Den Waldweg rauf, über Wurzeln, Steine und zum Gipfel – schnell und fast ohne Mühe. Das Elektro-Higlight in dieser Saison sind vollgefederte Mountainbikes wie das eLycan des österreichischen Herstellers KTM. Bange Frage: Ist man als E-Bikepilot ein Cheater, weil man sich den Schweiß erspart? Eigentlich nicht: Dank Akku und Elektromotor erlebt auch derjenige traumhafte Bike-Erlebnisse, der keine Sportlerwaden hat.
Antrieb und Fahreigenschaften
Den Antrieb des eLycan übernimmt ein Motor von BionX in der Hinterradnabe. Der Akku ist unübersehbar, aber formschön lackiert in den Rahmen integriert. Die Gewichtsverteilung stimmt, Akku und Motor balancieren sich gut aus. Das Fahrrad ist austariert und schiebt auch bei extremen Abfahrten und plötzlichem Abbremsen nicht von hinten. Die Leistung des Motors liegt bei 250 Watt, er unterstützt die Fahrt bis zu einer Geschwindigkeit von 25 km/h. Das Rad selbst läuft - ohne Motorkraft - durchaus schneller, im Gefälle wird die 25 km/h-Begrenzung leicht überwunden. Der Antrieb von BionX gehört zu den besten am Markt. Ladeverhalten des Akkus, Steuerung und Ansprechverhalten des Motors überzeugen. Das BionX-System fügt sich überdies harmonisch ins Rad ein. Das Rad fühlt sich auch mit voller Unterstützung noch wie ein Fahrrad an, die Motorgeräusche sind kaum wahrzunehmen.
Die Leistungsdaten bedeuten: Das eLycan darf als Pedelec auf der Straße und auf Radwegen bewegt werden und benötigt keine eigene Versicherung.
Reichweite im Gebirge
Das eLycan kommt mit einer Akkufüllung 60 Kilometer weiter. Im Gebirge bringt der Motor das Rad deutlich über 1000 Höhenmeter hinauf, zumindest solange der Fahrer mehr als nur symbolisch mitradelt und die Strecke nicht allzu extrem ansteigt. Auf sehr steilen, technisch anspruchsvollen Aufstiegen schmelzen die möglichen Höhenmeter allerdings auf etwa 800 zusammen. Diese Leistung reicht vollkommen aus, damit auch ein mäßiger Radfahrer eine üppige Tagestour im Gebirge begleiten kann. Nur bei allzu ambitionierten Unternehmungen müsste der Akku irgendwann passen.
Wer regelmäßig einen "Extremsportler" begleitet, könnte mit einem zweiten Akku aufrüsten. Bessere Idee: In einer etwas längeren Mittagsrast kann der Akku schnell wieder auf 85 Prozent aufgeladen werden. Das eigentliche Ladegerät ist so groß wie das von einem Notebook und kann leicht mitgenommen werden: ein klarer Vorteil gegenüber großen Dockingstations.
Bequemer Rahmen
Das KTM-Rad selbst folgt der Lycan-Baureihe von KTM mit einem gemäßigten Allmountain-Rahmen. Auf ihm kann man in relativ entspannter Haltung sitzen. Selbst bei starken Steigungen darf der Fahrer auf dem Sattel sitzen bleiben und muss sich nicht stehend über den Lenker quälen. Von der Rahmengeometrie bietet das eLycan einen überzeugenden Ansatz für ein Elektromountainbike. Ein anzunehmender Käufer wird vermutlich nicht der technisch versierteste Mountainbiker sein und nur in Maßen trainiert haben. Dennoch kann er mit diesem Rad große Steigungen relaxt hinauffahren. Das gefederte Hinterrad bedeutet einen merklichen Komfortgewinn, außerdem sorgt die Federung im Vergleich zu einem ungefederten Rad für optimalen Bodenkontakt und bessere Traktion auch im Gelände.
Die Kombination von Motorkraft und Vollfederung gleicht typische Fahrfehler aus, auch bergauf muss man nicht jeden Stein und jede Wurzel umfahren - die Motorleistung reicht aus, das Rad über die Hindernisse zu wuppen. Die Kraft aus dem Akku macht das eLycan dabei bergauf immer so schnell, dass das Bike nicht unruhig wird und gar anfängt zu zittern. Nur regelmäßiges Treten auch in schwieriger Lage muss sich der Laie angewöhnen. Der Motor stirbt an, sobald der Fahrer aufhört zu arbeiten.
