Der Tag beginnt mit einem Schock. Als die Studenten der Hochschulen Merseburg, Halle und Trier die Köpfe aus ihren Zelten stecken, sinkt die Stimmung beim Blick auf den Himmel in den Keller. Dunkle Wolken hängen über dem Campingplatz am Rande der Rennstrecke in Nogaro. Dazu prasselt Regen herunter. Eine nasse Fahrbahn ist aber das Letzte, was die jungen Deutschen und die übrigen rund 3000 Teilnehmer am diesjährigen Shell-Eco-Marathon in der südfranzösischen Stadt gebrauchen können.
Zum Teil über 40 Stunden pro Woche haben die 206 Teams aus 22 verschiedenen Ländern, darunter zwölf aus Deutschland, in den vergangenen Monaten an ihren Fahrzeugen getüftelt und geschraubt. Alle mit dem einen Ziel: Ein möglichst effizientes und mit umweltschonendem Antrieb ausgestattetes Fortbewegungsmittel zu entwickeln. Denn entgegen der üblichen Logik eines Rennens gewinnt nicht der Schnellste sondern der Sparsamste.
Flache Flunder und "Batmobil"
Um 11 Uhr geht es dann doch endlich los. Die Sonne hat sich durchgesetzt. Knapp drei Stunden nach dem ursprünglichen Rennbeginn drängen die jungen Erfinder mit ihren Fahrzeugen in Richtung Startlinie. Eine flache Flunder knattert an einer zigarrenförmigen Röhre vorbei während flinke Hände an einem dem "Batmobil" alle Ehre machenden Geschoss noch mal alle Schraube nachziehen. Was aussieht wie ein Klassentreffen von Seifenkisten-Freunden ist in Wahrheit das Schaulaufen des internatonalen Ingenieursnachwuchses. "Das sind die Fahrzeugbauer der Zukunft", sagt Norman Koch, Shell-Manager für Motortechnologie.
Erlaubt sind Motorsysteme mit Diesel, Benzin, Biosprit und Wasserstoff. Die Ergebnisse werden jeweils auf einen Liter Treibstoff hochgerechnet. Gestartet wird in zwei Kategorien. Ethanol aus Brot, Steuerung per Joystick oder Vincent-Van-Goghs berühmtes Sonnenblumen-Motiv als Karosserie-Schmuck - in der Prototypen-Klasse sind der Kreativität der Konstrukteure kaum Grenzen gesetzt. Beim UrbanConcept hingegen ist die Straßentauglichkeit Pflicht.
Shell-Eco-Marathon
Seit den 70er Jahren treffen sich einmal pro Jahr junge Forscher auf dem Paul Armagnac-Circuit in der südfranzösischen Stadt Nogaro. Ziel der Veranstaltung ist es, das umweltfreundlichste und am wenigsten Energie verbrauchende Fahrzeug zu küren. In den USA (Norco) und Großbritannien (Rockingham) finden ähnliche Wettkämpfe statt. 2009 ist der Lausitzring erstmals Austragungsort des Schaulaufens automobiler Zukunftstechnologie.
Karosserie für den Komposthaufen
Das Team "Eco-Emotion" geht mit seinem Zero8 bereits zum zweiten Mal nach 2007 an den Start. Einen Rückschlag mussten die Studenten der Hochschule Merseburg und der Burg Giebichenstein Hochschule für Kunst und Design Halle allerdings schon vor dem ersten Wertungslauf hinnehmen. Ihr nach dem Junker-Prinzip selbstgebauter und modifizierter "4cl-alpha"-Motor hat den Probelauf am Vortag nicht überstanden. "Er ist beim Aufwärmen zu heiß gelaufen und dann abgekühlt. Dadurch hat sich der Kolben verhakt", erklärt Sascha Scholz (29).
Für den Antrieb muss jetzt ein klassischer Honda-Motor sorgen. Die "Sprit-Könige" wollten sie aber ohnehin nicht werden. Sie haben es auf den "Design-Preis" abgesehen. Mit seiner aus Balsaholz und Seide gefertigten sowie mit Epoxyd-Harz laminierten Außenhülle kommt der schnittige 42 Kilogramm schwere Flitzer wie eine elegante Insektenlarve daher. Wenn im kommenden Jahr das Kunststoffharz wie geplant durch ein biologisches ersetzt wird, ist die "Karosserie" komplett ein Fall für den Komposthaufen.
