"Dungeon Siege"-Schöpfer Chris Taylor Verrückt nach Games

  • von Nina Ernst
Emotionen sind in bei Videogames. Für Entwickler Chris Taylor ist die Schlacht um bessere Grafik und realistischere Physik vorbei. Nun will er die Spieler mit emotionalen Abenteuern zum Grinsen und sogar zum Weinen bringen. Der "Dungeon Siege"-Erfinder hat eine leidenschaftliche Beziehung zu Videospielen. Und gilt als schräger Vogel.

Wahrscheinlich muss man ein bisschen verrückt sein, um in der Computerspieleindustrie zu arbeiten. Vielleicht sogar noch etwas verrückter, wenn man dort als eine der Leitfiguren gilt. Seine Kollegen sagen "Dungeon Siege"-Erfinder Chris Taylor nach, er sei ein Visionär. Und außerdem total verrückt.

Zur Person

Chris Taylor wurde am 4. September 1966 in British Columbia in Kanada geboren. Er war schon als kleiner Junge fasziniert von Videospielen. Ende der 80er Jahre begann Taylor, bei Distinctive Software als Spieleentwickler zu arbeiten. Schon für sein erstes Spiel "Hardball II" erhielt er 1989 eine Auszeichnung. 1996 zog er nach Seattle, um beim Entwickler Cavedog Entertainment anzuheuern. Nach seinem Durchbruch mit dem Strategiespiel "Total Annihilation" gründete Taylor 1998 sein eigenes Studio Gas Powered Games. Dort sind die Spiele der Fantasy-Reihe "Dungeon Siege" und der Strategietitel "Supreme Commander" erschienen.

Wenn die Leute ihm das unterstellen, lächeln sie. Es ist keine üble Nachrede, sondern ein Kompliment, pure Bewunderung. Dafür, dass Taylor als Gründer des größten unabhängigen Entwicklerstudios Gas Powered Games eine feste Instanz der Branche ist. Und dass er nach rund 20 Jahren Videospieldesign immer noch so begeistert von seinem Job ist, dass sich das nur schwer in Worte fassen lässt. Wenn Taylor mit leuchtenden Augen über Spiele redet, verwandelt sich der 41-Jährige plötzlich wieder in einen kleinen Jungen. Die Sätze sprudeln immer schneller aus ihm heraus und enden schließlich in einem lauten, ansteckenden Lachen, das ganze Räume erfüllt.

Es ist ihm ernst

Obwohl Chris Taylor so gerne lacht, wirkten seine Spiele bislang sehr ernsthaft. Den großen Durchbruch hatte der Kanadier mit dem Echtzeitstrategiespiel "Total Annihilation", das im Jahr 1997 durch seine eindrucksvolle Technik das Genre revolutionierte. Eine ernsthafte Spielgattung, in der es darum geht, Truppen zu befehligen. Taylors letzten großen Hits waren "Supreme Commander", ebenfalls ein Strategiespiel, und die Fantasyreihe "Dungeon Siege". Monster, die die Welt bedrohen: ebenfalls ein Thema, das keinen Platz für Humor und flotte Sprüche der Helden lässt. "Das wäre nicht witzig, sondern einfach nur albern", meint Taylor.

In der Vergangenheit ging es dem Designer darum, die Spieler mit moderner Technik und tollen Bildern zu beeindrucken. Diese Zeiten sind für ihn vorbei. Jetzt zählen Gefühle. Mit seinem neuen Action-Rollenspiel "Space Siege" startet Taylor einen ersten, zaghaften Versuch, die Emotionen der PC-Besitzer zu wecken. Während der Held auf einer Raumstation gegen Horden von Aliens kämpft, muss der Spieler sich ständig entscheiden, ob er seine Menschlichkeit bewahrt oder durch neue Implantate zum besseren Kämpfer wird. "Solche Entscheidungen wecken Emotionen. Außerdem haben wir nun mehr Wert darauf gelegt, eine packende Geschichte zu erzählen", sagt Taylor. Eine schöne Idee, die leider nicht bis zur letzten Konsequenz umgesetzt wurde. Space Siege bleibt ein Action-Rollenspiel, bei dem es hauptsächlich darum geht, Monster zu bekämpfen und Schätze einzusammeln. Das ist zwar leidlich unterhaltsam, löst aber keine Gefühlsausbrüche aus.

Warum weinen die Spieler nicht

Doch Chris Taylor will mehr. Bei seinen künftigen Spielen will er die ganz großen Emotionen hervorrufen. "Niemand sagt, dass er bei einem bestimmten Spiel geweint hat. Bei Filmen schon", meint Taylor. Er bedauert, dass Spieldesigner keinen Knopf haben, um die Nutzer zum Weinen zu bringen. Filmemachern fällt es leichter, den Zuschauer mit ihren linearen Geschichten zu beeinflussen. "Wir können die Spieler verrückt machen, wenn etwas nicht funktioniert. Oder sie frustrieren. Aber bislang konnten wir sie nicht zum Weinen bringen", sagt Taylor mit seinem markanten Lachen.

