Mit der Übernahme des Filmstudios MGM will Amazon seinen Streamingdienst Prime Video mit reichlich neuem Material päppeln und eine neue Ära für die Filmlandschaft einläuten. Doch neben Blockbustern wie der James-Bond-Reihe hat sich Amazon-Chef Jeff Bezos auch den Zugriff auf etwas viel Exklusiveres gesichert: Die gelöschten Aufnahmen aus Donald Trumps Hit-Show "The Apprentice". Und die sollen es in sich haben.
Grundsätzlich geht es bei dem gestern bestätigten Mega-Deal aber um etwas anderes: Mit der Übernahme sichert sich Amazon den Zugriff auf den gesamten Film-Katalog eines der etabliertesten Hollywood-Studios. Die mit einem von Volumen von 8,45 Milliarden zweitgrößte Übernahme in der Geschichte Amazons sichert dem Konzern die Rechte an knapp 4000 Filmen, inklusive der Bond-Reihe, den "Rocky"-Filmen und Klassikern wie "Das Schweigen der Lämmer. Auch Serien wie "Fargo", "Vikings" oder "The Handmaid's Tale" gehören zum Paket.
Skandalträchtiges Material
Das größte Skandalpotenzial hat aber das Rohmaterial von "The Apprentice". Während der ehemalige US-Präsident schon bei seinen öffentlichen Auftritten und bei Twitter kaum beherrscht wirkte, soll er während der Aufzeichnung der Job-Castingshow teilweise wirklich jede Fassade fallengelassen haben. Immer wieder seien sexistische, schwulenfeindliche und rassistische Angriffe aus der Sendung geschnitten worden, berichteten ehemalige Mitarbeiter. Sogar das N-Wort soll mehrfach gefallen sein, berichtete Omarosa Manigualt Newman, die mit Trump zuerst in der Sendung und dann auch im Weißen Haus zusammengearbeitet hatte. "Als Produzent der ersten beiden Staffeln von 'The Apprentice' kann ich sagen: Es gibt viel schlimmere Trump-Tapes", verkündete Produzent Bill Pruitt schon 2016. Damals war gerade eine Aufzeichnung bekannt geworden, in der Trump sexuelle Angriffe auf Frauen zu gab.
Die von 2004 bis 2017 aufgezeichnete Sendung gilt als einer der wichtigsten Bausteine für Trumps Präsidentschaft. Zwar hatte er schon in seiner Zeit als Immobilienhai in den Achtzigern Bekanntheit erlangt, das Image als knallharter Geschäftsmann verdankt er aber seiner Rolle als Boss in der Sendung, in der Bewerber sich in Teams eine Jobchance erstreiten müssen.

Intimfeinde
Dass die Aufzeichnungen nun ausgerechnet im Besitz von Amazon sind, dürfte bei Donald Trump durchaus Unbehagen auslösen. Schließlich erhofft er sich einen erneuten Anlauf auf die Präsidentschaft 2024. In seiner letzten Amtszeit hatte er immer wieder gegen Amazon-Chef Jeff Bezos geschossen, weil er sich von dessen Zeitung, der "Washington Post", verunglimpft fühlte. Der Streit eskalierte immer wieder. Trumps Verbündeter David Pecker soll mit seiner Klatsch-Zeitschrift "National Enquirer" sogar versucht haben, Bezos mit Nacktfotos aus einer Affäre zu erpressen, was letztlich in einer der teuersten Scheidungen der Geschichte endete. Später hatte Trump sich persönlich dafür eingesetzt, einen Milliarden-Auftrag des Pentagons an Microsoft statt an Amazon zu vergeben. "Scheiß auf Amazon", soll er damals gesagt haben.
Mit einer schnellen Racheaktion durch eine Veröffentlichung der Trump-Outtakes, wie sie etwa Latenight-Host Stephen Colbert schon am Dienstag forderte, ist aber wohl eher nicht zu rechnen. Die Rechtelage an den Outtakes ist kompliziert. Zwar bestätige das Studio gegenüber "Cnet", dass man die Rechte an der Show und sämtlichen Materialien hätte, es gebe aber Einschränkungen. "Verschiedene vertragliche und rechtliche Anforderungen beschränken MGMs Möglichkeiten, solche Materialien zu veröffentlichen", erklärte das Studio. Schon 2016 hatten der damalige Produzent der Sendung und das Studio in einer gemeinsamen Stellungnahme diese Einschränkungen betont. Eine Untersuchung der "New York Times" von Donald Trumps Steuerunterlage hatte letztes Jahr gezeigt, dass er 50 Prozent der Sendung besitzt. Ob das ein Teil des Hindernisses ist, wollte der Ex-Präsident gegenüber "Cnet" aber nicht kommentieren.
Studio für das 21. Jahrhundert
Für Jeff Bezos dürfte der Zugang zu den Trump-Aufnahmen aber ohnehin nur das Sahnehäubchen auf einem sehr attraktiven Deal gewesen sein. "Die Idee dahinter ist wirklich einfach", erklärte er die Entscheidung in einem Telefonat mit den Aktionären. "MGM hat einen riesigen und tiefen Katalog sehr beliebter Stoffe. Und mit den talentierten Menschen bei MGM und bei Amazon Studios können wir diese Stoffe neu erfinden und weiterentwickeln, um sie in das 21. Jahrhundert zu holen." Als Sieger sah er diejenigen Menschen, "die Geschichten lieben".
Aber auch Amazon selbst dürfte sich etwas von dem Deal erhoffen. Nach dem Rekordwachstum des Streaming-Marktes im Corona-Jahr 2020 flachen die Wachstumskurven bei allen Diensten langsam ab, der Kampf um die Zuschauer wird härter. Während Netflix und Disney sich erfolgreich mit ihren Eigenproduktionen absetzen konnten, war das bei Amazon bislang im erheblich kleineren Maße der Fall. Mit dem gigantischen Film- und Serienkatalog und den neuen Möglichkeiten eines vollständigen Filmstudios in der Hinterhand dürfte der Konzern sich deutlich bessere Chancen ausrechnen als bisher.
Amazon war nicht der einzige Kaufinteressent, mit dem MGM verhandelt hatte. Auch Apple und Sony Pictures waren laut dem "Wall Street Journal" interessiert, wurden aber von der vom Studioboss Kevin Ulrich verlangten Summe von 10 Milliarden Dollar abgeschreckt. Die größte Hürde bei den abschließenden Verhandlungen war aber letztlich nicht der Kaufpreis, sondern der Umgang mit der Bond-Reihe. Hier zeigte sich Amazon letztlich zum Kompromiss mit den streitbaren Produzenten Barbara Broccoli und Michael Wilson bereit: Sie behalten die kreative Kontrolle über die längste Filmserie der Welt. Und konnten sichern, dass ein neuer Bond-Streifen immer auch im Kino zuerst laufen darf. Bevor er dann irgendwann bei Amazon Prime landet.
Quellen: Cnet, Wall Street Journal, Variety, Abc, Hollywood Reporter, The Lateshow with Stephen Colbert