Unproblematisches Mehrgewicht
Mit 19 bis 22 Kilogramm Gewicht ist das eLycan relativ schwer – gemessen an einem Leichtbausportgerät. Man sollte aber nicht vergessen, dass Werte von 16 bis 19 Kilogramm bei Cityfahrrädern und Tourenbikes durchaus normal sind, man fährt mit dem ELycan also nicht mit einem abnormen Panzer herum. Jemand, der sich ein E-Bike zulegt, wird im Gelände vermutlich keine akrobatischen Sprünge absolvieren, das zusätzliche Gewicht dürfte ihn in Sachen Agilität nicht einschränken. Bei der Abfahrt führen Gewicht und die solide Auslegung des Rahmens zu einem beruhigenden und sicheren Fahrgefühl. Die Bremsen sind so dimensioniert, dass sie das Rad auch auf steilsten Passagen sicher halten. Wichtiger als ein durchaus möglicher knackiger Downhill dürfte für den Strompiloten sein, dass das Rad auch in extrem verlangsamter, steiler Abwärtsfahrt nicht nervös wird.
Zusätzlicher Bonus: Im Gefälle kann der Motor zum Dynamo werden, um den Akku wiederaufzuladen. Immerhin 15 Prozent zusätzliche Reichweite lassen sich so gewinnen. Aus 60 Kilometern werden dann 72. Die Dynamofunktion bremst das Rad dabei merklich ab, bei langen Abfahrten muss man weniger Bremsen. Handgelenke und Finger werden nicht so beansprucht
Mehr Möglichkeiten als der Fahrer
Mit Rahmen und Motor bewältigt das eLycan auch ambitionierte Trails. In der Praxis werden die fahrerischen Fähigkeiten des Piloten den Einsatz begrenzen. Elektropower allein verwandelt den Besitzer nicht in einen Top-Mountainbiker. Mörderische Abfahrten sollte der Laie lieber meiden, aber Waldwege oder Schotterpisten wird er locker unter die Pneus nehmen. Mit 22 Kilogramm lässt sich das Rad in der Ebene auch ohne Motorkraft noch gut bewegen. Bergauf wird es anstrengend. Touren mit Tragepassagen sollte man vermeiden.
Um gelegentlich zum Einkaufen zu fahren, ist das eLycan zu ambitioniert. Es bietet sich als "Lebenspartner-Begleitfahrzeug" eines Ko-Sportlers an. Mit ihm kann jemand, der nicht die Kondition und den notwendigen Masochismus für den Mountainbikesport mitbringt, seinen Partner auf ausgedehnten MTB-Touren begleiten. Interessant ist das Rad zudem für Biker, die aus gesundheitlichen Gründen nicht die volle Leistung bringen können. Eine Überlegung wert wäre es auch für alle, die gern mit dem Rad die Natur im Gebirge erkunden wollen, aber deshalb nicht zum Leistungssportler mutieren wollen. Mit Strompower kann man nicht zuletzt auch einen sportlichen Kinderanhänger die Berge hinauf bekommen.
Preis und Leistung
Das eLycan kostet etwa 3500 Euro, das ist eine staatliche Summe und deutlich zu teuer, um das E-Biken nur mal auszuprobieren. Dennoch ist es ein fairer Preis. Ein brauchbares vollgefedertes Rad ohne Elektroantrieb kostet mindestens 2000 Euro, ein Rad mit ausgesuchten Komponenten und kompletter Shimano-XT-Ausstattung deutlich mehr. Ein direkter Preisvergleich ist nicht möglich, weil das eLycan nicht wie sonst üblich auf Leichtbau optimiert wurde. Für ein vergleichbares sportliches Rad mit Carbonrahmen und XT-Ausstattung wäre in etwa die gleiche Summe fällig – so ein Rad würde dann etwa 10 Kilogramm weniger wiegen.
Elektromountainbikes ohne Federung des Hinterrades sind deutlich günstiger - KTM bietet das eRace für etwa 2500 Euro an. Für ein vollgefedertes Modell spricht der deutliche Komfortzuwachs und die bessere Traktion am Hinterrad. Außerdem muss ein Hardtail im schwierigen Gelände immer exakter gelenkt werden, die Kombination von Federweg und Motorpower des eLycan bügelt Unebenheiten einfach weg – wenn gewünscht, zeigt das eLycan sogar ziemlichen Biss im Gelände.