Ein mächtiges Gewitter wütet über der ukrainischen Tundra. Blitze zucken aus dem zerfahrenen Himmel, während schwarze Wolkentürme kübelweise Regen auf die Erde hinabprasseln lassen. Inmitten dieses düsteren Szenarios bahnt sich ein Transporter mühselig seinen Weg. Doch weit kommt er nicht: Nach einem heftigen Blitzeinschlag wird der Laster über die Böschung geschleudert. Überlebende gibt es nur einen. Den Gezeichneten.
Er hat den Auftrag, einen anderen Stalker zu töten - Strelok. Mehr weiß er nicht. Doch muss er dafür tief in das verstrahlte Gebiet rund um den Sarkophag eindringen. Dort hat sich Seltsames zugetragen in den letzten Jahren: Tödliche Anomalien tun sich auf, alles vernichtend, was sich in ihrer Nähe befindet. Außerdem machen bizarre Mutationen die Gegend zu einem unsicheren, gefährlichen Ort, weshalb ihn die Behörden zur Sperrzone deklariert haben. Nur Lebensmüde und Glücksjäger, sprich: Stalker (ein Begriff aus dem Zukunftsroman "Picknick am Wegesrand'' von Arkadi und Boris Strugatzki, der 1979 verfilmt wurde) wagen sich dort noch hinein - die Gier treibt sie.
So macht der namenlose Held seine ersten tapsigen Schritte in der unwirtlichen Welt. Nach einem kurzen Tutorial, das die etwas missglückte (aber wenigstens frei belegbare) Steuerung erklärt, geht "S.T.A.L.K.E.R." schon in die Vollen. Dabei fallen als Erstes die Rollenspielaspekte auf, denen Entwickler GSC ursprünglich viel größeres Gewicht geben wollte. Doch nachdem sich Mechanismen wie Schlaf- und Ernährungsbedürfnisse als zu komplex erwiesen haben, wurden sie kurzerhand gestrichen. Übrig geblieben sind das Inventar und das Questlog in Form des PDAs.
Jener füllt sich mit Primär- und - je nach Lust und Laune - Sekundäraufgaben. Während die wichtigen Dinge, die für das Vorantreiben der Hintergrundstory verantwortlich sind, zeitlich unbegrenzt gültig sind, müssen die Nebenaufträge binnen eines Zeitlimits erfüllt werden. Mit dem erfolgreichen Absolvieren der Quests ergattert der namenlose Held zahlreiche Gegenstände. Dabei sind vor allem Artefakte wertvoll, die auch so in der 20 bis 30 Quadratkilometer großen Zone zu finden sind. Sie bringen entweder jede Menge Geld oder verbessern die Charakterwerte, wenn sie irgendwo an der Rüstung angebracht sind.
Ein langer Atem ist dringend nötig, um sich in dem riesigen Gebiet behaupten zu können. Neben allerlei anderen Stalkern und Banditen trachten mutierte Tiere, Zombies und Monster nach dem Leben des Gezeichneten. Doch steht der namenlose Held nicht schutzlos dar: Neben der Standardkombi Pistole und Messer kann im Verlauf des Spiels auf ein beträchtliches Waffenarsenal zugegriffen werden.
Wer sich darauf freut, schwer beladen durch die Gegend zu tingeln, hat sich allerdings geschnitten: Das Inventar ist - "Oblivion" lässt grüßen - auf eine bestimmte Menge Last beschränkt. Wird das Limit erreicht, verfügt der vollbeladene Überlebenskünstler nur noch über wenig Ausdauer, weshalb es besser ist, überflüssige Gegenstände bei Händlern zu verkaufen. Außerdem gibt es nicht für jeden Waffentyp genügend Munition, weswegen sorgsam abgewogen werden will, was mit darf und was nicht.
Die NPCs verhalten sich recht intelligent und nach bestimmten Mustern: So legen sie sich nachts schlafen, drohen mit Gewalt, wenn mit der Waffe auf sie gezielt wird oder gehen zusammen gegen gegnerische Einheiten vor. Im späteren Verlauf buhlen außerdem drei verfeindete Fraktionen um die Gunst des Spielers. Je nachdem, wie er sich entscheidet, nimmt die Geschichte in den insgesamt rund 15 Stunden einen anderen Verlauf. Es gibt sieben mögliche Enden - und nur zwei davon sind gut.
Nicht weniger schlau verhalten sich die übrigen Bewohner der Zone: Mutierte Hunde greifen beispielsweise nur im Rudel an und flüchten, wenn ihre Zahl streng dezimiert wurde. Andere attackieren ausschließlich von finsteren Ecken aus oder trachten im Trupp nach dem Leben des Einen.
Dabei fällt jedoch unangenehm auf, dass die computergesteuerten Gegner eine ordentliche Pulle Zielvodka getrunken haben müssen. Anders ist nicht zu erklären, dass fast jeder Schuss sitzt, umgedreht sie aber mächtig Blei futtern, bis sie das Zeitliche segnen. Dies lässt schnell Frust aufkommen, vor allem nach mehrmaligem Betätigen der Quickload-Taste.
Ebenfalls zu kritisieren ist die unkomfortable Questverwaltung: Zwar werden die Zielpunkte auf der Minimap markiert, doch wird darauf oft nicht eindeutig klar, wer oder was in welcher Anzahl eliminiert werden muss, um eine Mission erfolgreich zu absolvieren.
Dem gegenüber steht eine grandiose Atmosphäre, was an dem unverbrauchten Setting und der realitätsgetreuen Umsetzung und Modellierung der Landschaften, Plattenbauten, verrosteten Industrieanlagen und verlassenen Ortschaften liegt. Die minimalistische Sounduntermalung tut ihr Übriges, um dem Spieler den ein oder anderen Schauer über den Rücken zu jagen. Nur schade, dass nicht alle NPCs vertont wurden, dies wäre noch das i-Tüpfelchen gewesen.
Dem großen Hype wird "S.T.A.L.K.E.R." insgesamt nur bedingt gerecht. Zwar sind die Rollenspielelemente schön integriert, aber alles andere als revolutionär oder wegweisend. Außerdem ist die vor einigen Jahren zurecht hochgepriesene Grafik mittlerweile gehobener Standard, gegen einen Kracher wie "Crysis" steht "S.T.A.L.K.E.R." auf verlorenem Posten. Ausnahme sind allerdings die hervorragenden Zwischensequenzen, die nahezu fotorealistisch wirken. Besser geht's derzeit nicht.
S.T.A.L.K.E.R. - Shadow of Chernobyl
Hersteller/Vertrieb | GSC Game World/THQ |
Genre | Action |
Plattform | PC |
Preis | ca. 50 Euro |
Altersfreigabe | ab 18 Jahren |
Unterm Strich bietet "S.T.A.L.K.E.R." ein solides Actionspielerlebnis, das mit einigen Zutaten exqisit aufgepeppelt wurde, insgesamt aber nicht das Spiel geworden ist, das wohl einige erwartet haben. Freunde schneller, unkomplizierter Ballereien sollten jedoch einen Bogen um den Titel machen. Bei allen anderen dürfte der Adrenalin-Geigerzähler trotz kleinerer Schwächen und Fehler dennoch ausschlagen.