Peter Meyer ist ein Mann der markigen Worte: "Wenn der Wind von vorne kommt, muss man das auch mal aushalten können", sagte der ADAC-Präsident am Dienstag der "Bild"-Zeitung. Seinen eigenen Rücktritt als Konsequenz aus dem Skandal um gefälschte Abstimmungsergebnisse beim "Gelben Engel" schloss er aus: "In diesem Fall bin ich auch der Garant für die Aufklärung in der Sache", sagte er. Dass muss er jetzt auch an anderer Stelle beweisen: Es geht um ihn selber.
Dem stern liegt die Schilderung eines Zeugen vor, die besagt, dass Peter Meyer einen ADAC-Rettungshubschrauber zum schnelleren Transport zwischen zwei Veranstaltungen nutzte und dabei den gelben Helikopter mit dem großen ADAC-Schriftzug mitten in Innenstädten landen ließ, um bequemer sein Ziel zu erreichen. Gerüchte über die Nutzung von Rettungshubschraubern bei dem Automobilclub gibt es schon länger, auch weil der umtriebige Meyer und andere Präsidiumsmitglieder oft an einem Tag Termine an weit auseinanderliegenden Orten wahrnehmen. Auf Anfrage des stern teilte der ADAC mit: "Die Präsidiumsmitglieder sind als offizielle Organe dazu berechtigt, für dienstliche Anlässe bei Verfügbarkeit ausschließlich auf Reservemaschinen der Luftrettung zurückzugreifen. Diese Möglichkeit wurde in den letzten zehn Jahren weniger als 30 Mal von Mitgliedern des Präsidiums in Anspruch genommen."
Landung direkt vor der Fischauktionshalle
Ein konkreter Fall, zu dem der stern Informationen hat, ereignete sich am 27. Juni 2003. Damals reiste Meyer, zu diesem Zeitpunkt rund zwei Jahre im Amt, zum "Tag der Verkehrssicherheit" nach Hamburg. Dort machte der ADAC in der Fischauktionshalle am Hamburger Hafen eine Veranstaltung zum Thema "Unfallfreier Straßenverkehr – eine Vision?". Nach der Veranstaltung, die von 10.30 Uhr bis 12.30 Uhr dauerte, flog Meyer mit einem ADAC-Rettungshubschrauber weiter zum 18. Kfz-Sachverständigentag nach Wolfsburg. Der "gelbe Engel der Lüfte" (ADAC-Jargon) war extra aus einem ADAC-Wartungsbetrieb bei Bonn nach Hamburg geflogen worden.*
Auf den oft verstopften Autobahnen, die die rund 19 Millionen ADAC-Mitglieder Tag für Tag nutzen müssen, sind das rund 240 Kilometer. Für die braucht man je nach Verkehr zweieinhalb bis drei Stunden. Fliegt man die knapp 150 Kilometer Luftlinie mit bis zu 250 Sachen, ist man dagegen schon nach etwa 45 Minuten in Wolfsburg.
Und genau das tat Meyer, hob direkt am Hamburger Hafen ab und landete in Sichtweite der Autostadt auf einer Wiese vor den Augen der staunenden Besucher. Von dort ging es in die Stadthalle zum Vortrag. Anschließend entschwebte der Club-Chef, so ein Zeuge, wieder mit dem Hubschrauber. Auf Nachfrage des stern bestätigte der ADAC den Sachverhalt: "Der Hubschrauber war den ganzen Tag für den Präsidenten gebucht."
Behörde in Niedersachsen weiß von nichts
Meyers Vorgehen ist gleich in mehrfacher Sicht fragwürdig: Rettungshubschrauber sind dazu da, Menschenleben zu retten. Zwar verfügt der ADAC für seine 36 betriebenen Rettungsstationen über eine Flotte von 51 Maschinen, doch ein Teil der Hubschrauber befindet sich immer in der Wartung, andere müssen für mögliche Pannen in Bereitschaft gehalten werden oder dienen Trainingszwecken. Für Personentransporte sollten die teuren Fluggeräte daher eigentlich keine Zeit haben. Trotzdem heißt es beim ADAC: "Hubschrauber die wir in Reserve haben, werden unter anderem für andere Flüge z.B. auch des Präsidiums genutzt." Das sei allein beim Präsidium in den vergangenen zehn Jahren "weniger als 30 Mal" vorgekommen. "Die beauftragenden Ministerien bzw. die zuständigen Länderbehörden sind natürlich über alle Vorkommnisse unserer in den Rettungsdienst eingebundenen Rettungshubschrauber informiert."