Er glaubt fest daran, dass Weinen vor dem PC in spätestens zehn Jahren zum Spielealltag gehören wird. Mit Hilfe von komplexen Geschichten, die neben lustigen auch traurige Momente bieten. Zum Beispiel den Tod eines virtuellen Freundes. Bis diese Tragik überzeugend dargestellt wird, lautet Taylors Ziel: den Spieler zum Grinsen bringen. Er will keine Lachanfälle hervorrufen, die den Spielfluss ausbremsen, sondern nur ein Schmunzeln. Das ist für ihn der größte Beweis dafür, dass ein Spiel Spaß macht.

In den letzten Jahren drehte sich bei den Entwicklern alles um schönere Grafik, besseren Sound und realistischere Physik. "Innovation basierte immer auf der Technik", sagt Taylor. "Wir haben uns erst die technischen Möglichkeiten angeschaut und dann daraus ein Spiel gemacht." Nun hat die Computertechnik einen Stand erreicht, an dem bis auf feine Unterschiede alles gut aussieht und gut klingt. "Inzwischen kommt das Spieldesign zuerst und erst dann kümmern wir uns um die passende Technik.", sagt der 41-Jährige. "Vor allem brauchen wir Geschichten mit Gesichtern und Charakteren dahinter, um die Spieler mitzureißen", schwärmt Taylor. Ein ernstes Thema für ihn, bei dem das obligatorische Lachen ausbleibt. Entschlossen fügt er hinzu: "Der Spaß steht an erster Stelle". Das ist auch der Leitspruch seines großen Vorbilds Sid Meier ("Civilization"), einem Urgestein der Spielebranche.

Schach ist das perfekte Spiel

Taylor freut sich, dass Spiele immer populärer werden. Auch wenn es eine Herausforderung ist, Software für die breite Masse zu entwerfen. Denn die will sofort losspielen, statt Handbücher zu lesen und lange Übungslevels zu absolvieren. Die Leute wollen lieber ein simples Game, das sie berührt. Taylor hält Schach für das perfekte Spiel. Weil jeder es innerhalb weniger Stunden erlernen kann und trotzdem auch noch nach Jahren neue Finessen dazulernt. "Wenn es Schach noch nicht gäbe, würde ich es als Computerspiel erfinden.", sagt Taylor. "Und zwar mit einer epischen Hintergrundstory voller zwischenmenschlicher Beziehungen".

Diese Träumerei beruht wohl eher auf Entschlossenheit als auf Größenwahn. Denn der Spieleentwickler ist ebenso entschlossen wie begeisterungsfähig. Wenn er sich etwas in den Kopf setzt, macht er alles, um sein Ziel zu erreichen. Wahrscheinlich einer der Gründe für seinen Ruf, verrückt zu sein. Schon mit etwa elf Jahren wusste Taylor, was er einmal werden will. Er stand fasziniert vor einem Spielautomaten und überlegte, was in dieser Box wohl vor sich gehen mochte, um all die Bilder darzustellen. Als der Automat kaputt ging und jemand zum Reparieren die Klappe geöffnet hat, war es um Taylor geschehen. Noch heute wirkt er beim Erzählen wie gebannt. "Ich sah all diese Technik voller Bauteile und Kabel. Es war erstaunlich, wie Magie. Ich habe gesagt, ich würde alles geben, um Spieldesigner zu werden". Dann setzt wieder das bekannte Lachen ein: "Hätte ich damals nur gewusst, wie simpel diese Maschinen waren im vergleich zu Computern heute".

Also hat Chris seinen Vater überredet, einen Computer zu kaufen. "Ich habe einen Berg gesehen und überlegt, wie ich an dessen Spitze kommen kann", erinnert Taylor sich. So ist es immer noch. Ob er Filme sieht oder Biographien liest, alles macht er im Hinblick darauf, wie er seine Spiele verbessern kann. "Ich will die Leute unterhalten. Und ich gebe alles dafür."

Chris Taylor will seine Spiele immer mehr Leuten zugänglich machen und möglichst hohe Stückzahlen verkaufen. "Das ist kein Beliebtheitswettbewerb, in dem es darum geht, ob ich ein toller Typ bin", sagt Taylor. Wenn er viele Games verkauft, ist das seine Bestätigung dafür, dass er gute Arbeit geleistet hat. "Die Kunst ist das Wichtigste für mich. Das Geld ist mir egal - ehrlich", beteuert der Designer. Er sagt, viele Kollegen glauben ihm nicht, dass er nicht wegen des Geldes so hart arbeitet. Oder sie halten ihn deswegen wieder für verrückt.

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