeichen könnten anders kaum sein. Statt des kleinen Cityflitzers mit smartem Design steht heute ein kantiger Geländewagen im Rampenlicht. Dessen Äußeres wirkt so, als hätte man die Zeit nicht nur um 25 Jahre, sondern eher um das Doppelte zurückgedreht. Grenadier heißt das Fahrzeug, Ineos der Hersteller - Begriffe, die bei den Allermeisten nur Achselzucken hervorrufen. Und richtig: Als hochgeländegängiges Fahrzeug besetzt der Grenadier eine Nische, die es heute nicht mehr zu geben scheint. Dafür ist sein Hersteller ein Schwergewicht, wenn auch nicht in der Automobilbranche. Ineos, selbst erst 25 Jahre alt, ist ein Chemie-Giant, der viele Bereiche abdeckt - von der Petrochemie über Wasserstoffgewinnung bis zur Kunststofffertigung. Automobile gehörten aber bislang nicht zum Portfolio.

Das hinderte Firmengründer Jim Ratcliffe nicht, auch in diese Branche einzusteigen. Der reichste Mann Großbritanniens zu sein, war dabei genauso hilfreich wie seine klare Vision. Nach dem Ende des alten Land Rover Defender im Jahr 2016 sah er eine Lücke für ein hochgeländegängiges Fahrzeug. Er gründete Ineos Automotive, versammelte führende Ingenieure um sich und ließ einen Offroader entwickeln. Der sollte mindestens genauso kantig sein wie der alte Landy und ähnlich unerschrocken im Gelände, allerdings in jeder Hinsicht moderner. Seither wurde Stück um Stück der Grenadier zur Serienreife entwickelt. Während dieser Entwicklung hatte Ineos mit einer Herausforderung zu kämpfen, die absehbar gewesen war. Die Silhouette, vor allem aber die Gestaltung der vorderen Kotflügel weckt Erinnerungen an den alten Defender. Prompt sah man bei Land Rover das geistige Eigentum verletzt und zog wegen diverser Urheberrechtsverletzungen vor Gericht. Ratcliffe war vorbereitet, hatte eigens dafür einen Fond geschaffen und diesen gut gefüllt. Die Gerichte in England wiesen die Klagen zurück und auch die Richter in anderen Staaten folgten dieser Einschätzung.

Ohnehin lässt ein Rundgang durch die Fertigungsstätten des Grenadier eine ganz andere Sichtweise zu, in der Ineos beim direkten Vergleich mit dem Defender der Geschädigte ist: Hatte die Land-Rover-Fertigung seinerzeit immer den Charme einer Bastelbude, produziert Ineos nach höchsten Hightech-Standards - hoch automatisiert und mit dem Einsatz modernster Roboter. Möglich wurde das durch einen genialen Schachzug Ratcliffes. Während er ursprünglich den Grenadier in Wales fertigen lassen wollte, wurden dem bekennenden Brexit-Befürworter zunehmend die Probleme bewusst, die damit einhergingen: Der Ausstieg aus der EU würde die Produktion verteuern. Doch vor allem fehlte es an der Infrastruktur im Hintergrund und am qualifizierten Personal. Die Lösung dafür fand er bei Daimler. Nach dem vertieften Joint-Venture mit dem chinesischen Autohersteller Geely und der damit verbundenen Aussicht, den kleinen Smart künftig in China zu fertigen, war das einstige Vorzeigeobjekt Smartville plötzlich überflüssig - zumal ohnehin die Zahl der Produktionsstandorte reduziert werden sollte. Schließung oder Verkauf hieß die Alternative, als sich plötzlich Ineos meldete. Kontakte zwischen beiden Unternehmen gab es ohnehin schon länger, schließlich ist Ineos Teilhaber des Formel-1-Teams von Mercedes. Für Ratcliffe und Ineos-Automotive-Chef Dirk Heilmann wurde der Kauf umso attraktiver, als Daimler selbst noch 470 Millionen Euro in die Modernisierung des Werks und den Aufbau einer SUV-Fertigungslinie investiert hatte. Die Abmessungen bestimmter Fertigungsbereiche, beispielsweise der Lackiererei, wären ohne diese Arbeiten nicht für den großen Geländewagen geeignet gewesen.

Was Ineos besonders lockte, war die Infrastruktur. Denn um das Werk in Hambach herum hatten sich viele Zulieferer ansiedelt, die zumindest teilweise auch für den Grenadier gebraucht werden. Dass der Standort von der Europazentrale von Ineos in Böblingen bei Stuttgart aus gut erreichbar ist, war ein weiterer Bonus. Dazu kommen die rund 1.300 gut qualifizierten Beschäftigten, die von Ineos übernommen wurden. Dass sie nun keinen Daimler-Vertrag mehr haben, dürfte in der sonst eher strukturschwachen Region nur kurzzeitig für Stirnrunzeln gesorgt haben, zumal Ineos kein Unbekannter ist: Nicht weit von Hambach entfernt betreibt man auch ein florierendes Chemiewerk.

Trotzdem investierte Ineos selbst noch einmal kräftig in das Werk, in dem man bis auf Weiteres als Lohnfertiger für Daimler auch den Smart EQ weiter produziert. Das wird mindestens noch bis 2024 der Fall sein. Nach dem Aufbau der Grenadier-Fertigungslinie in nur zwölf Monaten und nach dem Hochfahren der Serienproduktion im Herbst diesen Jahres, können hier jährlich gut 30.000 Geländewagen entstehen. "Das Areal bietet aber das Potenzial, bei Bedarf auf 60.000 Einheiten jährlich aufzustocken", klärt Dirk Heilmann auf.Hauptaugenmerk beim Aufbau legte man auf unzählige Qualitätskontrollen während und nach der Produktion. Denn eines ist allen klar und wird von Heilmann auf den Punkt gebracht: "Wir haben nur diese eine Chance. Und da müssen wir alles richtig machen."

pressinform