Robert ist ein echter Knallkopf. Das ist er schon immer gewesen und wird er auch immer sein. Obwohl er inzwischen 40 Jahre alt ist, zieht er weiterhin mit jungen Teenager-Mädchen durch die Techno-Diskos. Er hat Ärger mit seinem Vermieter, weil er willkürlich Löcher durch die Außenfassade seiner Wohnung gebohrt hat, um eine Satellitenschüssel zu installieren. Auch mit dem Finanzamt steht Robert auf dem Kriegsfuß, weil er all seine Quittungen immer in Plastiktüten sammelt - und diese ab und zu anstelle des Mülls in die gelbe Tonne wirft. Robert ist eigentlich Chemiker, aber seit ich ihn kenne, programmiert er. Drei, vier größere Programme hat er in den letzten Jahren fertig entwickelt. Seitdem lebt er einzig und allein von den Registrierungsgebühren, die immer noch tröpfchenweise auf sein Konto fließen. Braucht Robert ein wenig mehr Geld, dann führt er eben ein Update durch und mailt alle seine alten Kunden an. Dann fließen schon mal wieder ein paar Tausender aufs eigene Konto.
Robert sitzt mir nun in der Kneipe gegenüber. Er grinst über das ganze Gesicht. Dann holt er zu einem Vortrag aus: "Weißt du, Carsten", sagt er. "Immer mehr große Firmen verlagern ihre Arbeitsplätze ins Ausland, weil sie dort preiswerter zu finanzieren sind. Zu leiden haben die deutschen Arbeiter, die auf einmal auf der Straße sitzen. Ich, Robert, drehe den Spieß jetzt einmal um. Bevor mich ein großer Konzern nicht mehr als Programmierer bucht, weil der Inder oder der Russe im Ausland preiswerter arbeitet, wandere ich selbst aus."
Kein Scherz
Robert macht Ernst. Er hat bereits seine Wohnung gekündigt, sein Hab und Gut aufgeteilt und den ganzen Müll abkarren lassen. Auf einer großen Abschiedsparty hat er sich von seinen Freunden, seinen Geschäftspartnern und auch von seiner Familie verabschiedet. Jetzt sitzt er mir gegenüber und überlegt: "Zuerst werde ich wohl ein paar Monate durch Asien touren. Ich schaue mir Vietnam, Kambodscha und Thailand an. Dann lasse ich mich auf Bali nieder. Da reichen mir 500 Euro im Monat völlig aus, um gut davon zu leben. Und die 500 Euro verdiene ich mit meiner Software auf jeden Fall."
Hängematte statt Büro
Ich würde wohl lieber nach Hawaii auswandern, wenn ich an Roberts Stelle wäre. Der Gedanke an dieses Geschäftsmodell ist aber verlockend. In der Computer-Branche lassen sich fast alle wichtigen Geschäfte auch per E-Mail abschließen. Der Standort ist dabei völlig nebensächlich. Daten werden per Mausklick um den ganzen Globus geschickt. Und die neuen Bezahlsysteme wie Paypal machen es leicht, die Gelder für die Registrierung einer Software weltweit abzurufen und für sich verfügbar zu machen. Ich sehe Robert schon vor meinem inneren Auge, wie er auf einem Hügel auf Bali in der Hängematte liegt und einen Mai Tai schlürft. Dann und wann macht sein Rechner "Pling" - dann ist eine neue Registrierung angekommen. Und Robert hebt den Arm zum Kellner, um noch einen Drink zu bestellen: "Jetzt, wo gerade wieder zehn Euro angekommen sind, kann ich ja noch einen Mai Tai finanzieren."
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Wie das mit den Steuern und einer Aufenthaltsgenehmigung im Ausland aussieht und wie billig das Leben auf Bali wirklich ist, kann ich nicht beurteilen. Wenn ich aber sehe, wie viele Steuern und Abgaben ich inzwischen bezahlen muss und wie meine Lebenskosten weiterhin explodieren, dann könnte ich glatt zu Robert in den Flieger steigen. Wahrscheinlich macht er genau das Richtige.
Eine Glosse von Carsten Scheibe, Typemania