Es sollte noch zwei Jahre dauern, bis der erste Golf das Licht der Welt erblickt. Es ist das Jahr 1972, und Willy Brandt regiert ein Land von Käfer treibenden Deutschen. Da bringt der französische Staatkonzern Renault den R5 auf den Markt. Mit allem, was einen modernen Kleinwagen ausmacht: Frontmotor, Frontantrieb, große Heckklappe und - das bekam der Golf erst 1975 - Scheibenbremsen vorne.
Unvergleichlich französisch
In den frühen Siebzigern zählte Kultur noch etwas, und darum war der Renault 5 durch und durch ein Franzmann. Alle Räder waren einzeln aufgehängt; die Federwege waren unendlich lang. Das sorgte für tollen Komfort und eine Seitenneigung in Kurven, die meistens beängstigend, aber immer ungefährlich war. In Verbindung mit den plüschigen Sitzen und der nachlässigen Verarbeitung konnte jeder Käufer sich ein Stück »Laissez Faire« in die teutonische Garage holen.
Skurrile Eigenarten
Wer es mit einem R5 krachen ließ, erntete schnell quietschende Reifen. Warum sich der linke Vorderreifen aber immer schneller abnutzte als der rechte, war ein Rästel. Die Lösung dafür lag unter dem linken Kotflügel. Dort war der Auspuffschalldämpfer eingebaut, und der heizte dem Reifenprofil mächtig ein. Und wer glaubt, dass auf dem Weg zu moderner Raumökonomie für den 3,51 Meter langen »Mon Ami« alle Register gezogen wurden, sieht sich getäuscht. Im Gegensatz zu allen modernen Kleinwagen war der Motor längs zur Fahrtrichtung eingebaut.
Giftzwerg
Überhaupt die Motoren. 36 PS war die Basis. Kein Problem, denn der R5 war immer ein Leichtgewicht. Das sorgte für niedrigen Verbrauch. Der war nach der Ölkrise 1973 überall gefragt. Die Zurückhaltung bei der Leistung gaben die Franzosen dann 1980 endgültig auf: Im Renault 5 Turbo wütete ein 160 PS-Motor, der jeden Golf GTI zum Statisten degradierte. Statt vorne unter der Motorhaube saß die Maschine vor der angetriebenen Hinterachse und dröhnte dem Fahrer direkt ins Ohr. 6,9 Sekunden von null auf 100 - das war damals der Wahnsinn. Das Fahrverhalten war das Produkt aus kurzem Radstand, üblem Turboloch, Mittelmotor und plötzlichem Leistungseinsatz. Ein Brummkreisel eben. Konzipiert war der Turbo für den Rennsport, und dort hält sein Enkel Clio V6 mit dem gleichen Rezept heute noch die Fahne hoch.
Rostfraß
Der R5 war immer ein junges Auto für Frauen. Bunte Farben in aus heutiger Sicht geschmacklosen Farbkombinationen - denken Sie mal an hellgrünen Lack mit einer curry-beigen Cordinnenausstattung - waren Ausweis der frühen Modelle. Die sind heute rar, den der Rost hat die dünnen Bleche des Renault 5 rasch dahingerafft. Youngtimerfreunde, die sich für eines der neun Millionen gebauten Fahrzeuge interessieren, brauchen also einen Schweißbrenner. Als Belohnung für erlittene Metallarbeit gibt es einen Klassiker mit Zeitmaschinenfaktor, denn irgendwie sitzt auf dem Beifahrersitz immer Sophie Marceau, die im Kinoknaller »La Boum« ein paar French Kisses mit ihrem Liebhaber tauscht. Natürlich im Renault 5.
Christoph M. Schwarzer