Den Männer, die von KTM zum Demo-Tag nach Graz eingeladen wurden, und vor der Produktionshalle aus ihren Bentley Continental Coupé, Lambo Gallardo, AMG Mercedes, BMW Sechser und dergleichen steigen, mangelt es weder an Geld noch Geltungsbedürfnis. Zu Hause parken meist noch andere Knallbüchsen in der Garage. Für den Landstraßenritt an einem frühen Sonntagmorgen oder dem Straßen-Café-Cruising aber fehlt noch ein passendes Spiel- und Spaßgerät. KTM hat es: den X-Bow (gesprochen Cross-Bow, zu deutsch Armbrust). "Es ist die einzige rein mechanische Präzisionswaffe, die es noch gibt", sagt Florian Schluifer, bei KTM zuständig fürs technische Marketing.
In diese Richtung wurde auch bei der Entwicklung des X-Bow gedacht: pure Mechanik, höchste Präzision, keine Elektronik. Ein Auto für Puristen. Oder für Durchgeknallte. Denn dieser Kreuzung aus offenem Rennwagen und futuristischem "Batmobil" fehlen nicht nur Scheiben, Türen, Fenster und Dach, sondern auch Klimaanlage, Radio, Servolenkung und Bremskraftverstärker. Selbst von elektronischen Regelungen wie ABS und dem Schleuderschutz ESP, woanders längst eine Selbstverständlichkeit, will Österreichs neuer und einziger Automobilbauer nichts wissen. Auch Airbags sucht man vergeblich.
Das Motto heißt Verzicht
Glaubt man den Erklärungen von KTM, halten die Kunden genau diese Philosophie für die einzig richtige. Motto: Weg von dem üblichen, gefilterten Fahrerlebnis "normaler" Sportwagen, hin zu nacktem Fahrspaß. Nur dafür wurde der X-Bow konzipiert. "Die Leute lechzen förmlich danach", sagt Vorstands-Chef Werner Wilhelm, "wir wollen mit dem X-Bow nicht ein bisschen anders sein, wir wollen radikal anders sein." Und dazu zählt neben einer aggressiven Optik eben auch der Verzicht auf alles, was nicht unmittelbar zum Fahren notwendig ist. 300 dieser Extrem-Roadster hat KTM schon verkauft, ohne dass der Kunde auch nur einmal drin gesessen hat. Der Preis für den Cross-Bow beginnt bei 54.562 Euro. Auch die auf 100 Stück limitierte Sonderserie "Dallara", für über 70.000 Euro ist restlos ausverkauft.
Ein Body aus Carbonfaser
Dafür gibt es dann Renntechnik vom Feinsten und konsequenten Leichtbau. Allein die oben liegenden, vorderen Federbeine und die filigranen Dreieckslenker weisen darauf hin, dass hier Profis am Werk sind. Gleiches gilt für die Fahrgastzelle. Das Rückgrat des nur 3,74 Meter kurzen Cross-Bow bildet ein Carbonfaser-Monocoque, durch das der KTM-Roadster eine rund dreimal so hohe Steifigkeit erhält wie normale Cabrios. Integriert in diese Sicherheitsbox wurden zwei feste Sitzschalen. Vierpunkt-Gurte halten die Oberkörper der Insassen stramm in ihrer Position. Im Gegenzug lassen sich dafür Pedalerie und Lenkrad (abnehmbar) individuell verstellen.
Derart verzurrt bedarf es dann nur noch den Druck auf den Anlasserknopf und im Nacken meldet sich ein Vierzylinder-Turboaggregat von Audi dezent zu Wort. "Laut ist out", sagt Wilhelm, "wir können sogar Rennen fahren zu Zeiten, in denen es aus Lärmschutzgründen normalerweise verboten ist."
Audis Turbo im Nacken
Der Zweiliter-Direkteinspritzer leistet 240 PS und entwickelt 310 Newtonmeter, die naturgemäß wenig Mühe damit haben, den nur 790 Kilo leichten X-Bow auf Trab zu bringen. KTM gibt 3,9 Sekunden für den Sprint von null auf Tempo 100 und eine Spitze von 220 km/h an. Man muss sich sputen, mit dem Schalten hinterher zu kommen, so schießt der X-Bow davon. Der Drehzahlmesser ist auf dem kleinen digitalen Display in der Hektik nur schlecht zu erkennen, dafür flackert ein Rotlicht auf, wenn es Zeit ist, den Gang zu wechseln.
Den richtigen Kick mit potenziellem Suchtfaktor bekommt der KTM-Fahrer aber erst bei aufeinander folgenden Kurvenkombinationen. Hier lässt sich der Rennroadster derart präzise einlenken und zieht so spurtreu seine Linie, dass man glauben könnte, die physikalischen Gesetze gelten nicht mehr. "Wir erreichen 1,5 g Querbeschleunigung, ein Porsche Cayman schafft nur 1,1 g", sagt Schluifer. Nur wer es übers abrupte Gaswegnehmen (Lastwechsel) provoziert oder eine enge Biegung mit zu viel Gas nehmen will, den überholt das Heck.
Kaufverbot für Jungspunte
Überhaupt scheint das Fahren im X-Bow längst verkümmerte Instinkte zu reanimieren. Selbst das Bremsen will wieder geübt sein. Die Brembo-Scheiben verlangen nach einem beherzten, aber dennoch gut dosierten Tritt. Schließlich gilt es, ein Blockieren der Räder zu vermeiden. Daher erlaubt sich KTM, keinem unter 24 Jahre das Auto zu verkaufen. Auch die Amis gehen leer aus - aus Angst vor Millionen teuren Klagen w.g. Produkthaftungsgesetz. Obligatorisch ist zudem ein Fahrtraining mit dem X-Bow. "Wir müssen die Kunden sensibilisieren", sagt Wilhelm.
Der Purismus-Roadster soll nicht das einzige Auto des langjährigen Motorradherstellers KTM (erstes Modell 1953) bleiben. Zunächst aber sind Derivate mit anderen Antrieben geplant. Wilhelm liebäugelt mit dem kleinen 1,4-Liter-TSFI-Motor (170 PS) von Volkswagen in Verbindung mit dem Doppelkupplungsgetriebe DSG, schon allein im Hinblick auf eine weitere Gewichtsreduzierung und damit weniger Benzinverbrauch. Für den jetzigen Audi-Motor gibt KTM einen Durchschnittsverbrauch von 7,8 Liter je 100 km an, beim kleinen TSFI könnte eine sechs vor dem Komma stehen. Auch über eine Erdgasversion wird nachgedacht. Und selbst ein Elektroantrieb steht auf der Agenda. Schließlich will KTM bereits in drei Jahren das weltweit erste Elektro-Motorrad in Serie herstellen - vorerst allerdings nur für Wettbewerbe.