"Dufte gemacht!"
Der Zero8 hat seinen Startplatz erreicht. Fahrer Jan Bernstein klappt das Visier seines Helms nach unten und quetscht sich in das Cockpit. 1,70 Meter klein, 63 Kilogramm leicht - eine Jockeystatur ist Pflicht für den Ritt im komfortfreien Einsitzer. Sieben Runden à 3,6 Kilometer gilt es innerhalb von 50 Minuten auf dem Paul Armagnac-Circuit zu drehen, um in die Wertung einzugehen. Eine Hürde, an der das "Eco-Emotion"-Team im vergangenen Jahr gescheitert ist. Diesmal läuft es besser. Nach 48:18 Minuten schnurrt Bernstein über die Ziellinie. Seine Teamkollegen jubeln. "Dufte gemacht, ich bin stolz auf Dich!", ruft Scholz und klopft Bernstein auf die Schulter. Die Hoffnung auf den Design-Preis lebt. Der Verbrauch von 121,7 Millilitern, umgerechnet ein Liter auf 211 Kilometer, reicht allerdings nur für einen der hinteren Plätze im Klassement der Energiesparer. Die Top-Teams kommen nämlich auf den sieben Runden mit einem Teelöffel voll Kraftstoff aus. Ein Liter würde hochgerechnet ungefähr für die Strecke von Berlin nach Moskau und retour reichen.
Schock in Runde sechs
In diese Dimensionen will auch das Team der Fachhochschule Trier vorstoßen. Die Rheinland-Pfälzer, die im vergangenen Jahr mit 1800 Kilometern pro Liter Super-Benzin beste Newcomer seit 1977 geworden waren, wollen bei ihrer zweiten Teilnahme die 3000-Marke knacken. Dafür wurde der proTRon II noch einmal optimiert. Kohlefaser statt Carbon bei den Felgen, eine neue Hinterradaufhängung sowie ein anderer Schaum für die Unterschale. "Statt 62,5 Kilogramm wiegt das Fahrzeug jetzt nur noch rund 50", sagt Bastian Morbach (25). Der erste Lauf verlief viel versprechend. Das Ergebnis: 2567 Kilometer pro Liter. Und das mit der etwas schwächeren Brennstoffzelle. Jetzt soll der Verbrauch mit einer anderen Brennstoffzelle weiter gesenkt werden.
Pilotin Meike Linn lehnt entspannt an der Bande der Fahrergasse. Obwohl sie noch keine Proberunde absolviert hat und privat wann immer es geht auf einen motorisierten Untersatz verzichtet ("Ich hatte kurz nach der Führerscheinprüfung den einen oder anderen Unfall"), ist bei der 25-Jährigen von Anspannung nichts zu spüren. Die ersten Runden verlaufen auch nach Plan. Mit Stoppuhr in der Hand fiebern die Teamkollegen am Streckenrand mit. Dann die Enttäuschung.
Sparsamer "Schluckspecht"
Das brennstoffzellenbetriebene Leichtgewicht wird immer langsamer. In der sechsten Runde bleibt es schließlich ganz stehen. Statt aus eigener Kraft kommt der proTRon II auf der Pritsche eines Sprinters ins Ziel. Enttäuscht und mit hochrotem Kopf erzählt Linn, was passiert ist: "Ich habe ein quietschendes Keuchen gehört." Der Grund ist kurz darauf schnell gefunden. "Wasser auf der Anode", sagt der im Team-Trier für Elektrotechnik verantwortliche Tobias Bergweiler.
Am nächsten Tag strahlen die Trierer dennoch. Im letzten Lauf steigern sie ihr Ergebnis noch einmal auf 2592 Kilometer und erreichen damit Platz drei in der Brennstoffzellenwertung sowie Platz fünf in der Gesamtwertung. "Wir sind sehr froh, dass wir im zweiten Jahr schon ganz vorne mitspielen konnten", sagt Bastian Morbach. Und auch das Team Merseburg/Halle muss die Heimreise nicht mit leeren Händen antreten. In den Kategorien "Eco-Design" und "Design" heimste der Zero8 jeweils den Titel ein.
Den größten Erfolg feiern jedoch die Studenten der Hochschule Offenburg. Ihr Fahrzeug mit dem irreführenden Namen "Schluckspecht" begnügte sich mit einem Liter pro 3198 Kilometer und siegte damit in der Kategorie der brennstoffzellenbetriebenen Prototypen.