Bis um halb Eins war die VW-Welt in Hannover noch in Ordnung: Die Hauptversammlung des Volkswagen-Konzerns lief in den gewohnten Bahnen von Begrüßung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden Hans-Dieter Pötsch, Gedenkminute für die Verstorbenen und der Rede des Vorstandschefs Matthias Müller. Der berichtete von den gar nicht so schlechten Zahlen des Geschäftsjahres 2015 (vor Strafzahlungen) und seiner Strategie 2025, mit der Deutschlands größter Konzern in die Zukunft gedreht werden soll.
Wenig Neues zum Skandal bei VW
Nur zur "Dieselthematik", wie der wohl größte Skandal in der Deutschen Industriegeschichte im Firmenslang harmlos heißt, sagte er fast nichts. Laufende Verhandlungen mit den US-Behörden, bei denen es um viele Milliarden Dollar an Strafen und Schadensersatz geht, stünden dagegen. Pötsch wie Müller entschuldigten sich allerdings brav und fast wortgleich für das enttäuschte Vertrauen ins Unternehmen und gelobten Besserung.
Bis zu diesem Zeitpunkt war von der Stimmung im Saal wenig spürbar: Vereinzelte Zwischenrufer waren ohne Resonanz geblieben, einzelne Äußerungen von Müller hatten verhaltenen Applaus bekommen. Bloß die strengen Eingangskontrollen und die zehn Sicherheitsleute vor der Bühne zeugten von einer gewissen Anspannung.
Die Wut der Aktionäre
Dann trat um 12.30 Uhr als erster Redner der langjährige Aktionär Manfred Klein aus Saarbrücken ans Mikrofon und setzte den Ton, für das was nun kommen sollte:
"Ich stelle hiermit den Antrag, Herrn Pötsch als Versammlungsleiter abzulösen." Klein bezeichnete den Aufsichtsratsvorsitzenden als einen der "Hauptverantwortlichen" für die "kriminellen Machenschaften" im Konzern. Pötsch war bis zum Aufkommen des Diesel-Skandals im vergangenen Herbst viele Jahre Finanzvorstand des Konzerns gewesen und war dann nahtlos in den Aufsichtsrat gewechselt. Eigentlich sehen die Corporate-Governance-Empfehlungen in solchen Fällen eine mindestens zweijährige Wartezeit vor.
Entsprechend redete sich Aktionär Klein in Rage: "Was erdreisten Sie sich eigentlich, hier zu sitzen?" fragte er und beschimpfte Pötsch als "blinden Wegseher", der seine Position auf dem Podium sicher nutzen werde, Kritik zu unterdrücken. Klein bekam langen Beifall.
Reine Formsache
Der zweite Redner, Manfred Duffner vom Verband der kritischen Aktionäre, schloss sich dem Antrag an: Pötsch sei der "personifizierte Interessenkonflikt" und als ein Symbol für die "verlotterte Corporate Governance" von Volkswagen. Auch er bekam langen Applaus.
Dann wurde abgestimmt: 92,4 Prozent der Stammaktionäre beteiligten sich. Nur 0,02 Prozent stimmten für die Abwahl von Hans-Dieter Pötsch.
Das war für die folgenden Redner mehr als ernüchternd, zeigt aber die Machtverhältnisse im Konzern. Mehr als die Hälfte aller stimmberechtigten Anteile ist in Händen der Familien Porsche und Piech, gut 20 Prozent liegen beim Land Niedersachsen, weitere Pakete bei Großanlegern wie dem Wüstenstaat Katar oder Investmentfonds. Die Hauptversammlung ist also technisch eher eine reine Formsache.
Der Sinn der Vorstandsbeschimpfung
Bloß das Rederecht auch von Kleinstaktionären machte sie in diesem Jahr zu einer unangenehmen Pflicht für Management und Aufsichtsrat. Denn bei über 40 Wortmeldungen, die sich mit überbordenden Gehältern, mangelnder Aufsicht und Egoismus beschäftigten, dürften dem ganzen Podium irgendwann kollektiv die Ohren geklingelt haben.
Und vielleicht dient das ja als zusätzliche Motivation, solche Fehler wie im Diesel-Skandal nie wieder zuzulassen. Dann hätte die Volkswagen-Hauptversammlung endlich einmal einen Zweck erfüllt und wäre mehr als eine Show-Veranstaltung gewesen. Es wäre dem Konzern zu wünschen.