In Niedersachsen, wo ein Großteil des dokumentierten Fluges stattfand, kennt man die ADAC-Praxis nicht: "Hier ist nicht bekannt, dass Rettungshubschrauber auch für den Personentransport eingesetzt werden", sagt Tanja Rißland, Sprecherin des Innenministeriums.
"Wir tun dies zur Senkung unserer Fixkosten"
Rettungshubschrauber werden für ihren Bestimmungszweck aus mehreren Quellen finanziert: Die Innenministerien der Länder bestellen ihre Dienste, Krankenkassen bezahlen Flüge bei medizinischen Notfällen, ADAC-Mitglieder unterstützen mit geschätzten 40 Cent aus ihren Mitgliedsbeiträgen die Luftrettung und oft gehen auch zusätzliche Spenden ein, um das vorbildliche deutsche Luftrettungsnetz zu unterstützen.
Beim kommerziell denkenden ADAC sieht man die Sache nüchterner und die Hubschrauber als Verfügungsmasse für die eigenen Zwecke: "Sofern wir Hubschrauber für andere Zwecke als den Rettungsdienst verwenden, tun wir dies im Rahmen unserer unternehmerischen Verantwortung zur Senkung unserer Fixkosten", heißt es. Der ADAC sagt dazu, der Verein habe die Kosten getragen.
Der Verband der Ersatzkassen (VdEK) verhandelt bundesweit immer wieder mit dem ADAC über die Kosten von Rettungsflügen. Auf Flüge des Präsidiums mit Rettungshubschraubern habe man "in der Vergangenheit keinen Hinweis" gehabt, so Sprecherin Sigrid Averesch. Nun ist man alarmiert: "Der ADAC darf in den Verhandlungen über Erstattungsbeiträge nur die Kosten geltend machen, die für Rettungsflüge anfallen, wie Kosten für die Ärzte, Wartung, Sprit. Alles andere wäre unstatthaft."
"In Deutschland herrscht Flugplatzzwang"
Rettungshubschrauber dürfen im Einsatz generell nahezu überall landen. Dafür hat das Luftamt Südbayern der ADAC-Luftrettung eine Allgemeine Außenlandegenehmigung ausgestellt. Sie gilt für Rettungseinsätze, Patienten- und Organtransporte, Sucheinsätze und Flüge zu Bereitschaftsstation, etwa an einem Krankenhaus. Nur liegen alle diese Gründe im konkreten Fall nicht vor. Für den normalen Personentransport bräuchte die ADAC-Luftrettung gemeinnützige GmbH aber eine Genehmigung für den Werksverkehr. Und die hat sie nach Aussage des Luftamtes nicht. Der ADAC bräuchte eine Einzelgenehmigung. Läge die nicht vor, wäre das vor allen Dingen ein Problem für den verantwortlichen Piloten.
"In Deutschland herrscht ein genereller Flugplatzzwang", sagt der erfahrene Münchener Luftrechts-Experte Roland Winkler. "Der dient der Sicherheit des Luftverkehrs, der Lärmvermeidung und dem Passantenschutz. Landungen wie die in Wolfsburg oder Hamburg sind genehmigungspflichtige Außenlandungen. Liegt keine Genehmigung vor, ist das eine Straftat, die mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft werden kann." Der ADAC sagt, es lägen Genehmigungen vor. Zumindest für Wolfsburg kann die zuständige Behörde in Wolfenbüttel das bisher nicht bestätigen.
* In einer früheren Version dieses Artikels, hieß es, Meyer sei bereits mit dem Rettungshubschrauber nach Hamburg gereist. Diese Darstellung, die der ADAC dem stern vorab bestätigt hatte, ist nicht korrekt. Wir haben sie deshalb korrigiert.